Alltagsgedanken

Ich bin erleichtert, dass dieses Schwingfest nun vorbei ist. Die Bullen in Form von Tier und Mensch neben den aufgereihten syrischen Kinderleichen in der Tagespresse waren schwer zu ertragen.
Das Interview von Malbrunot mit Assad, das am 2. September geführt wurde und heute auch in deutschsprachigen Zeitungen erscheint und die politischen Diskussionen in Frankreich, England und den USA sind wohl ein Fortschritt, gegenüber der Zeit vor dem letzten Irakkrieg. Aber vielleicht scheint das auch nur so, weil jüngere Eliteuniversitätsabsolventen als Regierungschefs anders auftreten und sich ihrer Wirkung bewusster sind.
Mein Leben ist relativ ruhig. Die Arbeit läuft, die Familie ist gesund und der kleine Sohn unserer Französischlehrerin, um den wir letzte Nacht ziemlich bangten, scheint sich von der Blutvergiftung zu erholen.
Am Morgen brauche ich jetzt ein Daunengilet.
Es ist Herbst.

Swing low

Am Dienstag war ich an einer sehr schönen Abdankung. Es braucht viel, dass alles stimmt, aber manchmal gelingt es. Es sang ein Chor, in dem die Verstorbene auch gesungen hatte, der Witwer reihte sich ein. Die Musiker unter den Familienmitgliedern begleiteten uns bei weiteren Liedern, das Trostlied war leicht zu lernen und wurde von allen gut aufgenommen und gern wiederholt. Die Leute, die über die Verstobene sprachen taten dies mit Respekt und Witz; die Trauergemeinde lahcte viel.
Am Mittwoch feierten wir unter Frauen den Geburtstag einer Freundin auf dem Land. Ich brauchte etwas lange, um anzukommen, denn ich verfuhr mich völlig, es ist wenig angeschrieben auf dem Land in der Schweiz. Eine Bauersfrau in einem Weiler riet mir dringend umzukehren, obwohl mein Ziel wohl nur noch wenige Kilometer Luftlinie entfernt hinter dem Wald lag. Sie sei seit jeher hier, nehme aber auch immer den längeren Weg über die Hauptstrasse, wenn man sich einmal im Forst verirre, sei man eine Nacht damit „vertöörlet“ wieder rauszukommen.
Und heute besuchte ich seit langem wieder einmal eine Lesung. Ich hatte die Biografie über Mani Matter im Sommer mit Begeisterung gelesen. Und ich war überrascht und beeindruckt, wie gut die Vielfalt Matters Wesens und Schaffens auch in dieser musikalischen Lesung zur Geltung kam. Wir sassen auf roten Holzklappstühlen, wie ich in den Siebzigerjahren einen in meinem Zimmer hatte, und unterhielten uns prächtig mit dem Autoren und dem alten Troubadouren. Danach räumte das Publikum gemeinsam die Stühle weg, damit das Buchhändler-Ehepaar den Apéro auftischen konnte. Es war ein erbaulicher, origineller Abend – ich bin froh, sind unabhängige Buchhandlungen noch nicht ganz verschwunden, nur sie machen das möglich.

kurz notiert II: Schulbeginn

Wir hatten eine sehr gelungene erste Schulwoche. Nicht nur im Buchhandel, auch in der Abteilung Kundendialog lief alles wie am Schnürchen, wobei dazu eben auch gehört, dass man Probleme in nützlicher Frist lösen und Unklarheiten rasch in Klarheit verwandeln kann.
Ich freue mich auf die zweite Schulwoche mit einer nicht minder bunten Agenda. Darin bringen wir noch die Produktion von Fotoklassenlisten unter. Und sobald ich die einmal habe, dauert es nicht lange, bis ich auch Namen und Lehrorte mit den Gesichtern verbinden kann. Ab diesem Moment fühl‘ ich mich jeweils im neuen Schuljahr angekommen.

kurz notiert: Schulbeginn

Das war ein richtig schöner Schuljahresbeginn heute! An unserer Berufsfachschule starten diese Woche 50 neue Klassen, in meinen beiden Abteilungen je zwei. Heute haben die angehenden Buchhändlerinnen und Buchhändler angefangen, was an diesem sonnigen Tag eine helle Freude war. (Es sind zwei sehr kleine Klassen geworden, gerade genug, um noch keine Pensen kürzen zu müssen.) Auf die Frage, weshalb sie sich für diesen Beruf entschieden haben, antworteten alle in irgend einer Façon: Weil sie das Lesen und die Bücher liebten und besonders auch die Menschen und die Vielseitigkeit des Lebens.

Fahrend

Es passiert Trauriges in unserer Familie, das Schicksal erscheint mir so lausig. Meine Nächsten sind zum Glück gesund und „alle sind froh, dass dieser Kelch an ihnen vorbeigegangen ist“, wie meine Cousine richtig sagt. Sie muss ihn nehmen, schon zum zweiten Mal.
Umso wichtiger, den Blick auf das Schöne zu richten: Es ist Sommer, ich mag die Wärme, ganz besonders das Zusammengehen von Hitze und Wasser, das uns dieses Wochenende in der Schweiz beschert ist. Dieses Wetter können wir gut gebrauchen, zum Draussensitzen, zum Hadern, Heulen und Heuen.
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Sommerlesung

Die Zeiten sind ruhiger und ich komme so richtig zum Lesen und dazu, mich mit andren über Bücher zu unterhalten. Das Patenkind (15 Jahre alt) ist eine ehrgeizige Leserin und interessierte Gesprächspartnerin. Sie hat soeben „The Hunger Games“ von Suzanne Collins in Originalsprache gelesen und nun mit Süskinds Parfum angefangen. In beide versinkt sie, von beiden ist sie begeistert. Mir ist es mit der Mani-Matter-Biografie von Wilfried Meichtry nicht viel anders ergangen. Beste Non-Fiction seit langem. Menschen und Orte darin sind mir allerdings mehr als nur Begriffe, viele habe ich als Kunden in der Buchhandlung gekannt, andere persönlich, das verändert die Lektüre sicher ein wenig. Es ist ein Buch über Poesie genauso wie über Politik, mehr noch über das Staatswesen an sich. Für mich ist es auch ein Einblick in das Leben der Eltern, einer Generation, die viel um Begriffe rang und so manches Wort noch auf die Goldwaage legte. Die Briefe von Mani Matter, die für das Buch von Joy Matter und anderen erstmals zur Verfügung gestellt wurden, sind die eines grossartigen Denkers. Wenn nur ein ein Zehntel der Tausenden, die jedes Jahr Mani Matters Tonträger erwerben auch die Biografie lesen, bekäme die philosophischen Betrachtungsweise in Bern wieder mehr Raum.
Dann habe ich das neue Buch „Komm“ von Janne Teller gelesen, vor allem weil viele jüngere Leute sie verehren und weil’s um einen Verleger geht, der vor einer wichtigen Entscheidung steht. Schon Tellers Bestseller „Nichts“ kam mir relativ gesucht vor. Hier erging es mir nicht anders und ich wusste erneut nicht viel damit anzufangen.
Nun habe ich zwei parallele Lektüren, die sich etwas beissen, aber das eine Buch ist geliehen und wird deswegen nur daheim gelesen, während ich mit dem anderen viel unterwegs bin. Clemens J. Setz‘ „Indigo“ ist im Einstieg faszinierend, aber den gespannten Bogen habe ich bis jetzt noch nicht gefunden. Le Carrés „Der Spion, der aus der Kälte kam“ bleibt eines der aufschlussreichsten Bücher des 20. Jahrhunderts. Ich lese es ungebrochen beeindruckt in der soeben erschienenen neuen Übersetzung von Sabine Roth, die im gleichen Jahr wie das Buch (19639 geboren wurde. Vielleicht trägt ihre Glanzleistung dazu bei, endlich auch den literarischen Gehalt dieses Werkes bekannt zu machen? Ich habe noch nie verstanden, weshalb das Buch nicht auf jeder erlauchten Literaturliste zum kalten Krieg aufgeführt ist.

Die Feste sind gefallen

Es begann voriges Wochenende mit der Feier anlässlich des 75. Geburtstags meiner Schwiegermutter. Darauf folgte mein letzter Schultag mit den Lernenden des zweiten Lehrjahres, die im dritten keinen Unterricht mehr mit mir haben. Gefeiert haben wir zwar nicht, aber mündliche Prüfungen simuliert und uns in Minne verabschiedet. Der Dienstag stand von morgens bis abends im Zeichen unserer buchhändlerischen Schlussfeier, die mich wie jedes Jahr hat Blut schwitzen lassen, aber wunderbar geraten ist. Die Beiträge aus den Abschlussklassen waren ein Feuerwerk: Emotionen, Dichtung, Wahrheit und tausend Gründe, sich zu kugeln vor Lachen, sich einer neuen Buchhandelsgeneration zu erfreuen und alle in bester Erinnerung zu behalten.
Das Programm Rosen aus dem Gesteck
Am Mittwoch habe ich mitgeholfen, die Diplome für die Riesenfeier für 1230 frische Kauffrauen und Kaufmänner vorzubereiten. Abends erhielt ich die elektronische Nachricht vom Kind, es habe die Matura bestanden, worauf wir Eltern anstiessen. Donnerstags stieg das grosse KV-Fest mit allen Absolventinnen und Absolventen sämtlicher kaufmännischen Lehren im Kursaal. Obwohl das so viele Leute sind, feierten sie dank schöner Umgebung und knisternder Stimmung fröhlich und so, dass jeder auf jeden stolz sein konnte. Ich war am Morgen dabei, am Abend beging ich im Familienkreise das Wiegenfest meiner Mutter. Freitags war dann mein letzter Arbeitstag im Schuljahr, ich unterrichtete bis 17.15 und gab danach die Notenlisten ab. Um 18.00 Uhr begann die schöne Maturfeier vom Kind im Kleezentrum, welche wir im Garten der Casa d’Italia fortsetzten…
Erstes Maturtreffen Rosen aus dem Gesteck
In der Casa d'Italia
… und über das Wochenende breitete sich ein sentimental-befriedigendes Gefühl: „Vorbei.“