Mit Sorg(en)falt

Falsch! Richtig: Friedenspreis des Deutschen Buchhandles
Mit 17 Jahren, in den wilden Achzigern, habe ich diverse Praktika bei Zeitungen und Zeitschriften absolviert.
Unter anderem im Ringier Pressehaus in Zürich. Es mangelte dort an nichts, der Mensch brauchte Klatschhefte, Programmzeitschriften, Autowandkalender, Wirtschaftspostillen und dazu boomte auch der Inseratenmarkt. Wir hatten Riesenbüros, Riesentische, Riesenaschenbecher, eine verchromte Mensa mit exqusitem Angebot auch an Alkohol, an jeder Ecke ausgebildete Korrektoren, denen nicht der kleinste Spot entging. Die „liebe Marta“ sass weiss gekleidet in ihrem hyperreinen Büro, um die Sexfragen der Nation zu beantworten, was natürlich in Tat und Wahrheit ihre Praktikantinnen erledigten. Unverwüstlich nahmen die emsigen Sekretärinnen an endlosen Desks Meldungen entgegen. Von „Unser Nachbarskind wurde von zwei Dobermännern angefallen – bekomme ich jetzt hundert Franken?“ über „Skifahrerin im Helirotor zerstückelt“ bis „mein Freund sagt, ich sei zum Anbeissen, wie werde ich Seite-3-Girl?“.
Die Redaktionskonferenz beim Blick war meine wichtigste Übung in Fatalismus. O-Ton „Nö, auf diesem Bild erkennt man den Unfall gar nicht richtig. Oooch, da machen wir bloss acht Zeilen, rechte Spalte unten – Caroline oben ohne? Aber keine Brustwarzen, hmm. Sehr grobkörnig. Kaaaaaarin! Wie gross kannst du das machen? Jean! Du machst den Kasten vom schweren Schicksal des monegassischen Hauses, da jährt sich bestimmt etwas. Und scheissenochmal, welcher Idiot hat vergessen, dem Lisi das Interview vorzulegen? Dieser Stöhlker ist schon wieder am Telefon! Also, los! Schlagzeile! Ich setze zwei Havannas samt Etui aus!“
Bei der WOZ waren die Readaktionskonferenzen anders, Luise Pusch und die weibliche Form mit dem grossen „I“ („JournalistInnen“) hielten Einzug, die politische Korrektness wurde erfunden, anstatt Chefs gab’s Vollversammlung und um Profilierer viel Krach. Nur die Aschenbecher, die waren genau so gross und überfüllt wie bei Ringier. Wenn auch eher Joints als Havannas. Ich habe bei der WOZ nicht nur mehr gelernt, sondern auch mehr und länger gearbeitet. Meistens habe ich aufgeräumt, geordnet oder gesammelt. Zum Beispiel Militärunfälle für einen, der sich im Zusammenhang mit der Initiative „Für-eine-Schweiz-ohne-Armee“ darauf spezialisiert hatte, aufzuzeigen, wie viele Tote und Verletzte das Militär in Friedenszeiten produzierte. Alles, was in der deutschen und französischen Schweizer Presse erwähnt wurde, musste ich ausschnippseln, die Quelle notieren, datieren und chronologisch einordnen. Da die Meldungen meist so klitzeklein waren, habe ich angefangen, sie immer auf gleich grosse Blätter zu kleben, was mir dann allerdings wegen Papierverschwendung verboten wurde. So waren die Zeiten damals.
Aber ich habe viel Sorgfalt gesehen, hinter den Kulissen wie zwischen den Zeilen. Selbst der vierschrötigste Sportjournalist hat sich die Haare gerauft, wenn auch nur ein Rechtschreibefehler ungesehen geblieben war. Weil ich weiss, dass die Arbeitsbedingungen für Journalistinnen und Journalisten schlechter werden und vor allem die Arbeitsplatzsicherheit verschwunden ist, halte ich mich mit Nörgeln zurück. Und auch, weil es genügend Blogeinträge mit diesem Content gibt. Doch manchmal könnte ich heulen über die Fehler in den Zeitungen (das Fernsehen habe ich längst aufgegeben). Gerade die prominent platzierten Kommentare sind oft grottenschlecht und stehen so bemitleidenswert und ohne Fundament am Zeitungsrand, dass ich gar nicht wütend, sondern nur noch wehmütig werde.
Ein anderes Mal freue ich mich wieder, zum Beispiel über neue Strebsame wie Yassin Musharbash, den ich seit dem Frühjahr regelmässig lese. Ich glaube fast, der archiviert Schnippsel aus arabischen Zeitungen.

3 Gedanken zu „Mit Sorg(en)falt“

  1. Oh nein! Das wusste ich nicht! Vielleicht könnten sie auch die Kolumne „Sex aus heiterm Himmel“ mal auswerten, die es damals gab und bei der Blick-Leser/innen ihre Erlebnisse einschicken konnten, sehr amüsant. Da habe ich auch 2x einen Fünfziger mit Lügen verdient.
    Leider war ich bei Marta nur die Praktikantin der Praktikantin und durfte nichts selber schreiben. (Wusste nicht mal mehr, dass Marta keinen „h“ hat, thanks 4 the hint!)

  2. Der Schnitzer mit dem „Friedensnobelpreis des Deutschen Buchhandels“ sieht aus wie ein typischer M$-AutoVervollständigen-fauxpas ;-). Die anderen Begriffe, die mit „Friedens-“ beginnen (Taube, Bewegung, Dividende…) sind jedenfalls alle…wie war das Wort, das Frau Löffler in Bezug auf Pinter gebraucht hat?…démodé!
    Und vielen Dank für den Blick in die Schweizer Redaktionsstuben!

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