Täglich treffe ich viele Entscheidungen für soziale Beziehungen, die gleichzeitig Entscheidungen gegen mein eigenes soziales Netz sind. Das geht wohl den meisten in Menschen-Berufen so.
Heute zum Beispiel wäre ich gerne der Einladung eines Kollegen ins Haus der Religionen, das bei mir um die Ecke liegt, gefolgt. Ich habe mich aber dagegen entschieden, weil ich Mitarbeitergespräche in einer Weise dokumentieren will, wie es mir in meiner Arbeitszeit nicht möglich ist und in der Folge die Protokolle häufig sonntags schreibe. Dies nicht aus reiner Gewissenhaftigkeit, sondern weil es die Lehre ist, die ich nach 53 solchen Gesprächen und zehn Jahren Führung von Lehrpersonen aus Konflikten gezogen habe.
Heute war das Abwägen der Beziehungspflege am einen und anderen Ort besonders dialektisch. Gerade findet ein vielversprechendes Symposium zur HIOB-Frage statt, welches mich auch für meine Mitarbeitergespräche interessiert hätte. Leiden ist zunehmend weniger eine existenzielle Erfahrung, keine Prüfung ohne absehbares Ende. Leiden ist eine Herausforderung, die wir mit Sinn und Verstand eigenverantwortlich zu terminieren suchen. Das beschäftigt mich und meine Mitarbeitenden häufig. Bei Unfall, Krankheit und Verlust sind Hadern wie auch Akzeptanz des Schicksals bei jedem Schritt des Wiedereinstieges die wichtigsten Gesprächsthemen.
Pointiert formuliert Katharina Kilchenmann in der neuen Nummer von reformiert (Artikel S. 2 unten) die Ausgangslage:
Die letzten Ferien waren super, der Job ist total kreativ, mit den Kindern verbringen wir Quality-Time und unser Gewicht und die Beziehungen haben wir im Griff. Alles läuft grossartig. Wer aber in der Welt der Superlative nicht mithalten kann, hat ein Problem. Und wer gar von einem Schicksalsschlag ereilt wird, kann sich nur retten, indem er flugs die Trauerarbeit angeht, erkennt, was das Ereignis mit ihm zu tun hat, um dann möglichst schnell wieder auf der allgemeinen Erfolgswelle mitzureiten.