[Keine Besprechung. Nur kurz vor der der Academy, meine Meinung.]
Wir haben Vika Swarups Rupien! Rupien! (Originaltitel: Q & A) vor gut zwei Jahren gelesen, als wir ein paar Tage in den Bergen waren. (Ich wähle berufsbedingt die Ferienlektüre für die ganze Familie aus, ich kenne die Vorlieben. Jedenfalls hat noch keiner Anstalten gemacht, etwas daran zu ändern.) Danach haben wir das Buch mit besten Empfehlungen weiter verschenkt und das inzwischen bereut, weil es in unserer Bibliothek fehlt.
Denn das Buch ist gut. Besonders meinem ambivalenten Verhältnis zu Indien kommt es sehr entgegen, es vereint Dramatik und Pragmatik, die meine Erinnerung an das Land prägen. Auch die Züge, mit denen ich Indien als Kind bereist habe, spielen eine wichtige Rolle. Ich weiss nicht, ob der Autor es bezweckte, aber da er Diplomat war, könnte es schon sein, dass Swarup hier sein Land erklären wollte. Ob Absicht oder Zufall: Mit der Übersetzung in über dreissig Sprachen und der erfolgreichen Verfilmung ist es passiert.
Des Protagonisten Begründungen, warum ausgerechnet er als „Slumdog“ bei einer Quizshow gewinnen konnte, machen die Rahmenerzählung aus. Keine seiner Erklärungen ist naheliegend, die lehrreichen Ereignisse, die ihn die Fragen richtig beantworten liessen, waren ebenso zufällig wie gnadenlos.
Aus der Jahrtausende alten indischen Tradtion wurde hier – wie in jedem Bollywood-Streifen – die Liebesgeschichte übernommen. Die Liebenden sind die Guten, alle anderen Figuren haben verschiedene Gesichter, jedes strahlende Lächeln kann sich schnell in eine Fratze verwandeln.
Auch der Film „Slumdog Millionaire“ ist gelungen. Beschreibungen, die literarisch besonders stark sind, nehmen in der Verfilmung ebenfalls einen wichtigen Platz ein. Die Besetzung wurde im Vergleich zum Buch reduziert oder geändert, warum das ausgerechnet zulasten der Frauenfiguren sein musste, leuchtet mir allerdings nicht ein.
Das Klassendenken, dieser unbedingte Wille zur Ausgrenzung, die Indien schon so lange lähmen, sind in Film wie Buch präsent. Jedoch nie so, dass die Unterhaltung ins Stocken gerät und der mitfiebernde Leser oder Zuschauer sich belehrt fühlt oder gar Grund zur Überheblichkeit erhielte.
Mich haben Buch wie Film viel gelehrt, gut unterhalten und bestätigt: In Indien ist ein Mensch alles – ein Star – oder nichts – austauschbar.
Ich habe den Roman auch vor zwei Jahren gelesen und ähnlich empfunden, wie Du. Den Film habe ich leider noch nicht gesehen, habe aber natürlich mitbekommen, dass er für die Oscars nominiert ist. Ich bin gespannt, ob er einen (oder mehrere) Oscars bekommt.
Was ich aber nicht verstehe ist: Warum habt Ihr es bereut, den Roman weiterverschenkt zu haben?
Wir – vor allem ich – hatte manchmal das Bedürfnis, etwas darin wieder zu lesen und habe ihn aber leider nicht mehr in der Bibliothek (habe den Satz etwas geändert, danke für den Tipp). Ich werde das Buch wohl wieder nachkaufen, das passiert mir nicht zum ersten Mal 😉
Ah, danke für die Aufklärung. Auf die Idee, dass Ihr Euer eigenes Exemplar weiterverschenkt habt, war ich tatsächlich nicht gekommen.
Liisa, das klingt gerade, als würden wir keine neuen Bücher verschenken, was wir natürlich – da wir beides Buchändler sind oder mal waren – ständig tun 🙂
Aber es ist schon so: Von den 2-10 Büchern, die wir pro Monat kaufen, behalten wir nur die, von denen wir denken, dass wir sie ein 2. Mal lesen würden. Das dachten wir bei „Rupien! Rupien!“ nicht, was sich als falsch erwiesen hat.
*lach* … na, da bin ich aber erleichtert, dass Ihr auch mal neue Bücher verschenkt! ;o))
Sehr bezeichnend ist auch die Reaktion von Indiens Presse: Sowohl Buch wie Film wurden bisher ignoriert oder kritisiert. Jetzt ist der Film wegen den Oscars selber zum Star aufgestiegen und jezt sind die indischen Medien natürlich begeistert. Sagichja.
Schöner Artikel im gestrigen SPIEGEL über indiesche Reaktionen auf Slumdog Millionaire. Armut ist ein Tabu, sie beleidigt die anderen Schichten.