Ich weiss nicht, wie andere Zusammenlebende das machen, ob sie nun Familien mit oder ohne Kinder, ob sie nun gleichen oder ungleichen Geschlechts sind: sie müssen sich regelmässig treffen und keine Bediensteten der Welt können ihnen das abnehmen. Denn Entfremdung führt zu Problemen, die erst mitgekriegt werden, wenn sie schon riesig sind. Eine geschätze Politikerin und äusserst vernünftige Frau hat mir erzählt, wie sie eines Abends früher nach Hause gekommen ist, ihre Familie einmal nicht aus dem Nach-Sitzungs-Blickwinkel angeschaut hat und feststellen musste, dass ihre Tochter klapperdürr war. Es war ihr nie zuvor aufgefallen, denn es war doch alles so gut organisiert.
Jetzt werden die meisten seufzen, dass ihnen das nicht passieren kann, dass sie es bemerken würden, wenn ihre Kinder, Partner wer-auch-immer, mager- oder sport- oder alkoholsüchtig wären und dieses Gefühl ist wunderbar und soll genossen werden. Meine leisen Zweifel sind es, die mich die Famlientermine gleichwertig mit allen anderen in die Agenda eintragen lassen.
Und einmal die Woche schaffen wir sogar einen Lunch und sehen uns mitten am hellichten Tag. Und weniger als zu zweit waren wir drei dabei noch nie.
So lasst ihr dem „Entfremden“ keine Chance, obwohl ihr den Sonntagsspaziergang dem (pubertierenden) Kinde nun erlassen habt. Ein mich berührender Beitrag, chapeau.
Es kommt nicht nur darauf an, wie oft man zusammen isst. Wesentlicher scheint mir die Stimmung am Tisch. Wenn ich Eure Tischgespräche lese, wird mir immer warm ums Herz. Das ist doch der beste Kitt für die Familie!
Und ich finde es schön, Tanja, dass Du uns, die Leser, Teil daran haben lässt.
Nebenbei: Kannst Du vielleicht eine Kategorie „Tischgespräche“ einrichten? Es liesse sich dann die Entwicklung des Kindes gut verfolgen…
Danke auch. Aber das Beispiel mit der „geschätzten Politikerin und äusserst vernünftigen Frau“ finde ich doch ziemlich krass. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass einem so etwas nicht auffällt! Bin ja auch ein Sitzungstiger, Arbeit am Wochenende und so (heute um 12 Uhr steht der Versand für diese ominöse GV an – die mit dem Drehbuch…), aber ich würde trotzdem zu behaupten wagen, dass mir das nicht passieren könnte. Es gibt einen Bereich von Vernachlässigung, zu dem auch vollamtliche Hausfrauen fähig sind (bzw. den man wohl fast nicht vermeiden kann – das soll kein Vorwurf an meine Mutter sein, aber sie hat wohl auch nicht immer geschnallt, wie’s grad in mir aussah, als ich pubertär und leidend war ;-)), aber wenn die Tochter nicht mehr isst?! Ich würde auch für dich meine Hand ins Feuer legen, dass das bei dir nicht möglich wäre.
@ll. Merci!
Vered, du kannst bei der Stichwortsuche einfach „Tischgespräch“ eingeben, dann hast du sie alle! Aber sie gehören halt schon in das „Leben daneben“ 🙂
Wühler: Leider bin ich mir da nicht so sicher, ich kenne schlicht zu viele Familien, die sich alle Mühe gegeben haben und es sind trotzdem Probleme nicht erkannt worden. Gerade Ernährungsprobleme brauchen viel Zeit und Sensibilität. Aber du hast sehr recht, es kommt überall vor und auswärtige Arbeit ist überhaupt nicht immer der Grund für das Nicht-Bemerken, manche Kinder entziehen sich auch Hausfrauen-Müttern.
Ich denke, dass es für alle – nicht nur für Kinder und Eltern – nur diesen einen Weg gibt: das Zusammensein darf keine Manöveriermasse werden.
Tanja, bei Dir hätte ich Tochter sein mögen! *Seufz*
Nach meiner eigenen Kinderaufzieh-Erfahrung geht es so goldrichtig bei Euch zu, daß Ihr gewiß kein Geld für den Psychoanalytiker zurücklegen müßt. Und was das Bemerken angeht: Oft bemerkt man etwas sehr Unangenehmes lange nicht wirklich, weil man es zwar unbewußt registriert, aber nicht wirklich wahrnehmen will. (Verleugnen heißt das auch). Man macht das ja nicht willentlich. Und erst wenn’s zum Himmel stinkt, kann man es nicht mehr vermeiden, etwas zur Kenntnis zu nehmen, wofür man sich auch selbst verantwortlich machen muß. In meinem familiären Umfeld ging das so mit einem Kind, das jahrelang depressiv war und die Eltern wollten es nicht sehen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf … Leider war es irgendwann zu spät und der Junge hat sich umgebracht.