…auf einer Zugfahrt Bern-Zürich am Freitag, 22. September:
Frau Kaltmamsell hat ihren schönen Text Vaters Tochter mit einer interessanten Überlegung zur Reaktion auf Erfolg abgeschlossen. Das hat mich als missgünstig veranlagten Menschen nicht kalt gelassen. Doch die Anlage ist eines, die Aktion etwas anderes.
Frau Radisch zum Beispiel ist mir unsympathisch. Eine äusserst belesene Person zwar und zweifelsfrei eine fundierte Buchkritikerin. Hat einen netten Mann, drei nette Kinder, ein paar akademische Titel, ein breites Lächeln, ein fotogenes Gesicht, jede Menge Ansehen – aber im Grunde kann sie nicht viel mehr als viele andere.
Mit den Jahren ist auch mir klar geworden, dass Missgunst auf Irrtümern beruht. Deshalb gelingt es mir heute in der Regel, meinen neidischen Gedanken korrigierend entgegenzuwirken. Und weil ich im Zug sitze, habe ich auch gerade ein Beispiel davon anzubieten.
Neben mir hat eine gut aussehende Mutter mit zwei gutaussehenden Kindern von schätzungsweise 10 und 13 Jahren Platz genommen. Die ältere Tochter – in der Berufswahlphase, wie ich dem ausgewogenen Gespräch entnehme – liest einen Jugendkrimi, der jüngere Sohn einen Abenteuerroman, die Mutter einen Artikel vom vergangenen Mittwoch, zum 90. Geburtstag von Paul Parin (den ich längst gelesen habe, hähä).
Drei freundliche Menschen fahren friedlich nach Zürich-Kloten, um von da aus für 14 Tage in die Herbstferien zu fliegen. Es gäbe zahlreiche Gründe, sich daran zu erfreuen.
Gedanken ohne Filter: Voilà, ds Mami hat ihre Kinder in der Nähe, fliegt mit Papis Geld ans Meer, während ich mich auf dem Weg zu einer Sitzung noch durch die Traktandenliste beisse und schnell eine Aufstellung dessen mache, was das Kind fürs Sportlager braucht, welches es in seinen Ferien besucht, weil die Eltern ja arbeiten. Den Aufpreis für die erste Klasse berappe ich selber und übers Wochenende werde ich Wäsche machen, Schuhe und Jacken imprägnieren und meinem Chef seine Texte in 9-Punkt-Times gegenlesen, während die in der Sonne liegt und sich vom Hotel bekochen lässt. Hausfrauen!
Gedanken im Korrekturmodus: Die Frau beneidet mich auch. Die denkt sich, mein Gott, diese Schnepfe sitzt hier in der ersten Klasse, tippt etwas Wichtiges in ein teures eigenes Notebook; macht eine nette Karriere, während ich mit den Kindern allein auf Korfu rumhänge und Glück habe, wenn ich dort einen Erwachsenen unter Siebzig treffe.
Wir machen beide unser Ding so gut wie wir es vermögen – that’s it. Was verdiente und was unverdiente Erfolge sind – who knows. Das verflixte an der Missgunst ist ja, dass sie die Wirklichkeit aushebelt. Wie beim alten Witz vom Dällebach Kari, der zu seinem Kollegen sagt:
Es git immer drei Wahrheite: Dini, mini und wie’s isch.
Aber es ist ein gutes Gefühl und eine hehre Herausforderung, Neid, Missgunst und Niedertracht gegenüber erfolgreichen Mitmenschen zu bekämpfen. (Na ja, ausser bei Frau Radisch vielleicht.)
Ein einleuchtendes exemplarisches Beispiel. Muss ich beim nächsten Zusammentreffen mit NachbarInnen im Lift ausprobieren -Sichtweisen.
Aber gestern im Dälhölzli, das war wirklich x3 ein schöner Nachmittag!
Auch eine Notiz an mich! Unangenehm diese missgünstigen Gedanken, aber beruhigend zu wissen, wo der Knopf für den Korrekturmodus ist! Ich bin kürzlich zu diesem Thema einem Buch begegnet. Mutig von mir, einer Buchhändlerin ein Buch zu empfehlen, aber ich tu’s trotzdem:
Neid und Eifersucht, die Herausforderung durch unangenehme Gefühle von Verena Kast
Ich finde ihre Beobachtungen zur Missgunst sehr treffend.
Evelyne – das Buch kenne ich zwar, aber die Lektüre habe ich nicht mehr so genau im Kopf. Wird Zeit, dass ich wieder einmal reinschaue, Kast ist wohl die allereinzige Lebenshilfelektüre, die ich (in der Regel gut) ertrage. Dabei hätt‘ ich’s vielleicht nötig…