Mangel an Arbeitstechnik

Wäre meine Arbeitstechnik grundsätzlich schlecht, wäre das ja wohl einmal in einem Schulbericht oder Arbeitszeugnis erwähnt worden. Ist es aber nicht.
Nur arbeite ich leider wie meine Ahnen, die beispielsweise Feldmesser und Mauser waren – nicht allzu gestresst, dafür permanent. Und nehme ich mir die Auszeit, die das heutige hyperkommunikative und hochtechnisierte Arbeitsleben sehr wohl erfordert, also Ferien oder Feiertage, versinke ich anschliessend im Pendenzenchaos. Das äussert sich in Form entfesselter Befehle an mich selber auf Zetteln, auf Zeitungsrändern, auf Post-its, im Handy, im Outlook, im GroupWise, auf Buchzeichen – überall fliegt und piept ein Soll – von jeder Logik abgekoppelt und Lichtjahre entfernt von der mir sonst heiligen „Einheit der Materie“.
Meine Frau Supervision empfiehlt dasselbe wie die Millionenauflagen an Ratgeberliteratur für Neurotikerinnen zwischen Beruf und Familie. Genügend abschalten, Freizeit üben, sich selber Gutes tun. Dann das Gemachte aufschreiben, markieren, jubeln, auf den Moment konzentrieren, aufdenMomentkonzentrieren… Arbeit kann zur Sucht werden, Sport auch, Hobbys auch, Kinder auch, Küche auch, aufpassen! Und weil sie sehr nett und mir in der Regel eine Hilfe ist, auch wenn sie mich auf der Strasse nicht erkennt kann, was sie mir aufträgt, nicht schädlich sein. Ich soll jetzt also das Erledigte anstelle des Unerledigten und in gleicher Manier notieren.
Und bloggen. Also nicht, dass sie mir Letzteres geraten hätte, obwohl’s ein guter Tipp gewesen wäre.
Am 27.12. unternommen und erledigt

Winterzeit

Weiterbildungsnachweis

Wieder einmal eine Seite im Weiterbildungsnachweis voll.
Dankbar für die zusätzliche Stunde, um das Badezimmer zu putzen, Zahlungen zu machen, dem Kind beim Zusammentragen der Eckdaten zur Hiphop-Geschichte zu helfen, E-Mails zu beantworten, 39 Tests zu korr… Äh, entschuldigung, das hier darf kein Pendenzenblog werden.
Schönen Sonntag allerseits.
Melde mich.

Swissness IV

Eine Frage, die ich mir Zeit meines Lebens ca. 200 Mal gestellt habe und der Mann sich ca. 5’000 Mal („seit meinem 8. Lebensjahr!“) gestellt hat, ist endlich beantwortet.
Platznummerierung bei der SBB
Welche Logik steckt hinter der Platznummerierung in SBB-Zügen? Dass da keine wäre, haben wir beide nie in Betracht gezogen.
Dank einer Bund-Kolumne und einem pensionierten SBB-Logistiker, der der Zeitung auf die Sprünge geholfen hat, wissen wir es jetzt: Merci AskForce vom 16. Oktober 2006!
Das ist die Swissness, die wir wollen – jedes Wort davon – und ganz besonders die Pointe im letzten Satz.

Notiz an mich

Heute war ein Tag Weiterbildung zum Thema Interpretation der betriebswirtschaftlichen Kennzahlen im Buchhandel. Die Bildungsanlässe für unsereins steigen sonntags, weil das ja der einzige Tag ist, an dem alle teilnehmen können.
Jetzt weiss ich immerhin, warum der Cashflow (Reingewinn + Abschreibungen) vom ebenfalls angelsächsischen EBIT (Reingewinn + Steuern + Zinsen für Fremdkapital) und vom EBITDA (EBIT + Abschreibungen) abgelöst wird. Im angelsächsischen Raum sind die Zinsen offenbar höher und deswegen relevanter; den Rest erledigt der globale Zugzwang, weil viele Buchhandlungen Töchter einer grossen Mutter und unbedingt international zu vergleichen sind.
Und wer erklärt das wieder den Heerscharen, die keinen Bock auf sonntägliche Kennzahlen haben? Also Lehrbuchautor war keiner zugegen. Aber was soll’s – jeder muss lernen, sich nicht mehr für alles verantwortlich zu fühlen.
Und morgen habe ich schon wieder eine Schulung in einer neuen Welt, der BAM. Damit ich dann dort im Community-T-Shirt mit dem neuen Claim drauf richtig und adressatengerecht kommuniziere. Dem sehe ich allerdings gelassener entgegen.
Nach unzähligen zweiundzwanzig Buchmessen werd ich hoffentlich an einer Ausbildungsmesse nicht scheitern.

C’est la vie

Gestern hatte ich eines von acht Referaten an einer Branchenveranstaltung. Ich hatte den Job bekommen zu erklären, weshalb aus Buchhändlern nicht – schnipp, schnapp – einfach Detailhändler werden können. Und dass man jetzt gerade so schön am Reformieren ist, macht die Idee auch nicht besser.
Es war eher eine der undankbareren Aufgaben meines Berufslebens. Und natürlich kam ich am Powerpoint nicht vorbei. Gottlob konnte ich bei einer unbewegten Variante bleiben.
Ich habe meinen Kolleginnen und Kollegen ans Herz zu legen versucht, dass das Buch neben dem konkreten Objekt eben auch ein abstraktes Objekt sei, weil wir ja die Bücher nicht hauptsächlich nach Titelbaltt auswählen, sondern nach Inhalten. Und weil wir höchstselbst auswählen und nicht unser Warenwirtschaftssystem, müssen wir Menschen ausbilden, die Inhalte mögen und motiviert sind, die Wahl jeden Tag neu richtig zu treffen. Ich habe die Detailhandelsfachfrauen befragt, warum sie als Zweitausbildung noch Buchhändlerin lernen, ich habe die Anzahl Lehrabbrüche in beiden Berufen geprüft und auch die Medianlöhne verglichen. Der Berufswunsch bei uns ist ausgeprägt, die Identifikation hoch, wir haben weniger abgebrochene Lehren als andere Verkaufsberufe und gleich wenig Lohn danach. Seit Februar begründe ich nun, weshalb eine angehende Buchhändlerin mehr als 80 Lektionen Branchenkunde auf drei Jahre verteilt braucht, weshalb sie etwas von Literatur verstehen sollte und weshalb Bibliografieren lernen seine Zeit braucht. Ich habe mich ans Ende meiner Kräfte argumentiert und mit Hilfe von anderen Fleissigen gestern eine Konsultativabstimmung gewonnen. Nicht rosig, aber immerhin eindeutig. Doch als ich im Zug nach Hause sass, befragte ich mich selbst dazu, ob das alles Sinn oder nur noch Wahnsinn ist.
Und heute Abend habe ich einen Workshop zum Thema „Networking“ gemacht, weil ich von einer SP-Sektion dazu eingeladen worden bin. Alle waren sehr nett, alle waren top informiert und hatten mindestens so viel Ahnung vom Thema wie ich. Meine Vorbereitungen waren nicht nur unpassend, sondern schon fast lächerlich.
C’est la vie, c’est la vie – wie das Kind zu sagen pflegt.

Kreativpause

Wenn die bekennende Betonikerin den Schrei der Pflanzen nach Umtopfen erhört, so ist das ein Ablenkungsmanöver.
Erdreste
Zum Beispiel vom Erstellen mündlicher Prüfungen. Neununddreissig Prüfungen à sechs Fragen zu den Themen: Grundlagen des Buchhandels, Beschaffung, Lagerhaltung, Marketing und Administration. Bitte gleicher Schwierigkeitsgrad, dafür mit offener und individueller Formulierung. (Etwas anderes ergibt im SMS-Zeitalter, in dem eine Prüfung nur ein paar Minuten geheim bleibt, auch gar keinen Sinn mehr).
Enzian zwischen Pfefferminz von zweierlei Sorte
Ich habe Gartenbau verabscheut. Das Fach stand in der Steiner-Schule über Jahre auf meinem Stundenplan. Ich habe mich hauptsächlich mit Gurkenzucht durchgeschlagen, denn die Gurken leben vom regelmässigen Giessen allein. Das ging fast ohne dreckige Hände und ohne dass jemand ihnen anmerkte, dass ich die Mondphasen sträflich ignorierte. Die Schnecken wehrte ich sauber ab, indem ich um mein Gurkenbeet Scherben einsteckte, obwohl mir die Gartenbaulehrerin stets riet, die „lieben Tierli“ besser endgültig entzwei zu schneiden. (Schneckenkörner sind in der biologisch-dynamischen Landwirtschaft verboten.)

Nicht mein Tag

Bereits am Morgen hatte ich das Unterrichtsmaterial für das 3. Lehrjahr vergessen. Während die Schülerinnen und Schüler einen Test schrieben – der nur durch Zufall dem heutigen schwarzen Loch entgangen war – konnte ich immerhin kurz überlegen, was überhaupt auf dem Programm stand. Danach hätte ich eine Klasse beschäftigen sollen (so nennen wir das, wenn jemand abwesend ist und jemand anderen beauftragt, der Klasse Aufgaben zu geben), aber leider hatte ich auch deren Unterlagen verlegt. Es blieb nichts übrig, als mich vor die Lernenden hinzustellen, aus einer grossen, schweren Aschenschublade Asche auf mein Haupt zu streuen und reichlich verschmutzt in die nächsten Stunden mit dem 2. Lehrjahr zu eilen.
Auf der Suche nach allem Verlorenen habe ich am Nachmittag meinen Schlüsselbund liegen lassen, unbemerkt, versteht sich. Als ich also mit Familienverpflegung und Tulpen (etwas fürs Auge lindert den Druck) aus dem stinkenden Lift stieg, merkte ich es dann. Ich liess den Einkauf stehen und die Blumen schlampen, kehrte wieder um und holte dem Mann seinen Schlüssel an dessen Arbeitsplatz. Endlich daheim, die Tulpen knapp gerettet, klingelte das Telefon. Eine besorgte Mutter vom Freund vom Kind war dran und es ward lang. Kurzfassung: Die Kinder haben ihre Handys nicht im Griff, ihr Kind hat von meinem Kind Bluetooth-Know-how erhalten und deshalb ist es jetzt eine Sucht. (Schon der zweite Anruf in Handy-Sachen binnen einer Woche, ich nehme an, es waren Kinder mit Pornos und Morden auf dem Display auf irgendwelchen TV-Kanälen bei Supernannys.) Ok, ok – no Vodafone und ein Budget für die Telefonie ist offenbar kein ausreichendes Erziehungsprogramm, ich gebe mich geschlagen. Ich mache alles, was die Anrufenden von mir verlangen und die Aschenschublade steht ja schon da.
Sofort nach diesem Anruf kam der nächste. Aus meiner Schule. Mein Schlüssel sei gefunden worden, allerdings müsse ich zuerst mit dem Leiter des haustechnischen Dienstes verbunden werden. Dieser hatte mit mir ein Hühnchen zu rupfen, denn an meinem Schlüsselbund befand sich ein Schlüssel, den ich nicht haben dürfte und von dem sich niemand erklären könnte, wie er zu mir käme. Ich antwortete todernst – synchron mit einem sichern Griff in die Asche – dass ich den Schlüssel im Sekretariat gestohlen hätte. Worauf er mich darüber informierte, den besagten Schlüssel von meinem Bund entfernt zu haben, voilà. Wenn ich dann irgendwo nicht mehr rein könne, könne ich ihn ja anrufen.
Und nun darf ich den Schlüsselbund wieder abholen. Zum dritten Mal vom Aussenquartier in die Stadt, macht ja nichts, kann auf dem Weg gerade noch dem Kind die Gitarre für die Musikstunde bringen und das Handy wegnehmen.

Heine, der meine

Vor 15 Jahren war ich mitten in der Vorbereitungen für meine Lehrabschlussprüfung. Gerade habe ich überlegt, was ich damals wusste über das, worüber ich heute Bescheid wissen muss.
Ich wusste, wann Mozart Geburtstag hatte, das war schon in der Steiner-Schule wichig gewesen. Und ich kannte die Hamas dem Namen nach, sie machte damals als terroristische Bewegung Schlagzeilen, die den Judenmord propagierte und Israel das Existenzrecht absprach. Ich bin nicht ganz sicher, aber ich glaube, von Johannes Raus Existenz hatte ich keine Ahnung, aber später habe ich ihn als Bundespräsident sehr geschätzt. Den internationalen Gedenktag für die Opfer des Holocaust konnte ich gar nicht kennen, denn der wurde erst letztes Jahr von der UNO erklärt, nachdem Raus Vorgänger Herzog diesen Tag im Jahre 1996 in Deutschland eingeführt hatte.
Auch wenn 1991 vieles anders war, haben sich meine Interessen seither nicht sehr verändert. Ja, selbst die Lehrabschlussprüfungen beschäftigen mich in dieser Zeit, und ich habe nicht vergessen, wie es ist, sich davor und vor der nachträglichen Stellensuche zu fürchten.
Ich hatte damals exakt nach Vorgabe und pünktlich meine Prüfungsthemen für „Kulturkunde“ eingereicht. Mein Lehrer fand, ich müsste bei meinem letzten Thema – „Jüdische Lyrik im Exil“ – zwei Schwerpunkte setzen. Erstens auf „Die schlesischen Weber“ von Heinrich Heine und zweitens auf „Hoere Teutschland“ von Mascha Kaléko. Und weil er Zweiteres in keinem Buch hatte, musste ich das Gedicht heraussuchen, für ihn abtippen und ihm zusenden. Das waren noch Zeiten.
Dass ich Heine verehre, seit ich ihn kenne, bringt mich dieses Jahr in der Schule wie der Blogosphäre in die Bredouille. Es sind so viele Veranstaltungen, Ausstellungen, Aufführungen, es erscheinen Biografien und Sonderausgaben und allüberall Expertenmeinungen. Unmöglich, etwas Neues zu sagen. Denn Redundanz ist meine Sache nicht.
Doch als Leserin habe ich ein Verhältnis zum Buch und seinem Autoren. Und wenn es wirklich gut ist, bin ich auch noch eine Figur darin, mir kann das sogar bei Sachbüchern passieren. Und das macht die Beziehung zu einem grossartigen Werk wie dem Heines zur Intimität. Meinen schon fast körperlichen Schmerz darüber, dass der „Rabbi von Bacherach“ ein Fragment geblieben ist und „der Schluss und die folgenden Kapitel ohne Verschulden des Autors verlorengegangen [sind]“, wie es in meiner DDR-Ausgabe heisst, kann niemand sonst ermessen. Wie ich ihn heute Nacht, wie ich ihn gestern und wie ich ihn vor 15 Jahren gelesen habe, ist anders.
Meine Bücherregale biegen sich und ich veneige mich vor Heine.
Deshalb will ich auf meine Kernkompetenz besinnen und meinen Helden, den Kecken, den Gnadenlosen, den Reimer, den Journalisten, den Prognostiker, den Fallensteller, regelmässig empfehlen. Dies in der Überzeugung, dass es der persönliche Weg ist, der uns Leser über das Jubiläumsjahr hinaus weiter führt zu einem Dichter, ohne den ich eine andere wäre.