Vermerk für die Berufschronik

Die ersten beiden Modultage in meiner kleinen Weiterbildungsabteilung sind rund verlaufen. Die Errors beschränkten sich auf Lösbares und inhaltlich sind wir gut vorangekommen. Das klingt jetzt total normal, aber ich sitze eigentlich nur aus tief verinnertlichten protestestantischen Gründen nicht mit Champagner in der kühlen Badewanne. (Ich habe vor 13 Jahren, als sich das neue Berufsbildungsgesetz ab- und der Buchhandel noch steigende Umsätze verzeichnete, die ersten Notizen zu diesem Lehrgang gemacht.)

Alles bestens, jedenfalls hier.

Wir haben das Schuljahr bestens angefangen! In meinen beiden Abteilungen gab es je zwei neue Klassen zu begrüssen, was als rundum erfreulicher Akt in die Chronik eingehen darf. Sicher ist es nicht an der Berufsfachschule zu beurteilen, ob passende Lernende rekrutiert worden sind, aber freuen dürfen wir uns trotzdem darüber.
Als unverbesserliche Reformbefürworterin bin ich natürlich überzeugt, dass das eine Folge ist. Wenn im schulischen Teil der Ausbildung Themen ähnlicher angegangen werden wie im Lehrbetrieb, dann verliert zwar die Schule das typisch Schulische, Theoretische. Und die Lehrpersonen haben zu Beginn mehr Aufwand, weil sie induktiv arbeiten müssen und Vorbereitetes oft nicht mehrmals in gleicher Form brauchen können, berufiche Praxis ändert schneller als schulische Theorie. Dafür decken sich die Anforderungen an die Azubis zwischen Schule und Betrieb besser, der Respekt für die gegenseitige Arbeit steigt, was der Zusammenarbeit und dem Erhalt guter Lehrstellen dient.
Das klingt alles nach Gemeinplatz. Aber es wird mit jedem OECD Vergleich offensichtlicher, wie sehr die Berufsbildung das Risiko der Erwerbslosigkeit mindert. Wer studierfähig ist, kann in jedem europäischen Land an einer guten Uni studieren. Wer das nicht ist, hat jedoch in vielen Ländern wenig Möglichkeiten. Und in wirtschaftlichen Krisen gibt es dort dann für beide keine Arbeit.

Nix Gutes ausser: Tut es!

Nach allen vorbereitenden Sitzungen und Konferenzen in der letzten Woche bin ich dank dem Wochenende doch noch fertig geworden mit der Nachlese der Branchenpresse von Juli und August. Es gibt ja im Allgemeinen wenig Gutes zu berichten über die Buchbranche. Umso wichtiger für mich, die Branche zu hören, Interviews mit Einzelnen zu lesen, einzelne Umsatzkurven zu sehen, die auch heute noch nach oben zeigen und mir die News der originellen Nischengeschäfte zu Gemüte zu führen. Die Branchenpresse zu studieren ist für mich ein sportliches Vergnügen, ich mache mich fit für aktuellen Unterricht, für hoffentlich adäquate Fachgespräche und kann mich dank der Lektüre zuversichtlich den neuen Buchhändler-Klassen stellen.
Good News:
„Nix Gutes ausser: Tut es!“ weiterlesen

Branchengefühle

Manchmal muss ich schon viel guten Willen aufbringen für meine Branche. Wenn für irgendetwas Neues die fachliche Kompetenz fehlt zum Beispiel. „Ok, dann schreiben wir das doch in die Lernziele,“ sagt sich dann der geneigte Buchhandel. Das mag zielführend scheinen. Wenn Fleischer merken, dass sich Schwein schlecht absetzt, dann entscheiden sie, ihren Lehrlingen die Schlachtung von Schafen beizubringen. Vielleicht lassen einzelne die Schweinezucht ganz bleiben und lernen und lehren „halal“. Aber „halal“ ist nichts Neues, das können einem viele beibringen. Doch wenn man – wie ich – Referenten für das suchen muss, was noch niemand kann, ist das gelinde gesagt unangenehm. Man schwindelt und erfindet und hält den Daumen in die Luft. Die Suche nach Leuten, die bereit sind, das Neuste im Buchhandel zu unterrichten – das gehört zu den schwierigsten Akquisen meiner Laufbahn.
Dann wieder muss ich einfach lachen über den Buchhandel. Zum Beispiel die Überschrift in der Branchenpresse zur Umsatztalfahrt, an der der stationäre Buchhandel nochmal viel mehr leidet: „Im Juni, im Juni geht’s weiter nach uni“ (will heissen: Im Juni geht’s weiter nach unten). (Diesen Sommer brauchte ich im Freibad oder auf der Restaurantterrasse gar nicht mehr nach bekannten Gesichtern Ausschau zu halten. Die, die kein Gerät, sondern einen Zeitung oder ein Buch in Händen halten, gehören eigentlich immer zu meinem Bekanntenkreis.)
Und zuletzt bin ich stolz auf die Buchbranche. Ich weiss nicht wie, aber sie schafft es immer wieder originelle, witzige, tüchtige und interessiete Menschen zu finden, die unseren Beruf lernen. Wir diplomieren jedes Jahr junge Leute, die auch in einer Bank, an der Uni oder einer Kunstschule reüssiert hätten. Zum Thema: Die Fotos unserer Abschlussfeier.

Retour à la maision

Retour à la maison. Es warten viele neue Azubis, eine neue Schulverwaltungssoftware, ein neues CRM. In meinem Bereich gibt es zwei neue Klassen mit angehenden Buchhändlerinnen und Buchhändlern, zwei mit angehenden Fachleuten Kundendialog und eine Klasse in der Weiterbildung, die den neuen eidgenössischen Fachausweis für Buchhändlerinnen und Buchhändler anpeilt.
Aber zuerst zum Rückblick: Südfrankreich war sehr schön, es gibt kaum einen passenderen Ferienort für eine Leserin. Internet wo immer Sie sind ist nicht so üblich. Und die Franzosen lesen viel mehr Gedrucktes als wir in der Schweiz. Was mir am meisten auffiel ist, dass

  • Jungs Bücher lasen
  • Männer sich in Zeitschriften à la „Schöner Wohnen“ vertieften
  • Paare gleichzeitig das gleiche Buch lasen, es also zweifach besassen
  • Frankreich ist ja grundsätzlich und von Staates wegen immer sehr um Leseförderung und den Erhalt der stationären, regionalen Buchhandlung bemüht. Ich weiss nicht, ob das längerfristig wirkungs- und sinnvoll ist. Symphatische ist es trotzdem, wenn die erst letzten April angehobene Mehrwehrtssteuer für Bücher per 1. Januar 2013 schon wieder gesenkt wird (von 7% auf 5.5%).
    Ich habe in den Ferien viel gelesen, wenn auch nicht alles, was ich mitgenommen hatte. Dank der mitreisenden Büchercommunity konnte ich es mir leisten, punkto Literatur launisch zu sein. Trotzdem nachfolgend den Kommentar zur Chronik des angekündigten Lesens.
    „Retour à la maision“ weiterlesen

    Continua messe

    Continua messe senescit ager. Ständige Ernte erschöpft den Acker. Manchmal findet man die Lebenshilfe nicht in der Esoterikabteilung, sondern bei Ovid.
    Auch wenn mir mein Berufsleben sehr gefällt, brauche ich Ferien vom Output, Multitasking, von der Performance. Ich fahre wie so oft nach Südfrankreich, wo ich inzwischen übrigens luxuriös lebe. In drei Jahrzehnten habe ich es vom Gibelzelt mit Gaskocher zum Mobil Home mit Gasherd gebracht. Nicht nur ich, auch die Zeiten haben sich geändert. Wäre wildes Campieren noch erlaubt, wäre die Camargue bei unseren heutigen Ansprüchen kaum so ursprünglich zu erhalten.

    Zelten 1975

    Espiguette 2012

    Bücherliste meiner Offline-Zeit 2012: „Continua messe“ weiterlesen

    Rückblickend

    … waren die letzten 10 Tagen gute. Aber die Zweiflerin weiss das nicht im Voraus und deshalb waren sie auch von einer ganzen Reihe Sorgen geprägt.
    Freitag, 29. Juni 2012: Abteilungskonferenz Kundendialog, Weiterbildung im Kontaktcenter des TCS. Sehr aufschlussreich, ganz besonders das Mithören bei den Telefongesprächen: Menschen mit Autopannen, Mutationsmeldungen und Versicherungsanliegen – mal genervt, mal gesprächig, mal gestresst. Und immer empfangen von einem ruhigen, effizienten, freundlichen Agenten, dem keiner anmerkte, dass es sein hunderster Anruf war. Es war heiss an dem Tag, ab 30 Grad gibt es offenbar mehr Motorschäden und braucht mehr Personal im Callcenter. N.B.: Die neue Ausbildung zur Fachfrau und zum Fachmann Kundendialog kriegt im September den Enterprize, was mich nach all den Steinen im Weg verblüfft, aber natürlich auch freut und ehrt.
    Samstag, 30. Juni 2012: Nacharbeiten, da am Vortag ausser Hause.
    Sonntag, 1. Juli 2012: Dito. Und Packen mit Kind für Sport-Projektwoche mit Zelt in Tenero. (Mir schleierhaft, aufgrund wessen das Tessin als Sonnenstube gilt. Deshalb alles unternommen, um kompaktes Gepäck, Nylon-Garderobe und Flipflops anzudrehen).
    Montag, 2. Juli 2012: Unterrichten, Sitzungen, unterrichten, Büroarbieten für die Abtelung Buchhandel. Urkunden erstellen, die Notenausweise ordnen, Absprache mit den engagierten Klassenlehrpersonen über den Ablauf der Feier, letzte giftigen E-Mails zu Prüfung, den Prüfungsterminen, Terminen zur Eröffnung der Prüfungsresultate beantworten und abends definitiv entscheiden, was anziehen.
    Dienstag, 3. Juli 2012: Büroarbeiten, Kurzschluss mit Operatrice und mit der Floristin, letzte Kontrolle der eingegangenen Spenden. Dann Sportklamotten anziehen und mit Kolleginnen und Kollegen und Kisten mit allem, was zur Diplomfeier gehört ab zum Feierort. Dort einrichten, dann umziehen, Autor begrüssen (Arno Camenisch war nicht nur ein ausgezeichneter Vorleser, sondern auch ein ausgesprochen angenehmer, unkomplizierter Gast), Buchhändler empfangen, reden, applaudieren, gratulieren, beschenkt werden, sich freuen und danken, denn: In der Buchbranche und im Kollegium fliesst so viel Herzblut in diese Ausbildung. Dank ist das Mindeste und allzuoft das Einzige, was ich zurückgeben kann.

    Mittwoch, 4. Juli 2012:
    Meldung über die besten Resultate der neuen Buchhändlerinnen und Buchhändler an die Fachpresse, Fotos natürlich auch. Pics und Legende für Website erstellen (Upload ist bald). Nachmittags dann Zusammenarbeit mit unserer KV-Praktikantin, Vorbereitung für ihre Prüfung kommende Woche. (Thema: Dienstleistungen, Beschreibung des Kundennutzens, Zielpublikum. War müde, aber habe selbst eine Menge gelernt dabei, z.B. welche Dienstleitungen wir uns schenken könnten und welche wir herumerzählen sollten.) Abends Erholung trotz Hochwasseralarm: Geburtstagsessen mit meiner Mutter im Restaurant.
    Donnerstag, 5. Juli 2012: Büro, Telefonnotizen abarbeiten, Post abtragen, letzte Informationen und Kopien für meine Freitags-Klassen.
    Freitag, 6. Juli 2012: Unterricht, Abschied meiner Klassen im zweiten Lehrjahr, mein Fach gibt’s nicht mehr im dritten Lehrjahr. Es war so schön! Die haben dran gedacht, was ja nicht selbstverständlich ist (ausser am Ende der Ausbildung). Von einer Klasse habe ich eine (selbst gemalte!) Karte bekommen und ein Kinderbuch über die Bedeutung und Bedeutsamkeit der Wörter. Was für eine Überraschung! Danach ein tolles Referat gerade wieder zum Thema Bilderbuch von Mladen Jandrlic – meiner Meinung nach einer der Besten auf dem Gebiet.
    Samstag, 7. Juli 2012: Here we are, das Schuljahr ist Geschichte. Heute viel gewaschen (Hinterlassenschaft des tessiner Monsuns) und viel ausgeruht. Nur noch wenige Tage – dann beginnen meine analogen Ferien.

    Die Perspektivefragen

    Ich mochte billig nie. Das liegt nicht an einem begüterten Elternhaus sondern daran, dass mir von Anfang an eingeimpft wurde, dass immer jemand bezahlen muss und dass es seliger mache, selber zu bezahlen. Gerade weil wir in meiner Kindheit mit knappen Mitteln auskommen mussten, habe ich auch mitbekommen, dass Qualität zwar käuflich, aber auch mit Fleiss und Uneitelkeit zu haben ist. Ein leuchtendes Beispiel sind meine (unbegüterten) Grosseltern, die sich bin ins höchste Alter so zu ernähren vermochten, dass sie als Modell für jeden Bioratgeber mit Nachhaltigkeitssiegel passten. Sie pflegten den Garten und hielten sich eisern an das, was sie ein Leben lang gepredigt hatten: Geben muss man immer, erwarten immer wenig.
    Im Frühling hatte ich mit meiner Coiffeuse eine längere Diskussion darüber, ob eine Tageskarte für ein mittelgutes Skigebiet von CHF 60.00 viel oder wenig koste? Sie vertrat „viel“ („jeeeenseits!“), ich das Gegenteil. Sie ging natürlich von ihrem Budget aus, ich davon, was es an Manpower und Pferdestärke braucht, um den Betrieb einer Skipiste zu ermöglichen. Als meine Frisur – die zwei Tage Skiabo kostete – fertig war, hatten wir uns mehr schlecht als recht darauf geeinigt, dass die, die an der Skipiste arbeiten, bestenfalls eine Coiffeurlohn bekommen. Und ihren Lohn wiederum hielt die Coiffeuse für viel zu tief.
    Ich finde, dass die ganze Debatte um den Euro und die Krise und wer bezahlen muss für wessen Fehler eigentlich sehr gesittet verläuft. Und wenn ich höre, man sollte endlich die kleinen Leute ran lassen ans Regieren, bin ich nicht so sicher, ob ich das möchte.

    Gattin geht schlafen

    Wenn Sie hier mitlesen, ist die Chance gross, dass Sie mein Problem aus eigener Erfahrung kennen. Ihrer Laufbahn mangelt es vielleicht auch an Gradlinigkeit und Sie quetschen sehr Verschiedenes unter einen Hut. Sie wissen demnach, dass es eine anregende Sache ist, viele Rollen zu bekleiden, kennen aber auch die Grenzen des Hauptrollen-Repertoirs. Man muss ja – um die berühmten Prioritäten zu setzen – auch stets wissen, was man gerade am meisten ist. Bin ich jetzt grad Leiterin der Abteilung Buchhandel und zuständig für die Diplomierung der Abschlussklassen oder gerade mehr für die neuen Lehrstellen in der Abteilung Kundendialog? Bin ich Lehrerin (noch 8 Tests zu korrigieren), Buchhändlerin (noch drei private Buchtipp-Anfragen) oder Prüfungsleiterin (noch eine Notenkonferenz vorbereiten)? Bin ich Mutter, Tochter, Schwester, Freundin? Diese Woche war ich zwei Tage hauptsächlich Gattin und Schwiegertochter in der Nebenrolle, denn der Mann hat seinen Master erhalten. Wir erlebten einen sehr amerikanischen Graduation Day: formell, feierlich, schön – aber einfach lang. Und weil ich die Gattin am wenigsten übe, bin ich entsprechend müde. Am Montag habe ich dann wieder eine andere Hauptrolle und bin froh drum. Werte Gattinnen, ich weiss wirklich nicht, wie Sie das schaffen.
    Gattin 2012