Mein Tagebuchschreiben begann gleichzeitig mit dem Schreiben, das war noch vor der Schule. Ich mochte Jahrestage und verglich die Ereignisse mit buchhalterischer Akribie. Auch die UNO-Tage und -Jahre scheinen mich schon früh beeindruckt zu haben, jedenfalls notierte ich am 31.12.1979 eine Schlechtbehandlung durch meine Mutter “am letzten Tag des Jahrs des Kindes”. Dabei liess ich unerwähnt – wohl weil es mir damals gar nicht bewusst war – dass meine Mutter nur wenige Tage vorher meine Schwester geboren hatte und schon wieder den Haushalt schmiss, in einer zu klein gewordenen Dreizimmerwohnung mit ebensolchem Budget, dafür mit offener Tür fürs halbe Quartier.
Die Notiz kam mir bei der Suche nach Zeichen der frühen Kindheit in die Hände, über die ich mich neulich mit meiner gleichaltrigen Cousine länger unterhalten hatte. Ich las diese Nacht Breife und Tagebücher und suchte nach Fotos unserer ersten Jahre, von denen es gar nicht so viele gibt (das war eine Geldfrage damals). Wir hatten gesellschaftlich schlechte Prognosen bei unserem Start ins Leben um die Jahreswende 1969/70. Nicht einmal geheiratet waren unsere Mütter worden! Ein Vater bereits bei der nächsten, der andere auf dem Absprung nach Indien. Als Kinder wurden wir schräg angeschaut, weil wir den Namen unserer Mütter trugen, der eigentlich der Name unseres Grossvaters war, seinerseits ebenfalls ein Unehelicher. Köpfe wurden geschüttelt und Nasen gerümpft auf dem Dorfe. Und unsere Mütter? Sie arbeiteten. Am Tag für Geld, am Abend für den Haushalt und in der Nacht nähten, strickten und häkelten sie unsere Kleider, passende Ringelsocken inklusive. (Und in diesen Kleidern sehe ich auch heute noch das Rebellische meiner Mutter, sie machte es immer gern eine Tick anders, ein Muster mehr, ein Janis-Joplin-Schnitt beim Röckli, ein paar Bubenschuhe zu den Manchesterhosen.) Ob hippig oder heimeling, unsere Mütter überliessen ausser unserer Entstehung nichts dem Zufall. Sie förderten uns nach Kräften und schickten uns sogar je in eine Privatschule. Ich war von der ersten bis zur letzten Klasse in der Rudolf-Steiner-Schule, und meine Mutter spann und strickte sich für deren Basare die Finger wund. Natürlich färbte sie auch hunderte von Ostereiern für den Marktstand der Schule und nähte aus kostengünstigen Stoffresten die Kostüme für unsere Theateraufführungen. Sie arbeitete als Erzieherin und Bibliothekarin und sie las Berge von Büchern. Als sie die Volksbibliothek durchhatte, fuhr sie in der Unibibliothek fort. In den Neunzigern erschloss sie sich den Computer, in neuen Jahrtausend begann sie mit Bloggen, was sie bis heute tut. Meine Cousine und ich unterhalten uns oft darüber, wie viel wir unseren Müttern verdanken und schulden. Sie verlangen jedoch weder Dankbarkeit noch geben sie uns das Gefühl, in ihrer Schuld zu stehen. Sie wollen einfach, dass wir frei sind und für uns selber und die kommenden Generationen weiterkämpfen um den gerechten Anteil an Macht, Geld, Welt. Machen wir. Versprochen!
Da seid ihr ja, ihr beiden herzigen Kusinen, beschützt von Grossvater, damit euch am emmentalischen Überlandsträsschen ja nichts passiert (1972).
Das Gilet nähte ich aus einem (neuen) Hirschlederputzlappen, das Kleidchen aus einem Rest Vorhangstoff. Die Ringelsocken sind selbstgestrickt.
Heute seid ihr kleidermässig für jedes Wetter, sei’s drinnen oder draussen, bestens gerüstet. Das finde ich einfach super!
Schon längst sind Vorhänge Vorhänge und Putzlappen Putzlappen.