Dass Diskriminierung zu jeder Zeit und an jedem Ort zu menschlicher Verhaltensweise gehört, ist bekannt. Ich weiss nicht mehr, welche Ethnologen ihr Lebenswerk auf dieser Erkenntnis begründet haben, ich habe zu lange keine stw mehr verkauft (Erdheim, Durkheim, Strauss?).
Das Bedürfnis, Diskriminierung zu bekämpfen, wächst wohl mit dem Bildungs- und Wohlstand. Denn für ausstossende Gesellschaften ist beides arg begrenzt.
Warum ist dann Diskriminierung so selten das Thema?
Die aktuelle SPIEGEL-Titelstory widmet sich erneut der Erkenntnis, dass die Ur-Feministinnen ganz besonders unrecht hatten, weil Frauen und Männer – ehrlich bewiesen! – unterschiedlich seien (genetisch, psychologisch, ethnologisch, ethologisch, biologisch, jedenfalls wissenschaftlich erhärtet). Dies‘ Mal zeige Susan Pinker in Das Geschlechterparadox, dass Frauen andere Kompetenzen und deswegen Vorstellungen vom Leben haben, die für die Machtergreifung kaum taugen.
Um das zu bestreiten, fehlt mir der akademische Background. Aber ich finde, die Medien könnten sich etwas häufiger den Grundsatzfragen der Diskriminierung stellen, anstatt ständig die gleiche Story (Frauen zeigen Frauen, dass sie – echt! – anders sind als Männer…) zu variieren.
Wo und wie entsteht Chancengleichheit? Wie und weshalb geht sie verloren? Ist das Streben danach ein Goodie oder eine Bedingung für die Menschheit?
In ganz wenigen, gut versteckten Zeilen findet man sogar im SPIEGEL Zweifel:
Natürlich handelt es sich bei alledem nur um Mittelwerte – keiner der Wissenschaftler behauptet, dass diese Aussagen auf jeden Mann und jede Frau zuträfen. Im Gegenteil: Meist seien die Unterschiede innerhalb eines Geschlechts deutlich grösser als die zwischen Mann und Frau.
Das wäre eben interessant. Und die Antworten auf die Unterschiede zwischen Menschen würden viel eher zeigen, ob das Geschlecht wirklich ein so relevantes Merkmal ist. Antworten auf Fragen, weshalb Jungs, die nicht bluffen nirgends hinkommen, weshalb Aufschneider einfacher Karriere machen, warum Buben mit Puppen noch immer belächelt werden, wären spannender, als jede Unterschied-Studie mit Seitenhieb auf die Frauenbewegung breitzutreten.
Die Forscher haben laut SPIEGEL sogar herausgefunden, dass selbst im Kibbuz die Verteilung der Geschlechter auf die Tätigkeiten nicht gleichstellungskonform ist: es gebe mehr Männer in der Landwirtschaft und mehr Frauen im Kinderhaus.
Nun müsste da nicht unbedingt ein Unheil sein. Denn wäre es wirklich so schlimm, wenn uns am Krankenbett weiterhin eine Frau das Frühstück bringen und ein Mann den Rohrbruch im Badezimmer flicken würde – vorausgesetzt, beide erhielten dafür die gleiche Bezahlung?
Fragen über Fragen. Aber keine sexy Antworten.
Ziemlich einfach: Ein Spiegel mit Geschlechterunterschieden auf dem Titel verkauft sich gut; ein Spiegel mit einem Titel über fehlende Geschlechterunterschiede verkauft sich weit weniger gut. Meta-Untersuchungen über Geschlechterstudien haben ergeben, dass für Veröffentlichungen immer die Unterschiede herausgepickt werden – selbst wenn es unter 30 Merkmalen nur ein einziges mit halbwegs nachweisbaren gibt. (Ich gehe mal Belege suchen.)
Ja, das ist wohl so (mit der Verkäuflichkeit). Diese Ausgabe bringt ja auch die übliche Nackte und nen Sixpack im Hintergrund auf dem Titel. Und um das Mass voll zu machen, sitzen sie auf der Venus und dem Mars, dieses Buch ist im Buchhandel ein Longseller.
Dazu passt, dass ich die echt interessanten Artikel zum Thema seit zwanzig Jahren nur in der Ehrenamts-Presse finde. Das hat wohl schon mit dem zu tun, was die Meta-Studien ergeben haben, die Mehrheit will Unterschiede publizieren und publiziert haben. (Belege täten mich sehr interessieren!)
Ich fände es eben auch publikationswürdig zu fragen, warum dem so ist.
Hier eine solche Metastudie:
http://www.apa.org/journals/releases/amp606581.pdf
Und ein ein tief und gründlich recherchierter Artikel mit demselben Ergebnis – pikanterweise aus dem Spiegel:
http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/dokument.html?id=50424655&top=SPIEGEL
Darin:
„Die Effekte, die wir messen, sind ziemlich klein“, sagt Markus Hausmann, Biopsychologe an der Universität Bochum.
(Bezaubernde Postkarte, die ich im Mai in Brighton gesehen habe:
„Men are from Earth. Women are from Earth.
Deal with it.“)
Verbindlichsten Dank, werte Kaltmamsell! Ich arbeite noch daran (mein Englisch ist ein bisschen gar rostig und „pidgin“ dafür). Die Bibliografie der Studien ist höchst beeindruckend, muss ich weiter sagen.
Diskriminierung hat doch auch mit Wahrnehmung zu tun. D.h. wenn Studien zu dem Schluss kommen, dass die Unterschiede zwischen den Geschlechtern weniger groß sind als die Unterschiede zwischen zwei Vertretern eines Geschlechts, dann bedeutet das ja noch lange nicht, dass wir dies mit Leichtigkeit auch so wahrnehmen. Es genügt daher nicht, sich vorzunehmen, diese oder jene gleich zu behandeln, sondern man muss dazu auch wissen wie, d.h. lernen, die Fallen wahrzunehmen, in die man gewöhnlich tritt. (Mag Leute geben, die einfach ein natürliches Talent zur Gleichbehandlung haben.) Übrigens finde ich, dass die Politik mit dem Konzept des Gender Mainstreaming schon eine Menge gelernt hat.