Buchhändler der Zukunft

Buchhändler der Zukunft im Branchenblatt vom Juni
Das hat eine Lernende für die Lehrlingsseite in unserer Branchenzeitschrift gezeichnet – als Illustration zu den Texten der Kolleginnen und Kollegen aus einer Abschlussklasse zum Thema Digitalisierung des buchhändlerischen Alltags auf den Seiten 32 und 33 in der Juni-Ausgabe des Schweizer Buchhandels.
(Im Moment sind Lehrabschlussprüfungen. Es läuft ordentlich, dauert aber noch zwei Wochen. Und man soll ja den Tag nicht vor dem Abend loben. Trotzdem jeden Abend schön, wenn am Tag alles geklappt hat.)

Branchenwitze

Ich nehme an, dass Witze wie der Fachjargon zu jeder Berufsgruppe gehören. Näher kenne ich ausser den Buchhändler- und Lehrerwitzen nur die Musikerwitze (der Kürzeste: Zwei Musiker gehen an einer Beiz vorbei). Ich kann mir zwar Humor nicht besonders gut merken, aber seine Entwicklung in meinen beiden Berufen ist beobachtenswürdig. Der Lehrerwitz, in dem der Schüler schlecht dasteht, ist beinahe verschwunden. Die Witze, die heute im Lehrerzimmer erzählt werden, nehmen die Psychologisierung des Berufes und die politische Korrektheit aufs Korn.
Unter Buchhändlern hatte der Witz um die Jahrtausendwende etwas an Terrain verloren, vielleicht auch weil die komische Kundenfrage – die ja zu unserem Beruf gehört wie zum Bäcker das Mehl – eine Weile über den Beruf hinaus als unterhaltsam galt. Am liebsten sind mir die lustigen, aktuellen Geschichten, an denen etwas Wahres ist, die aber mit jeder Wiedergabe an Pointe gewinnen. Es gab sie in meiner Lehrzeit und es gibt sie noch immer:

Kommt ein junger Deutscher in die Buchhandlung und sagt zur ebenfalls jungen Buchhändlerin, er suche das Buch von einem Schweizer Kolumnisten, der auch entsprechend heisse, mit „ä“ im Vornamen und einer Verkleinerungsform im Nachnamen…? „Findest du mich dick?“ fragt die Buchhändlerin. „Nein, nein! Das gefällt mir so!“ antwortet der Kunde.

Anziehungskraft Buch

In den Ferien hatte ich oft Gelegenheit, Winnie The Pooh zu lesen. Das Beispielbuch auf dem iPad wurde mir in den USA gern vorgeführt, sobald ich mich als Buchhändlerin vorstellte. Besonders das Umblättern auf dem Touchscreen hat es den Leuten angetan. Es ist verblüffend, wie sehr die digitale Welt das Buch braucht. Amazon lockt mit verbilligter Bis(s)-Reihe, um teure Frühlingsblumensamen zu verkaufen, Wikipedia will unbedingt das beste Lexikon sein und Google umgarnt niemanden so sehr wie die Bibliotheken.
Freuen wir uns über die grosse Anziehungskraft des Buches! In der neuen Ausgabe unserer Schulzeitung geht es unter anderem um Laufbahnen, die damit begonnen haben: Journalist, Lektorin, Verlegerin. Dazu gibt’s einige sehr realistische Rückmeldungen von Ehemaligen, die im Juni 2009 mit ihrer Ausbildung fertig geworden sind, über ihren Berufseinstieg.
(Ich denke immer mal wieder, dass fünf „Pegasus“-Ausgaben pro Jahr zuviel sind, denn der Aufwand für Redaktion bis Versand ist schon gross. Ich merke dann, dass ich ohne diese viel mehr Einzelbriefe mit Informationen an Lehrfirmen und Lernende versenden müsste und entscheide jedes Schuljahr doch wieder dafür, die fünf Ausgaben zu machen. Dann wiederum finde ich, dass nicht jede davon 24 Seiten haben muss, nur um wenig später festzustellen, dass 3×8 und 4×6 und 2×12 einfach die einzig wahre Seitenanzahl ist.)

News aus der Startwoche

Der Anfang war gut und die Woche blieb es. Die Lernenden der Abschlussklasse haben in meinem Fach ihren letzten Test geschrieben. Auch der letzte „Pegasus“ dieses Schuljahres ist fertig und geht am Montag in Druck. Mit dem Einrichten der Prüfungsbuchhandlung sind die Klassen und ich ebenfalls schon weit gekommen, und das Fundraising für die Abschlussfeier läuft besser als ich das in Krisenzeiten erwartet hätte.
Dazu erreichten mich noch zwei erfreuliche Nachrichten aus meinen beiden Berufen. Zuerst das Persönliche: Ich bin an der Schule fest angestellt worden. (Bis jetzt war ich zehn Jahre lang befristet angestellt, also immer nur für ein Schuljahr.) Dann das Buchhändlerische: Es wird im Buchhandel neu eine Meisterlehre geben, etwas, was zu jedem Beruf gehört. Seit 1923 in Bern die schweizweit erste buchhändlerische Gesellenprüfung – die heutige Lehrabschlussprüfung – stattfand, bemühen sich Buchhändlerinnen und Buchhändler darum. Gescheitert sind wir fast hundert Jahre lang weder am Staat noch an der Wirtschaft, sondern aneinander. Nun haben wir es geschafft, und das ist in unserer heterogenen Branche mit vielen höchst eigenewilligen Teilnehmern ein dipolomtischer Erfolg.

Mathnacht

Mathematikaufgaben 1 Mathematikaufgaben 2
Mathematikaufgaben 3 Mathematikaufgaben 4
Wir helfen wenig bei den Hausaufgaben, aber es gibt Abende, da sitzen wir lange dran. Und weil wir halt zu fast allem Bücher haben, kommen wir leicht vom Hundersten ins Tausendste und dafür wiederum ist eigentlich keine Zeit. Heute wird fast nur auf Ziele und vor allem Resultate hin gelernt und das ist sogar verständlich, bei dem Zeitmangel, unter dem alle leiden. Das Kind hat 39 Lektionen pro Woche Unterricht und es ist leicht auszurechnen, dass so fast jede Hausaufgabe abends, nachts oder sonntags getan werden muss. Für einen knapp Fünfzehnjährigen sind zwar auch noch Freundschaften aufzubauen, es wäre etwas Sport gesund. Und ein wenig Games und E-Musik zu spielen wäre ebenfalls ganz ermunternd. Aber das liegt nur drin, wenn es in der Schule um Lieblingsthemen geht – also um Lernstoff, den einer beinahe von selber, freiwillig und mit grosser Begeiterung aufsaugt und wieder abspult. Meine Meinung zum heutigen Teenager-Leben ändert sich ständig: Manchmal habe ich den Eindruck, die seien zu wenig gefordert und täten aus lauter Langeweile dumme Dinge. Ein anders Mal denke ich, dass sie schon ein richtig doofes Managerleben haben, mit Powerpoints jeden Tag, klingelnden Handys und Partner- Gruppen- und Teamevents, Lernplattformen und Netzwerken, Passwörtern und wiederkehrenden Vorgaben nach Kalenderwoche. Vielleicht werden ja Kindheit und Jugend so schnell wie sie angeschafft wurden wieder abgeschafft.

Das lebendige Schaufenster

Es gab einst eine Buchhandlung, sie lag nicht im Zentrum der Stadt, doch nahe des Bahnhofes, und so eilten Tag für Tag hektische Pendler vor dem Geschäft hindurch, mit geübten Blicken auf die Armbanduhr und dem schnellen Voreinandersetzen der Füsse. Nur selten bog jemand in die Buchhandlung ein, im Schaufenster warteten die verstauben Bücher auf einen mitleidigen Käufer. Ausgestellt fanden sich ältere Werke der deutschen Literatur mit vergilbten Buchrücken und Neuerscheinungen mit schimmerndem Glanz auf dem Buchdeckel von der blassen Sonne, die ins Fenster fiel und dieses beleuchtete, denn Lampen suchte man vergebens. Deshalb beschränkten sich die Öffnungszeiten im Winter auf vier Uhr, das Geschäft lief schlecht. Die Zungen böser Buchhändler wetteten schon, wann sich die Türen für immer schliessen würden. Niemand kannte den Besitzer, man munkelte, er hätte den Laden schon längst aufgegeben und sich in einen Zug nach Rom gesetzt.

Aufs Ganze im neuen Pegasus. Ein amüsanter, richtig anschaulicher Schülerbeitrag ab Seite 3. Danke sehr!

Perspektive nach der Lehre 2010

Ich habe hier auch schon darüber berichtet, dass wir jedes Jahr einen Halbtag für die Abschlussklassen organisieren, in dem es einzig und allein um ihre Perspektive nach dem Lehrabschluss geht. Ihre Fragen und ihre Sorgen können die Azubis vorgängig anonym eingeben, wir schauen dann, dass möglichst alles fachkundig beantwortet wird.
Natürlich gibt es nicht auf alles Antworten, zum Beispiel wissen auch wir Lehrerinnen nicht, ob dieser Beruf eine Zukunft hat und wenn ja, wie lange. Deswegen ist es uns wichtig, buchhändlerische Laufbahnen vorzustellen. Wir haben über die Jahre viele gesammelt und es kommen laufend neue dazu. Daraus geht oft Aufschlussreicheres hervor als aus Branchenpresse und Medien. Bereits Anfang Siebziger wurde von vielen Berufsberatern vom Buchhandel abgeraten, weil es diesen nicht mehr lange gäbe. Trotzdem haben unsere Ehemaligen, die letztes Jahr ihren Abschluss gemacht haben, alle eine Stelle gefunden, sogar die, die noch die Berufsmatura machen und nur einen Tag pro Woche arbeiten können. Dafür sind von den Azubis, die vorletztes Jahr abgeschlossen haben, nurdie Hälfte im Buchhandel geblieben.
In der ganzen Schweiz waren am 31. Januar 2010 nur 89 Buchhändlerinnen und Buchhändler arbeitslos. Bald bin ich ein Vierteljahrhundert in der Buchhandelsbranche und unsere Arbeitslosigkeit lag in dieser Zeit immer unter dem Durchschnitt. Die Fähigkeiten und Fertigkeiten aus dieser Berufslehre scheinen die meisten also ziemlich erwerbstauglich zu machen. Man könnte einwenden, Buchhändlerin sei ein Frauenberuf und die Frauen zögen sich nach der Ausbildung häufig in den Haushalt zurück. Meiner Erfahrung nach stimmt das nicht. Ich kenne jedenfalls keine Buchhändlerin, die länger Hausfrau geblieben ist und nicht einmal eine, die reich genug geheiratet hat, als dass es auch ihr Einkommen nicht ankäme.
Buchhändlerinnen haben immer wieder neue Berufsideen und auch unseren Abschlussklassen mangelt es erfreulicherweise nicht an Plänen.
Perspektiven 2010
Perspektiven 2010

Mitschreiben bei der Branchenpresse

Unsere deutschschweizer Branchenzeitschrift – noch gibt es ihn, den Buchhandel – hat ein gelungenes Relaunch hinter sich. Zum neuen Auftritt gehören auch Lehrlingsseiten, die wir Schulen mitgestalten können. (Eigentlich dürften das auch die Lernenden völlig selbständig machen und ich wünschte mir, sie täten das, verstehe jedoch, dass solche Beiträge inklusive Planung und Schlussredaktion neben der Arbeit zuviel sind.)
Nun haben wir zum ersten Mal mitgeholfen, die entsprechende Nummer des „Schweizer Buchhandels“ ist letzte Woche erschienen. Lernende in unserem Metier (und wohl auch andere) werden nicht gerade verwöhnt mit Lob. Deswegen sind Erfolgserlebnisse und nette Rückmeldungen aus der Branche etwas Besonderes.
Das Thema unserer nächsten Nummer ist „Das Rechnungswesen“ und ich fürchte, die Artikel werden etwas weniger positiv ausfallen als die jetzigen über Schaufenster- und Weihnachtsverkaufserfahrung:
Lehrlingsseite 1.
Lehrlingsseite 2.

Warum Bücher?

Mehr als mein halbes Leben arbeite ich nun für den Buchhandel. Und die Vorstellung, damit aufzuhören, ist mir ein Graus. Dass der Buchhandel für mich ein Teil der Welt ist, für den sich der hohe Einsatz lohnt, habe ich längst gestanden. Einige Buchhändlerinnen und Buchhändler verlassen die Branche leichten Herzens, vor allem in Deutschland hat der Beruf viel Ansehen eingebüsst. Aber es gehen auch viele ungern weg und versuchen sogar dann noch eine Stelle im Buchhandel zu finden, wenn die Vernunft (Arbeitszeit, Lohn, Zukunfts- und Aufstiegschancen) andere Wege wiese. Weshalb?
Um ein gutes Soritment zu pflegen, muss man aufmüpfig sein, denn das wirklich Neue verkauft sich nicht von Anbeginn – ja, vielleicht nie – in Stapeln. Gleichzeitig hat der Buchhandel auch etwas Konservatives, Bewahrendes. Ich kenne einige in der Buchbranche, die Trends problemlos wittern, aber ihren Kompassnadel nach (vermeintlich) vergangenen Werten ausrichgerichtet halten und genau damit erfolgreich sind. Vielleicht ist es die Verbindung zwischen dem, was war und dem, was kommen wird, die uns gefällt und uns hält?

(…) dann die vielen wunderbaren Bücher und wunderbaren Menschen, die mit Büchern zu tun haben

wie mir ein am Buchhandel „Klebender“ – wie er sich selber nennt – zum Neujahr schrieb.
Vielleicht ist es bei mir auch einfach „Heidi“. Das wichtigste Buch in meinem Leben, weil es ein Jahr lang mein einziges war. Wer gern liest und sich jemals länger in der unschönen Lage befunden hat, (fast) nichts zum Lesen zu haben, wird sich bis ans Ende seiner Tage für Bücher stark machen, Reich-Ranicki ist weissgott nicht das einzige berühmte Beispiel dafür. Der Diogenes Verlag hat neulich erste Leseerfahrungen von Schriftstellern zusammengetragen (soweit ich weiss, ist das entsprechende Büchlein nicht einzeln zu bestellen, trotzdem: 978 3 257 79722 0). Darin habe ich gelesen, dass das prägende Leseerlebnis bei Ingrid Noll ebenfalls das „Heidi“ war. Sie hat ihre Kindheit in China verbracht und schreibt zu ihrem damaligen Lieblingsbuch:

Heidi, das arme Tröpfli, wird gleich zu Beginn der Erzählung zu seinem Grossvater auf die Alm gebracht, dick verpackt in mehrere Textilschichten, damit es alle Habe beisammenhat. Als sant-energische Vorgängerin der Pippi Langstrumpf tut Heid das Unerhörte: Auf halbem Weg zu Höhe schält es sich aus seinen Kokons, entledigt sich der schweren Schuhe und springt von da an nur noch im Unterhemd vergnüglich fürbass.

Ich weiss nicht, wie oft ich mein Heidi-Buch gelesen habe, weil ich keine Ahnung habe, wie schnell oder langsam ich mit zehn Jahren im Lesen gewesen bin. Fünfzig oder hundert Mal? Trivialität hin oder her – fernab von daheim kann man wenig Besseres lesen als Spyris Heidigeschichte. Wie Ingrid Noll beweist, braucht man dafür nicht einmal Schweizerin zu sein:
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