Argentinien: Von Azubis gelesen

Jetzt, wo eine Schweizerin den deutschen Buchpreis bekommen und es damit sogar ein gutes Buch in die Boulevard- und Gratismedien der Eidgenossen – ich war wie erschlagen heute von diesem Wunder -geschafft hat,
jetzt, wo die Buchmesse angefangen und jedes Presseerzeugnis viele, viele Buchempfehlungen veröffentlicht hat, muss ich unbedingt einen Hinweis auf die Tipps unserer Azubis machen. Vier ganz verschiedene Besprechungen sind ausgewählt und im aktuellen „Der Schweizer Buchhandel“ abgedruckt worden.
Ich finde es schön, wenn Azubis etwas publizieren können, was über die Schule hinausgeht – und erst noch in der Messenummer. (Aber jetzt sind wir wirklich weg.)

Jede These hat ihre Antithese

Vergangenen Sonntag war ich bei einer Tagung aufs Podium geladen, die sich mit der Herausforderung E-Book befasste, was interessant war, weil’s bei E-Themen ja garantiert etwas gibt, was man noch nicht weiss. Breitformatige E-Books für Kinderbilderbücher beispielsweise kannte ich nicht, den Exklusiv-Reader der Kette X hatte ich noch nie in der Hand gehabt, von dem der Kette Y wusste ich nicht, was er schlussendlich kosten soll. Die neusten Zahlen zu den Lesegewohnheiten bisheriger User (eine Datenbasis von 100 ist dabei schon viel) sind wohl nicht ganz verlässlich und die Bewegungen auf neuen Absatzmärkten bzw. Gadgets können nur teilweise erhoben werden. Die Antwort auf die Frage, wer wem die Preise diktieren und/oder die Inhalte klauen wird, bleibt wolkig, das liegt in der Natur der E-Sache.
Dieses Mal ging es zusätzlich um den Einfluss auf den Berufsalltag der Buchhändlerin und des Buchhändlers und da tun sich – wie in allen Buchberufen – Gräben auf. Die Diskussion läuft sehr emotional und schon eine ganze Weile im Kreis. Das papiererne Buch zu bewahren ist ein legitimer Anspruch, bei der Digitalisierung der Inhalte vorne dabei zu sein ebenso. Warum sollten wir heute sagen können, wer sich zukunftsgerichteter verhält? Es erscheint mir doch ziemlich vermessen, 5000 Jahre Buch als nahezu abgeschlossen zu betrachten. Und es scheint mir wenig hilfreich, zehn Jahre globales Heavy-E-Reading als Hype abzutun. Die jetzigen Generation Buchmenschen muss von beidem etwas verstehen, pragmatisch, neugierig und vor allem den Inhalten zugeneigt bleiben. Denn diese Würfel sind noch lagen nicht gefallen.

Pegasus Nr. 100: Jubel!

Gestern ist unserer Schulzeitung „Pegasus“ zum 100. Mal erschienen. Es ist keine besondere Jubelnummer mit Gastbeiträgen Prominenter oder Auszügen aus dem Archiv (welches auf Floppy-Discs sein unvollständiges Dasein fristet), wie es sich eigentlich für eine Zeitung gehörte. Wir mussten aus Gründen, die sich jeder denken kann, auf die grosse Kelle verzichten und beim kleinen Löffel bleiben. Mir persönlich gefällt das sowieso besser, es passt zum Buchhandel. Auch wenn es viele nicht begreifen wollen: In unserer Branche ist Grösse und Getöse weder eine Garantie für Qualität noch für Rendite.
Auf den 100. Pegasus!

Werbung in der Buchbranche (3)

Seite aus der Vorschau 4th Estate August 96 bis Februar 97
Das ist ein Ausschnitt aus einer Verlagsvorschau von 4th Estate im Sommer 1996. Der Verlag war damals zwölf Jahre alt, arm an Mitteln, reich an Ideen und Freunden. Seine Bücher und Hefte waren schlicht und originell und für mich leicht zu an die aufgeschlossene Kundschaft zu bringen, wenn auch in kleiner Menge. Die 4th-Estate-Gründerin Vicotory Barnsley verkaufte im Jahr 2000 an HarperCollins, wo sie sich anstellen liess und meines Wissens immer noch arbeitet. Obige Typo war 1996 die Werbung für:
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Gesagt ist nicht gehört v.v.

Für eine Projektarbeit zum Thema „Schulbildung früher und heute“ im Fach „Wirtschaft, Recht, Gesellschaft“ haben drei Lernende der Abschlussklasse mich (und viele andere) befragt. Sie wollten wissen

  • ob ich die reformierte Ausbildung für Buchhändlerinnen besser oder schlechter als die vorherige finde und
  • ob ich in den letzten 10 Jahren Veränderungen bei den „Schülern“ feststelle, die darauf hinweisen, dass sie weniger gut in der Schule seien?
  • Ich gebe mir bei solchen Antworten immer Mühe, weil ich ja weiss, dass meine Kollegen vom anderen Fach mein Zitat lesen werden und es mir sehr peinlich wäre, wenn ich Mist erzählte. Was ich nun meine, geantwortet zu haben:

    Die Reform unserer Berufsbildung ist in meinen Augen für die Schule und die Branche ein Gewinn. Ob ihnen der Beruf attraktiv erscheint, werden aber bis ans Ende aller Tage die zukünftigen Azubis entscheiden, indem sie den Beruf wählen oder eben nicht.
    Ich habe in den letzten Jahren viele Veränderungen festgestellt, aber dass die Lernenden „dümmer“ werden gehört definitiv nicht dazu, auch wenn man das immer mal wieder liest. Die Abhängigkeit von Elektronik und speziell vom Internet und einigen wenigen Playern darin, macht mir aber schon Sorgen. Wie und warum sollen Jugendliche genau und vorausschauend arbeiten lernen, wenn sie heute mit E-Monokultur, Geschwindigkeit und Oberflächlichkeit besser beraten sind? Vielleicht ist es einfach der Lauf der Zeit, dass die Arbeit im Detail gar nicht mehr gefragt ist. Es ist kein objektiver Eindruck und eine Statistik habe ich auch nicht, aber ich sehe es gut in den mündlichen Arbeiten wie Vorträgen mit Präsentation: Der Inhalt ist häufig etwas wacklig, aber die Referiernden sprechen frei und lebendig und die Präsentationen sind meist viel besser und zweckmässiger als das, was ich von (längst) Ausgelernten zu Gesicht bekomme.

    Was nun in der fertigen Arbeit steht:

    Frau M. ist mit dem neuen System (der Ausbildung zur Buchhändlerin, sic.) zufrieden. Sie findet es zeitgemäss und der heutigen Gesellschaft angepasst.

    Sie hat aber im Allgemeinen Angst davor, dass die Menschen durch das Internet sehr beeinflussbar werden. Zudem wird alles schneller, dafür weniger genau. Dies sei jedoch der Lauf der Zeit. Aber es gäbe auch Verbesserungen in den Schulen, zum Beispiel die immer besser werdenden Präsentationen der Schüler.

    (Ich weiss, alle Lehrpersonen kennen das Staunen bei der Wiedergabe dessen, was sie gesagt haben. Aber meistens kommt das einem ja nur selber zu Ohren und Augen und nicht den Kollegen. Ich finde meine Antwort hier im Zitat ziemlich altbacken und leicht frustriert. Aber vielleicht habe ich ja wirklich so geklungen und vielleicht bin ich einfach alt. Aber sicher nicht frustriert von meinen erwachsenen Azubis, die ich seit einem Jahrzehnt nicht mehr „Schüler“ nenne.)
    Nachtrag 24. Juni 2010: Inzwischen habe ich die ganze Arbeit gelesen und sie hat mir einige neue Erkenntnisse gebracht. Die Aussagen der befragten Lehrpersonen zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind ziemlich unterschiedlich.

    Werbung in der Buchbranche (1)

    Schon viele Male wollte ich über Inserate in der und für die Buchbranche schreiben, zig Mal habe ich mir vorgenommen, Interessantes systematisch zu sammeln und habe beides nie geschafft. Das ist schade, denn es gibt in diesem Randbereich tagein, tagaus viel Originelles und Schönes aber auch Pragmatisches zu sehen. Zum Beispiel die aktuellen Inserate von klopotek, die abbilden, was so läuft in einem Verlag:
    Futura 2010

    Zwischenstand

    Für mich ist diese Zeit von der ersten Prüfung bis zur Prüfungsfeier die Anstrengendste im Schuljahr. Fehlplanung strikes back – denn jeder Fehler multipliziert sich in Windeseile. Selbst kleine Ignoranzen wie ein ermunterndes Lächeln zu unterlassen oder keine Taschentücher abgeben zu können, haben eine miserable Wirkung auf das Klima.
    Ich habe in Prüfungszeiten viele Funktionen, die schwer (gleichzeitig) auszufüllen sind. Das ist halt alles historisch gewachsen. Erst war ich nur Expertin und habe keine Fragenstellungen gemacht. Dann wurde ich zur Examinatorin und war auch an der Fragestellung im mündlichen und schriftlichen Bereich beteiligt. Danach wurde ich Hauptexpertin und war auch zuständig für die Qualitätssicherung aller anderern Fragestellungen im Fachbereich Buchhandel inklusive Verlag. Dann wurde ich Abteilungsleiterin und bekam die Prüfungsleitung. Weil die Lehrabschlussprüfung in dieser Form aber wegen der Reform ein Auslaufmodell ist, gibt es niemanden, der eine meiner Funktionen übernehmen möchte.
    Ich befinde mich deswegen in diesen Juni-Wochen einfach in einer gelinde gesagt verzwickten Lage und kann nur hoffen, dass alles in der zweiten Halbzeit weiter läuft wie in der ersten. Ich habe Grund zur Zuversicht, denn die Lehrpersonen und externen Expertinnen in meinem Team sind wirklich sehr engagiert bei der Sache. Es gibt sogar ein sog. überparteiliches Komitee „häb Sorg zur Chefin“, welches mir beispielsweise Mandelbären zukommen lässt. Nein, es gibt wirklich keinen Grund zu jammern.

    Ungepanzert

    Man muss mich gänzlich verkennen, um bei mir eine „gepanzerte Haut“ zu vermuten. Die Wahrheit ist: Es fiel mir immer sehr schwer, auf die Zuneigung anderer zu verzichten, die generelle Unbeliebtheit, die ich so oft zu ertragen hatte und die sich, so schien es mir, nur selten überwinden liess – sie hat mir ein Leben lang Sorgen bereitet. Ich habe mich seit meiner Jugend nach dem Ring gesehnt, von dem der weise Nathan erzählt, jenem Ring, der die geheime Kraft hat, denjendigen vor Gott und Menschen angenehm zu machen, der ihn in dieser Zuversicht trage.

    – Marcel Reich-Ranicki (*2. Juni 1920)
    Mein Lieblingsleser sagte dies in seiner Rede „Des Lebens ungemischte Freude“ aus Anlass seines achzigsten Geburtstages. Gestern wurde er neunzig und sein Hundertster gehört zum angenehmen Teil meiner beruflichen Visionen.