Meine Freundinnen wissen es, weil sie’s oft genug anhören müssen: Bei mir will einfach keine richtige Hoffnung aufkommen, dass Hillary Clinton die erste amerikanische Präsidentin wird. Ich halte sie für eine sehr fähige Politikerin und im Gegensatz zu vielen auch für glaubwürdig. Ich habe im Laufe der Zeit einiges von ihr und über sie gelesen und heute Abend wieder einmal ein paar Stunden Videos und Radiosendungen gehört, in denen sie sich über die Jahre hin geäussert hat. Sie argumentiert vor allem in innenpolitischen, sozialen Fragen stringenter als die meisten. Was andere ihr als Opportunismus auslegen, sehe ich eher als etwas misslungene Anpassung an die Backlashes, von denen die globale Welt heimgesucht wird. Den Umgang damit müssen alle Fortschrittlichen üben. Vor acht Jahren habe ich schweren Herzens eine Wette auf ihre Nicht-Nomination gewonnen, allerdings hätte ich dabei nie gedacht, dass ihr gerade Obama den Rang ablaufen würde.
Ich kenne die USA nur ein wenig. Ich habe das Land zwar mehrmals bereist (auch Flyover States) und zweimal in Behindertenheimen da gearbeitet (immer ländlich, einmal New York State, einmal Minnesota), es ist jedoch viel zu gross und zu verschieden, als dass ich es je erfassen könnte. Die Kontakte zu den Menschen haben mich viel gelehrt – eben auch, dass man in diesem Einwanderungsland nicht agnostischen, gescheiten Frauen vertraut. Als Schweizerin ist mir zudem die Situation geläufig, in der alles von der Mobilisierung abhängt und mehr als 50% für die anderen genügen, um Kamikaze-Entscheidungen zu fällen, die alle zurückwerfen. Den tiefen Graben – oder eher die klaffende Wunde – zwischen denen, die verlieren oder zu verlieren glauben und denen, die optimistisch in die Zukunft blicken, kenne ich ebenfalls aus vielen Jahren Politik in der Peripherie. In der Stadt wählen erstere wenig, sie sind nicht aktiv, in ländlicher Gegend hingegen sind sie häufig die einzige politische Kraft. Und Hillary Clinton vereint alles, was sie seit jeher hassen. Zudem lässt sich auf sie projizieren, was sie fürchten. Das bringt Mobilisierung für Trump in den Swingstates.
Weniger klar, aber in meinen Augen auch wahr: Frauen kommen in westlichen Ländern grundsätzlich nicht in höchste politische Machtpositionen. Ausnahmen gibt es, wenn es differenzierte, kommuniktionsintensive und vor allem endlose Arbeit zu machen gibt, dort, wo man juristisch beschlagen, topfit und vielsprachig sein muss, aber das Amt einen nicht nachhaltig bekannt macht (z.B. bei der EU). Oder als Ziehtöchter von Männern, häufig auch in der Kombination mit Unterschätzung, weil alle meinen, sie seien lenkbar. Ruth Dreifuss und Angela Merkel sind dazu meine Lieblingsbeispiele. (Auch wenn erstere in Vergessenheit geraten ist, ihre Errungenschaften wie das Krankenversicherungsgesetz, die Mutterschaftsversicherung, die kontrollierte Drogenabgabe brachten Riesenveränderungen.) Manchmal hilft auch Zufall: Es steht zwar ein Mann in der ersten Reihe, der aber unverhofft stolpert, wie im Falle von DSK und Lagarde.
Hoffentlich irre ich und alle, die meine Angst, dass es Hillary nicht reicht, teilen. Die Reden am Parteitag der Demokraten waren bis jetzt in jeglicher Hinsicht ausgezeichnet und vielfältig zitierbar. Michelle Obama und Bernie Sanders könnten auch einige Nicht-Wähler mobilisiert haben, was extrem wichtig ist, weil es dem Gegner auf jeden Fall gelingen wird. Und sollte Trump Präsident werden, ist ihm – wie seinem Vorgänger – die Mehrheit im Kongress nicht automatisch sicher. Und die Erde dreht sich weiter.
Ja, liebe Tanja,
Deine Befürchtungen teile ich.
Und hoffe, dass sie sich nicht bewahrheiten.
Es wäre ein Hoffnungsschimmer in einer ansonsten aus den Fugen zu geraten drohenden Welt.
Vor zwei Tagen ein sehr guter Artikel von Constantin Seibt über „Frau Clinton hört zu“.
Chronistinnenpflicht:
Trump liegt zwar mit einem Wähleranteil von derzeit 46,5 Prozent um 1.6 Prozentpukte hinter Clinton. Aber er hat mit mindestens 62.3 Millionen Stimmen das höchste Ergebnis eines republikanischen Präsidentschaftskandidaten seit jeher erreicht. Damit wäre auch widerlegt, dass er nur dank tiefer Wahlbeteiligung gewählt wurde. Ganz im Gegenteil, die Mobilisierung ist ihm und seinem Trupp so gut gelungen, wie ich es befürchtet hatte. Ich möchte nicht wissen, wie viele Cars der Ku-Klux-Clan an die Wahlurnen gekarrt hat.