Wenn die Wellen zusammenschlagen

Wenn die Wellen über mir zusammenschlagen
Tauche ich hinab, nach Perlen zu fischen

Seit ich wieder in der Schule bin, versuche ich mich an Kalékos Rat zu halten und einige Perlen gab es auf jeden Fall. Aber es ist halt eine stürmische Zeit vor dem Schulstart (am Montag), wenn noch Einsprachen zu den Zeugnissen des Vorjahres eintreffen, die Lehrverhältnisse und viele Lehrpersonen neu anfangen, wenn der Kanton sich neben Amok-Szenarien auch noch mit Schweinegrippenszenarien an die Schulen wendet, wenn die längst gereinigten Schulzimmer wegen neuen Reparaturen erneut geputzt werden sollen, die Abteilungskonferenzen vorbereitet und abgehalten werden müssen und der Lift noch nicht fertig repariert ist.
(In solchen Situationen ist es sehr unpraktisch, in der Steiner-Schule erzogen worden zu sein. Da lernten wir nämlich, dass es nichts gibt, was einen nichts angeht, sondern dass die Schule ein Ökosystem ist, an dem jeder immer beteiligt zu sein hat. Also das Gegenteil von dem, was ich täglich können sollte.)

Zu Primo Levis 90. Geburtstag

„So schlug auch die Stunde der Freiheit für uns ernst und lastend und erfüllte unsere Seelen mit Freude und zugleich einem schmerzlichen Schamgefühl, um dessentwillen wir gewünscht hätten, unser Bewusstsein und unser Gedächtnis von dem Greuel, den es beherbergte, reinzuwaschen: und mit Qual, weil wir spürten, dass es nicht möglich war, dass nie irgend etwas so Gutes und Reines kommen könnte, das unsere Vergangenheit auslöschen würde, und dass die Spuren der Versündigung für immer in uns bleiben würden, in der Erinnerung derer, die es miterlebt haben, an den Orten, wo es geschehen war, und in den Berichten, die wir darüber abgeben würden. Daher – und dies ist das ungeheuerliche Privileg unserer Generation und meines Volkes – hat niemals jemand besser als wir die unheilbare Natur der Versündigung begreifen können, die sich ausbreitet wie eine ansteckende Krankheit. Es ist unsinnig, zu glauben, sie könne durch menschliche Gerechtigkeit getilgt werden. Sie ist eine unerschöpfliche Quelle des Bösen: Sie zerbricht Körper und Seele der Betroffenen, löscht sich aus und erniedrigt sie; sie fällt als Schande auf die Unterdrücker zurück, schwelt als Hass in den Überlebenden fort und wuchert wieder auf tausend Arten, gegen den Willen aller, als Rachedurst, als moralisches Nachgeben, als Verleugnung, als Müdigkeit und als Verzicht.“
Aus: „Die Atempause“ von Primo Levi, geboren am 31. Juli 1919 in Turin, gestorben am 11. April 1987 ebenda.

Schöne Ferien gehabt?

Gewiss, gewiss. Viel gelesen, viel geschwommen, mehr Familie, weniger Kleider, langsamere Welt. Und meinen Unterricht habe ich soweit vorbereitet, dass er nicht in meinen schuladminstrativen Aufgaben untergehen kann.
Zur Lektüre:

  • Begley, Louis: Ehrensachen / Suhrkamp
  • Angefangen, aufgeschoben und dann doch nicht gelesen, obwohl ich am Ende noch dringend ein Buch gebraucht hätte. Ich konnte einfach keine amerikanische Literatur mit Schauplatz Campus mehr verarbeiten. Habe statt dessen in der Campingbibliothek einen Krimi von Ludlum geholt. Schauplatz? Campus.

  • Huonder, Silvio: Dicht am Wasser / Nagel & Kimche
  • Es gibt nur wenige Leute, denen ich das Buch empfehlen würde, aber ich fand es gut. Es ist ein Sittengemälde heutigen Familien- und Ehelebens in der Mittelschicht. Der rote Faden ist – originell und doch ernsthaft – eine Art Jockl-Motiv, ausgelöst durch eine aussereheliche Beziehung.

  • Indridason, Arnaldur: Frost Nacht / Lübbe
  • Nicht lesenswert, der Plot war problemlos zu erraten und wurde der Campingblibliothek gespendet.

  • Kristof, Agota: Die Analphabetin / Piper
  • Ein Requiem auf die Muttersprache; ein Essay über Kristofs brutalen, ganz bewusst erlebten Abschied vom Ungarischen zugunsten des Französischen. Als Sprachmensch hat sie von Anfang an auf die Exilsprache gesetzt. Diese Entscheidung versträkte den Schmerz der Immigration, brachte ihr aber auch den Erfolg und die Existenzgrundlage.

  • Levi, Primo: Die Atempause / dtv
  • Ich kann einfach nur immer allen empfehlen, Levis Erinnerungen (wieder) zu lesen. Er gehört zu den Autoren, für deren Zeugnis Europa nie dankbar genug sein kann. Das hier ist die Geschichte seiner Rückkehr aus Auschwitz nach Turin. Neun Monate dauerte die Reise – oder eher der Transport – über Russland, Rumänien, Ungarn, Österreich und Deutschland. Levi hat Daten, Zeiten, Orte, Distanzen, Wetter, Menschen genau beobachtet und behalten, um alles aufschreiben zu können für die Nachwelt, für uns.

  • Lucarelli, Carlo: Der trübe Sommer / Piper
  • Für mich eine Neuentdeckung. Während des Krieges im faschistischen Italien vielseitig eingesetzt, wird De Luca im April 1945 wieder zum Commissario und soll wieder „normale“ Mordfälle lösen. Zu Kriegsende muss er dann doch vor den Partisanen flüchten. Er wird erkannt und von einem ländlichen Polizisten dahingehend erpresst, für ihn – den Unerfahreren – einen Mordfall zu lösen. Interessant ist nicht in erster Linie der Kriminalfall, sondern die Gratwanderung des Commissario.

  • Picoult, Jodi: 19 Minuten / Piper
  • Im Stil für meinen Geschmack etwas zu „amerikanisch“ (diese Bücher schreien ja immer „ich will verfilmt werden!“), aber empfehleswert. Eher ein Jugendbuch und gerade deshalb eine Ausnahme, weil es differenziert (und weder fromm noch einseitig) das Thema aufnimmt, welches Leben einem Amoklauf vorausgehen könnte. Gut, wenn solche Bücher Bestseller sind.

  • Priess, Ursula: Sturz durch den Spiegel / Ammann
  • Als Sekundärliteratur (die Autorin ist die Tochter von Max Frisch und schreibt darüber) kaum zu entbehren. Als Roman zu dürftig, um gut zu sein.

  • Roche, Charlotte: Feuchtgebiete / Dumont
  • Gern gelesen, auch wenn die Handlung an den Haaren herbeigezogen ist und ausser der Protagonistin nur wenige Charaktere gelungen sind. Trotzdem: Tolle Antithese in einer Zeit, wo Hygiene alles ist und unsereins sich kaum mehr in eine Sandale traut, ohne vorher eine Stunde in die Nägel investiert zu haben. Das ist Popliteratur!

  • Schlink, Bernhard: Selbs Mord / Diogenes
  • Schlink, Bernhard: Selbs Betrug / Diogenes
  • Schlink, Bernhard: Selbs Justiz / Diogenes
  • Ich habe mich ehrlich gesagt durchbeissen müssen. Habe aber den Protagonisten, den alten Selb, ins Herz geschlossen und deswegen alle Bände mehr oder weniger gelesen.

  • Xiaolong, Qiu: Blut und rote Seide / Zsolnay
  • Xiaolong lässt nicht nach. Ein wichtiges Element in diesem Band mit Inspektor Chen ist die brutale Kochkunst, deren Hauptzweck es ist, den Eingeladenen zu schockieren. Sehr lesenswert.

  • Zeh, Juli: Corpus Delicti / Schöffling & Co.
  • Ist ein bedrückendes Buch über einen Prozess gegen eine Frau in der Gesundheitsdikatur. Meistens dachte ich schon „Science Fiction“ bei dieser Lektüre. Aber wenn ich dann die Gesundheitsdiskussion wieder mitverfolge und Forderungen wie die von Herrn Hoppe lese, bin ich nicht mehr so sicher. Gegenwartsliteratur, die ich nur empfehlen kann.
    Zuletzt noch: Dass Frank McCourt gestorben ist, finde ich richtig blöd. Er war so witzig auf der Buchmesse, er konnte toll vorlesen, er kam gut ohne das Campus-Thema aus und „Teacher Man“ ist wohl eines der wenigen Bücher über das Lehrerleben an Mittel- und Berufsschulen. R.I.P.

    Zwischen den Schuljahren

    Das war die Auszeit 2008
    Ich gehe jetzt und gedenke zu lesen:

  • Begley, Louis: Ehrensachen / Suhrkamp
  • Huonder, Silvio: Dicht am Wasser / Nagel & Kimche
  • Indridason, Arnaldur: Frost Nacht / Lübbe
  • Kristof, Agota: Die Analphabetin / Piper
  • Levi, Primo: Die Atempause / dtv
  • Lucarelli, Carlo: Der trübe Sommer / Piper
  • Picoult, Jodi: 19 Minuten / Piper
  • Priess, Ursula: Sturz durch den Spiegel / Ammann
  • Roche, Charlotte: Feuchtgebiete / Dumont
  • Schlink, Bernhard: Selbs Mord / Diogenes
  • Schlink, Bernhard: Selbs Betrug / Diogenes
  • Schlink, Bernhard: Selbs Justiz / Diogenes
  • Xiaolong, Qiu: Blut und rote Seide / Zsolnay
  • Zeh, Juli: Corpus Delicti / Schöffling & Co.
  • Ich danke allen herzlich fürs Lesen. Hier und anderswo.

    Sonntägliche Standortbestimmung

    Das Schuljahr ist zu Ende und ich stehe kurz vor meiner Auszeit, in der ich ruhe, lese, schwimme, Kinder hüte und den Unterricht fürs neue Schuljahr entwerfe. In dieser Zeit arbeite ich hauptsächlich Listen ab:

  • Kontrolle der Zeugnisse vor Versand
  • Meldung Prüfungsergebnisse an Branchenpresse
  • Beschaffung Fotos Abschlussfeier
  • Upload Fotos Abschlussfeier
  • Rechnungen visieren
  • Neuauflagen der Schuldokumente fürs neue Schuljahr
  • Entwurf Schulzeitung für den Schulstart
  • Einladung & Traktanden Abteilungskonferenz Schulstart
  • Neue Kleider f. Kind
  • Update Vereinswebsite
  • Wäsche
  • Packen (gem. gesonderter Liste)
  • Unterbruch Zeitungsabos während Abwesenheit
  • etc.
    Das Gewitter von vorhin hat die ungefähr dreissigste Rinnstelle im Hochhausdach offenbart: Der Regen hat meinen Scanner zerstört, die abrupte Trennung aller Elektronik vom Netz erfordert und meine Liste um zahlreiche Telefonate mit Verwaltung und Handwerkern verlängert.
    Luxusprobleme. Kein Grund, sich zu betrinken.
    Eigentlich wollte ich heute Abend überlegen und ausprobieren, was ich nächstes Schuljahr auf meinem Fenstersims (gibt es das Wort überhaupt in Hochsprache?) im Büro ausstellen könnte. Vorletztes Jahr hatte ich Kugeln aller Art, letztes Jahr hatte ich Comicfiguren. Vielleicht wären ja Souvenirs von Buchmessebesuchen etwas.
    Souvenirs aus dem Buchhandel

    Abschlussfeier

    Während der paar Stunden Vorbereitungszeit gestern haben wir einfach nur geschwitzt. Weil alle Diplomierungen im Juni stattfinden, muss man sich immer ein Jahr vorher irgendwo einmieten, wo man sich nicht richtig auskennt. Mit genügend Vorlaufzeit und genügend Kleidern zum Wechseln geht das normalerweise schon.
    Gestern hingegen war der Wurm drin und während der esten Viertelstunde der Feier, als alle ca. 150 Gäste schon sassen, schwitzen wir Blut, weil es niemandem mehr gelang, die Technik zu beeinflussen. Kein Vorhang liess sich schliessen, die Beleuchtung war rein zufällig, eine gelbe Lampe da, eine Neonröhre dort. Was blieb, war ein Funkmik mit einem Akku, welcher während der Rede des Verbands-Geschäftsführers vollends den Geist aufgab.
    Nun waren die Gäste und Referenten felxibel und auch der geladene Autor entschloss sich, uns zu verzeihen und ohne sein explizit bestelltes Shure SM58 zu lesen.
    Alles wurde gut. Die Löwen der Kung-Fu-Schule eines Diplomanden tanzten wild und ich bekam meine Rede doch noch irgendwie auf die Reihe. Wir alle lernten einmal mehr, dass alles machbar ist, auch bei falscher Beleuchtung und mit heiserer Stimme. Das fand – zu meiner grossen Erleicherung – auch die Berufsschulinspektorin.
    Wir hatten tolle Prüfungsresultate. Sie wurden von der Klassenlehrerin und Klassenlehrer bekannt gegeben und die machten das genau, wie ich es mag: Gepflegt, aber nicht überkandidelt, sympathisch und authentisch.
    Ich habe zum Abschied von beiden Klassen je ein Buch bekommen:

  • Zum Einen ein ganz wundervolles Fotoalbum mit sehr typischen, gut ausgewählten Bildern und einer professionell eingeschuberten CD mit einem Sammelsurium an Erinnerungsfotos.
  • Zum Anderen ein selber produziertes Kochbuch „Fertig gekocht…“ mit je einer Doppelseite pro frisch gebackene Buchhändlerin: Auf der einen Seite Bild, Name und Zukunftspläne, auf der gegenüberliegenden Seite die persönliche Empfehlung eines passenden Gerichts.
  • Vielen Dank allen und auf Wiedersehn in der Buchhandlung!

    Dark Side

    Wenn ich gegen Mitternacht den iPod vom schlafenden Kind bei Track 39 von Pink Floyd ausschalte, frage ich mich schon, wohin die Zeit sich verkrümelt hat. Erst wenn ich in das Archiv meiner Jugend abtauche und merke, wie innig Floyd zu meiner Zeit mit maxell UL 90 verbunden war, habe ich meine Orientierung wieder.
    Sandwiches von heute

    Abschlussfeierorganisation

    Ich mag das Organisieren und ich mag besonders die Zeit jetzt, eine Woche vor der Abschlussfeier. Jetzt ist klar, dass ich mit dem Budget zu Rande komme, dass die Abteilung genügend Sponsoren hat für eine Lesung und sommerliche Blumendekorationen.
    Ich muss nichts und fast niemandem mehr nachrennen, ich kann nur noch gestalten. (Mein Lehrer aus der Rudolf-Steiner-Schule wird sich im Grabe freuen über diese Aussage. Er fand mich immer zu organisiert für mein Alter.)
    Nur noch die Abschlussrede. Ich versuche es nun schon den ganzen Tag, aber ich kriege Themen und Zeit heute nicht auf dir Reihe. Wenn ich etwas weglasse, wird’s zu kurz, wenn’s doch vorkommt, zu lang.
    Nun denn, es bleiben mir noch sechs Tage Schöpfungsfrist.