In den letzten beiden Tagen hat die neue Arbeitszeiterhebung der Lehrpersonen ein wenig Öffentlichkeit gefunden. Natürlich wurde sie auch kritisiert, weil sie auf Selbstdeklaration beruht. Aber das ist meiner Erfahrung nach völlig unerheblich. Egal, ob die Studien intern oder extern, per Selbstdeklaration oder per Fremdbeobachtung, Top-down oder Bottom-up gemacht werden, es kommt immer das Gleiche dabei raus: Lehrerinnen und Lehrer sind im Schnitt nicht faul, sondern fleissig, sie haben kaum mehr Ferien als andere und leisten ziemlich viele unbezahlte Überstunden.
Ein Grossteil meiner Arbeit besteht darin, mit Lehrpersonen zu sprechen, ich bin daher immer froh um Fakten und Durchschnittswerte. Dass die Lehrpersonen den Grund für ihre Belastung und ihren Frust in der Adminstration und in den Reformen sehen, höre ich viel. Ich selber freue mich oft auf Neuerungen, aber ich leide ebenfalls unter ihrem Tempo, weil keine seriöse Planung möglich ist. Nachfolgend einige Beispiele für Veränderungen in den letzten 10 Jahren:
Fachdidaktische Änderungen sind hier nicht dabei, also die Berufsbildungsreform, die mich beispielsweise auf vier Jahre verteilt bestimmt ein halbes Jahr Arbeit gekostet hat, sind zusätzliche Herausforderungen ohne Abgeltung. Genauso wie die neue deutsche Rechtschreibung oder die Umstellung auf Standarddipolome im Informatikunterricht.
Ausser beim letzten der aufgeführten Punkte empfinden Lehrerinnen und Lehrer gemäss Umfrage diese Veränderungen einzig und allein als Belastung. Weshalb ist das so? Ich sehe dafür vier Gründe.
Der Hauptgrund ist sicher, dass für die Lehrpersonen alles Neue additiv ist. Wir haben in der Schweiz im Europavergleich sehr hohe Pflichtpensen. Was neu ist, kommt dazu, aber nichts fällt weg. Wenn einzelne Kantone sparen müssen, wird einfach das Pflichtpensum um eine Lektion erhöht und versprochen, dass das in „besseren Zeiten“ wieder gesenkt werde, was aber bei unseren bürgerlichen Mehrheiten politisch natürlich nie stimmt.
Ein weiterer Grund ist, dass die neuen Strukturen stets ohne genügende Schulung und genügend hierarchische Ebenen eingeführt werden. Das bedeutet zum Beispiel, dass Leute Mitarbeitergespräche führen, die – völlig schuldlos – die Kompetenz nicht haben. Die Chance, dass das der persönlichen Entwicklung der Lehrpersonen und im Endeffekt den Schülerinnen und Schülern nützt, ist so verschwindend klein.
Den dritten Grund sehe ich darin, dass die Veränderungen überwiegend die Lehrerfreiheit einschränken. Aber die Freiheit ist eine Art Lohnbestandteil der Lehrpersonen und ein häufiger Grund, diesen Beruf gewählt zu haben.
Die letzte Ursache ist meines Erachtens, dass die Qualitätssicherung in Schulen sich viel zu sehr an betriebswirtschaftlichen Kriterien als an Menschen orientiert. Schule wird kurzfristig nie rentieren, aber sie wird immer eine Drehscheibe verschiedenster Menschen mit unterschiedlichen Wünschen und Ansprüchen sein. Ich bin in verschiedenen Q-Gruppen und mein Vorschlag ist stets, prioritär Unterrichtsbefragungen bei den Lernenden zu machen. An diesen und deren Auswertung sollen Interne und Externe so lange feilen, bis beides brauchbar, institutionalisierbar und von einer satten Mehrheit akzeptiert ist. Parallel sollten auch Lehrpersonen ihr Arbeitsumfeld laufend und niederschwellig beurteilen können. Ohne viele Formulare und Konferenzen, je nach Schulgrösse vielleicht mit Kaizen – das versuche ich in meiner Abteilung – oder in Gruppen mit verschiedenen Themenbereichen, die sich nach und nach eine gute Verbindung zu den Entscheidungsträgern schaffen.
Die übrige Qualitätssicherung würde ich sein und sich selbst überlassen, wie alle die Jahre zuvor auch. Nach einer Dekade könnte man sehen, wie es um die Verbesserung steht. Ich wär‘ da optimistisch.