Gesagt ist nicht gehört v.v.

Für eine Projektarbeit zum Thema „Schulbildung früher und heute“ im Fach „Wirtschaft, Recht, Gesellschaft“ haben drei Lernende der Abschlussklasse mich (und viele andere) befragt. Sie wollten wissen

  • ob ich die reformierte Ausbildung für Buchhändlerinnen besser oder schlechter als die vorherige finde und
  • ob ich in den letzten 10 Jahren Veränderungen bei den „Schülern“ feststelle, die darauf hinweisen, dass sie weniger gut in der Schule seien?
  • Ich gebe mir bei solchen Antworten immer Mühe, weil ich ja weiss, dass meine Kollegen vom anderen Fach mein Zitat lesen werden und es mir sehr peinlich wäre, wenn ich Mist erzählte. Was ich nun meine, geantwortet zu haben:

    Die Reform unserer Berufsbildung ist in meinen Augen für die Schule und die Branche ein Gewinn. Ob ihnen der Beruf attraktiv erscheint, werden aber bis ans Ende aller Tage die zukünftigen Azubis entscheiden, indem sie den Beruf wählen oder eben nicht.
    Ich habe in den letzten Jahren viele Veränderungen festgestellt, aber dass die Lernenden „dümmer“ werden gehört definitiv nicht dazu, auch wenn man das immer mal wieder liest. Die Abhängigkeit von Elektronik und speziell vom Internet und einigen wenigen Playern darin, macht mir aber schon Sorgen. Wie und warum sollen Jugendliche genau und vorausschauend arbeiten lernen, wenn sie heute mit E-Monokultur, Geschwindigkeit und Oberflächlichkeit besser beraten sind? Vielleicht ist es einfach der Lauf der Zeit, dass die Arbeit im Detail gar nicht mehr gefragt ist. Es ist kein objektiver Eindruck und eine Statistik habe ich auch nicht, aber ich sehe es gut in den mündlichen Arbeiten wie Vorträgen mit Präsentation: Der Inhalt ist häufig etwas wacklig, aber die Referiernden sprechen frei und lebendig und die Präsentationen sind meist viel besser und zweckmässiger als das, was ich von (längst) Ausgelernten zu Gesicht bekomme.

    Was nun in der fertigen Arbeit steht:

    Frau M. ist mit dem neuen System (der Ausbildung zur Buchhändlerin, sic.) zufrieden. Sie findet es zeitgemäss und der heutigen Gesellschaft angepasst.

    Sie hat aber im Allgemeinen Angst davor, dass die Menschen durch das Internet sehr beeinflussbar werden. Zudem wird alles schneller, dafür weniger genau. Dies sei jedoch der Lauf der Zeit. Aber es gäbe auch Verbesserungen in den Schulen, zum Beispiel die immer besser werdenden Präsentationen der Schüler.

    (Ich weiss, alle Lehrpersonen kennen das Staunen bei der Wiedergabe dessen, was sie gesagt haben. Aber meistens kommt das einem ja nur selber zu Ohren und Augen und nicht den Kollegen. Ich finde meine Antwort hier im Zitat ziemlich altbacken und leicht frustriert. Aber vielleicht habe ich ja wirklich so geklungen und vielleicht bin ich einfach alt. Aber sicher nicht frustriert von meinen erwachsenen Azubis, die ich seit einem Jahrzehnt nicht mehr „Schüler“ nenne.)
    Nachtrag 24. Juni 2010: Inzwischen habe ich die ganze Arbeit gelesen und sie hat mir einige neue Erkenntnisse gebracht. Die Aussagen der befragten Lehrpersonen zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind ziemlich unterschiedlich.

    Werbung in der Buchbranche (1)

    Schon viele Male wollte ich über Inserate in der und für die Buchbranche schreiben, zig Mal habe ich mir vorgenommen, Interessantes systematisch zu sammeln und habe beides nie geschafft. Das ist schade, denn es gibt in diesem Randbereich tagein, tagaus viel Originelles und Schönes aber auch Pragmatisches zu sehen. Zum Beispiel die aktuellen Inserate von klopotek, die abbilden, was so läuft in einem Verlag:
    Futura 2010

    Ein guter Tag

    Schon am Morgen haben männliche und weibliche Azubis ihren Charme spielen und ihre Wimpern klimpern lassen, um den Match schauen zu dürfen. Heute einen Unterrichts- und keinen Arbeitstag zu haben war eine einmalige Chance, schliesslich sollen Buchhandlungen auch weiterhin ein sicherer Hort derer bleiben, die sich nicht um Fussball scheren. Schulen weniger. Wir haben eine Lösung gefunden, der Lehrer der „technischen Warenkunde“ konnte unsere Infoscreen im Schulhauseingang zum TV umfunktionieren. Es war wundervoll zu sehen, wie sich die Schulhaustreppe in eine Zuschauertribüne verwandelte. Aber natürlich waren die Lernden aus spanischem Elternhaus nicht glücklich, da sind die 10% ein kleiner Trost.
    ***
    Als ich am Abend im überfüllten Bus sass, zusammen mit deutlich mehr Leuten in Spanien-Tricots als mit solche mit Schweizer Kreuz, hörte ich ein kleines Mädchen zu seiner Mutter sagen: „Komm, wir fahren bis Endsation und kaufen ein Büchlein („äs Büechli“) und sagen Papi nichts.“ Die Mutter nickte nachdenklich. Ich konnte mich nicht zurückhalten zu fragen, ob der Buchkauf denn nun ein Geheimnis sei oder eine Überraschung gebe? „Ein Geheimnis,“ flüsterte das Mädchen.

    Das Schuljahresende naht

    Wenn…
    meine Sitzungsleitung chaotisch
    mein Sitzungsverhalten unreflektiert
    mein Haar strapaziert
    meine Agendenführung planlos
    meine Aufgabenhilfe nutzlos
    mein Veloschlüssel verloren
    meine Schuhsohle abgetreten
    meine Briefpost ungeöffnet
    ist und ich kein Verständnis mehr dafür habe, dass die Toiletten im Schulhaus gerade jetzt umgebaut werden müssen, sondern vernehmlich fluchen möchte,
    …dann habe ich etwas vergessen.
    (Danke für die Netzfundstücke, amore.s.)

    Zwischenstand

    Für mich ist diese Zeit von der ersten Prüfung bis zur Prüfungsfeier die Anstrengendste im Schuljahr. Fehlplanung strikes back – denn jeder Fehler multipliziert sich in Windeseile. Selbst kleine Ignoranzen wie ein ermunterndes Lächeln zu unterlassen oder keine Taschentücher abgeben zu können, haben eine miserable Wirkung auf das Klima.
    Ich habe in Prüfungszeiten viele Funktionen, die schwer (gleichzeitig) auszufüllen sind. Das ist halt alles historisch gewachsen. Erst war ich nur Expertin und habe keine Fragenstellungen gemacht. Dann wurde ich zur Examinatorin und war auch an der Fragestellung im mündlichen und schriftlichen Bereich beteiligt. Danach wurde ich Hauptexpertin und war auch zuständig für die Qualitätssicherung aller anderern Fragestellungen im Fachbereich Buchhandel inklusive Verlag. Dann wurde ich Abteilungsleiterin und bekam die Prüfungsleitung. Weil die Lehrabschlussprüfung in dieser Form aber wegen der Reform ein Auslaufmodell ist, gibt es niemanden, der eine meiner Funktionen übernehmen möchte.
    Ich befinde mich deswegen in diesen Juni-Wochen einfach in einer gelinde gesagt verzwickten Lage und kann nur hoffen, dass alles in der zweiten Halbzeit weiter läuft wie in der ersten. Ich habe Grund zur Zuversicht, denn die Lehrpersonen und externen Expertinnen in meinem Team sind wirklich sehr engagiert bei der Sache. Es gibt sogar ein sog. überparteiliches Komitee „häb Sorg zur Chefin“, welches mir beispielsweise Mandelbären zukommen lässt. Nein, es gibt wirklich keinen Grund zu jammern.

    Ungepanzert

    Man muss mich gänzlich verkennen, um bei mir eine „gepanzerte Haut“ zu vermuten. Die Wahrheit ist: Es fiel mir immer sehr schwer, auf die Zuneigung anderer zu verzichten, die generelle Unbeliebtheit, die ich so oft zu ertragen hatte und die sich, so schien es mir, nur selten überwinden liess – sie hat mir ein Leben lang Sorgen bereitet. Ich habe mich seit meiner Jugend nach dem Ring gesehnt, von dem der weise Nathan erzählt, jenem Ring, der die geheime Kraft hat, denjendigen vor Gott und Menschen angenehm zu machen, der ihn in dieser Zuversicht trage.

    – Marcel Reich-Ranicki (*2. Juni 1920)
    Mein Lieblingsleser sagte dies in seiner Rede „Des Lebens ungemischte Freude“ aus Anlass seines achzigsten Geburtstages. Gestern wurde er neunzig und sein Hundertster gehört zum angenehmen Teil meiner beruflichen Visionen.

    Buchhändler der Zukunft

    Buchhändler der Zukunft im Branchenblatt vom Juni
    Das hat eine Lernende für die Lehrlingsseite in unserer Branchenzeitschrift gezeichnet – als Illustration zu den Texten der Kolleginnen und Kollegen aus einer Abschlussklasse zum Thema Digitalisierung des buchhändlerischen Alltags auf den Seiten 32 und 33 in der Juni-Ausgabe des Schweizer Buchhandels.
    (Im Moment sind Lehrabschlussprüfungen. Es läuft ordentlich, dauert aber noch zwei Wochen. Und man soll ja den Tag nicht vor dem Abend loben. Trotzdem jeden Abend schön, wenn am Tag alles geklappt hat.)

    Branchenwitze

    Ich nehme an, dass Witze wie der Fachjargon zu jeder Berufsgruppe gehören. Näher kenne ich ausser den Buchhändler- und Lehrerwitzen nur die Musikerwitze (der Kürzeste: Zwei Musiker gehen an einer Beiz vorbei). Ich kann mir zwar Humor nicht besonders gut merken, aber seine Entwicklung in meinen beiden Berufen ist beobachtenswürdig. Der Lehrerwitz, in dem der Schüler schlecht dasteht, ist beinahe verschwunden. Die Witze, die heute im Lehrerzimmer erzählt werden, nehmen die Psychologisierung des Berufes und die politische Korrektheit aufs Korn.
    Unter Buchhändlern hatte der Witz um die Jahrtausendwende etwas an Terrain verloren, vielleicht auch weil die komische Kundenfrage – die ja zu unserem Beruf gehört wie zum Bäcker das Mehl – eine Weile über den Beruf hinaus als unterhaltsam galt. Am liebsten sind mir die lustigen, aktuellen Geschichten, an denen etwas Wahres ist, die aber mit jeder Wiedergabe an Pointe gewinnen. Es gab sie in meiner Lehrzeit und es gibt sie noch immer:

    Kommt ein junger Deutscher in die Buchhandlung und sagt zur ebenfalls jungen Buchhändlerin, er suche das Buch von einem Schweizer Kolumnisten, der auch entsprechend heisse, mit „ä“ im Vornamen und einer Verkleinerungsform im Nachnamen…? „Findest du mich dick?“ fragt die Buchhändlerin. „Nein, nein! Das gefällt mir so!“ antwortet der Kunde.