Heine, der meine

Vor 15 Jahren war ich mitten in der Vorbereitungen für meine Lehrabschlussprüfung. Gerade habe ich überlegt, was ich damals wusste über das, worüber ich heute Bescheid wissen muss.
Ich wusste, wann Mozart Geburtstag hatte, das war schon in der Steiner-Schule wichig gewesen. Und ich kannte die Hamas dem Namen nach, sie machte damals als terroristische Bewegung Schlagzeilen, die den Judenmord propagierte und Israel das Existenzrecht absprach. Ich bin nicht ganz sicher, aber ich glaube, von Johannes Raus Existenz hatte ich keine Ahnung, aber später habe ich ihn als Bundespräsident sehr geschätzt. Den internationalen Gedenktag für die Opfer des Holocaust konnte ich gar nicht kennen, denn der wurde erst letztes Jahr von der UNO erklärt, nachdem Raus Vorgänger Herzog diesen Tag im Jahre 1996 in Deutschland eingeführt hatte.
Auch wenn 1991 vieles anders war, haben sich meine Interessen seither nicht sehr verändert. Ja, selbst die Lehrabschlussprüfungen beschäftigen mich in dieser Zeit, und ich habe nicht vergessen, wie es ist, sich davor und vor der nachträglichen Stellensuche zu fürchten.
Ich hatte damals exakt nach Vorgabe und pünktlich meine Prüfungsthemen für „Kulturkunde“ eingereicht. Mein Lehrer fand, ich müsste bei meinem letzten Thema – „Jüdische Lyrik im Exil“ – zwei Schwerpunkte setzen. Erstens auf „Die schlesischen Weber“ von Heinrich Heine und zweitens auf „Hoere Teutschland“ von Mascha Kaléko. Und weil er Zweiteres in keinem Buch hatte, musste ich das Gedicht heraussuchen, für ihn abtippen und ihm zusenden. Das waren noch Zeiten.
Dass ich Heine verehre, seit ich ihn kenne, bringt mich dieses Jahr in der Schule wie der Blogosphäre in die Bredouille. Es sind so viele Veranstaltungen, Ausstellungen, Aufführungen, es erscheinen Biografien und Sonderausgaben und allüberall Expertenmeinungen. Unmöglich, etwas Neues zu sagen. Denn Redundanz ist meine Sache nicht.
Doch als Leserin habe ich ein Verhältnis zum Buch und seinem Autoren. Und wenn es wirklich gut ist, bin ich auch noch eine Figur darin, mir kann das sogar bei Sachbüchern passieren. Und das macht die Beziehung zu einem grossartigen Werk wie dem Heines zur Intimität. Meinen schon fast körperlichen Schmerz darüber, dass der „Rabbi von Bacherach“ ein Fragment geblieben ist und „der Schluss und die folgenden Kapitel ohne Verschulden des Autors verlorengegangen [sind]“, wie es in meiner DDR-Ausgabe heisst, kann niemand sonst ermessen. Wie ich ihn heute Nacht, wie ich ihn gestern und wie ich ihn vor 15 Jahren gelesen habe, ist anders.
Meine Bücherregale biegen sich und ich veneige mich vor Heine.
Deshalb will ich auf meine Kernkompetenz besinnen und meinen Helden, den Kecken, den Gnadenlosen, den Reimer, den Journalisten, den Prognostiker, den Fallensteller, regelmässig empfehlen. Dies in der Überzeugung, dass es der persönliche Weg ist, der uns Leser über das Jubiläumsjahr hinaus weiter führt zu einem Dichter, ohne den ich eine andere wäre.

4 Gedanken zu „Heine, der meine“

  1. Inzwischen ist Mascha Kaléko bekannter geworden. Zu Ihren Prüfungszeiten gab es ja leider wirklich nur das – biografisch schlecht recherchierte und mit nicht wenigen Fehlern behaftete Buch – von Gisela Westphal.
    Elke Heidenreich hat ein Hörbuch mit Gedichten von Mascha Kaleko herausgebracht. Sehr empfehlenswert!
    Ob wir nächstes Jahr zu Mascha Kalékos 100.sten Geburtstag von Ihnen eine Hommage lesen werden? Würde mich freuen!
    Da Sie ja in der Schweiz sitzen: Mascha K. ist in Zürich begraben.
    Und falls Sie mal in Berlin weilen: Gelegentlich gibt es biografische Führungen zu Mascha Kaléko:
    http://www.berlin-judentum.de/tourismus/kaleko.htm

  2. Danke für die Blumen, liebe Frauen.
    Noga, auch vielen Dank für den Link, den ich nicht kannte. Aber das Grab der Kaléko kenne ich. Es liegt sehr schön, auf dem Israelitischen Friedhof, Oberer Friesenberg in Zürich, so ungefähr zwischen Otto Klemperer und Jenny Spritzer. (Irgendwo hätte ich noch Fotos von meinem letzten Besuch..)
    Es stimmt, über Kaléko gibt es nicht so viel Umfassendes, noch immer nicht. Eine Weile habe ich versucht, in Heideggers Nachlass Briefe von ihr zu finden, aber entweder war ich nicht gewandt genug oder sie sind einfach nicht beim Nachlass dabei. Wer weiss, vielleicht ist der 100. Geburtstag am 7. Juni 2007 wirklich ein Anlass für die Herausgabe eine dickeren Biografie. Es würde Rowohlt gut anstehen.
    Ich hatte mir schon 2005 überlegt, etwas zum Todestag zu schreiben, aber mir ist dann nichts eingefallen, dieser Tod war so einsam, und daran zu denken ist einfach nur zum Heulen.

  3. Zum Heulen ist dieser Beitrag. Angesichts des Todes sind wir alle allein, begleitet wurde Mascha von Gisela Westphal-Zoch, die von ihr nicht nur deswegen zu ihrer Nachlassverwalterin ernannt wurde.

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