Zuerst die Frauen

Als Domenica gefragt wurde, ob sie sich nicht auch für Altersvorsorge und Ausstieg der Zuhälter einsetzen könne, wetterte sie:
Hör doch auf! Neulich rief mich ein Lude an und sagte: „Wie ist das mit Austiegshilfen für Männer?“ Da habe ich geantwortet: „Wenn mal der Tag gekommen ist, an dem eine Hure nicht von der Sozi beerdigt wird, und hundert Luden gehen hinterm Sarg her – ja dann setz ich mich auch für Luden ein. Bis dahin sind die Frauen dran. Mein Geld kriegen auch nur noch Frauen.“
Eine Kämpferin wider die Bigotterie weniger. Hinter ihrem Sarg gingen viele. Und auf ihrer Hinterlassenschaft können wir aufbauen.
Schönen Frauentag allerseits.

Literaturverfilmungen

Wie Liisa richtig feststellte, kann man es mir mit Literaturverfilmungen kaum recht machen. Ohne lange zu überlegen, fallen mir bloss eine Handvoll Filme ein, mit denen mein Seh- und Lauscherlebnis mein Leseerlebnis erreichte oder sogar überflügelte:

  • Brokeback Mountain (Buch von Proulx: „Weit draussen. Geschichten aus Wyoming.“)
  • Dame, König, As, Spion (Buch gleichen Titels von LeCarré)
  • Effi Briest, die Fassbinder-Verfilmung (Buch gleichen Titels von Fontane)
  • Persepolis (Buch gleichen Titels von Satrapi)
  • Slumdog Millionaire (Buch)
  • Nur sauer

    Es gibt Tage, da bin ich einfach nur sauer:

  • Über die Ausreden, die mir laufend angetragen werden (hätte schon vor Jahren eine Sammlung eröffnen sollen)
  • über die Schwänzerei bei Tests (40% mehr Krankheit bei Notenarbeiten)
  • über das Hochpreis-Buchpreistheater (wann gibt es einen Aufstand, weil Darjeeling Tea hier mehr kostet als in Darjeeling?)
  • über die Tatsache, dass ich jeden ausgaberelevanten Antrag mindestens fünf Mal stellen muss (ist normal, ich weiss)
  • über Lehrerinnen und Lehrer, die das Thema Indien mithilfe eines Buches von 1967 erörtern (keine Ausnahme, ich weiss)
  • über bescheuerte Literaturverfilmungen (Vorleser, Effi Briest)
  • über Leute, die wegen verändertem Yogastundenplan Sitzungen verschieben wollen (und das soll Wirtschaftskrise sein?)
  • Grrr.

    Entscheidungen

    Wie gern ich das heutige Folio lese!
    Ich liebe Entscheidungsprozesse. Sowohl meine eigenen als auch die, die bei anderen ablaufen. (Ausser sie dauern zu lange und führen zu nichts.) Das Private lasse ich einmal aussen vor, aber beruflich lebe ich nach der Devise: Wenn ich in mindestens 60% der Fälle richtig entscheide, läuft der Laden einigermassen und es geht eher vorwärts als rückwärts. Das denke ich auch umgekehrt: Wenn mein Laden, meine Abteilung, mein Gebiet, mein Vereinsvorstand oder was auch immer ich leite, läuft, waren meine Entscheidungen mehrheitlich richtig.
    Zu Fehlentscheidungen habe ich ein asiatisches Verhältnis. Dass ich mich entschuldige ist nicht der Rede wert, viel wichtiger ist die Wiedergutmachung. Sühnen musste ich bis jetzt noch nie. Möge es um Himmelswillen so bleiben und mögen sich meine falschen Entschlüsse niemals negativ auf Leib und Leben anderer auswirken.
    Und das war auch das einzige, was ich in dieser Auswahl vermisst habe: Die Wirkung und Auswirkung von Fehlentscheidungen. Das kommt nur in Form reuiger Tätowierten und am Beispiel eines oberflächlich interviewten Beinahe-Selbstmörders vor.
    Gemäss im Folio zitierten Studien seien falsche Entscheidungen ohnehin zu vernachlässigen. Sie passierten vergleichsweise selten und wenn, seien die Folgen viel weniger drastisch als man im Vorfeld der Entscheidungsfindung vermute.

    Aus dem Reisenotizbuch [13]

    [Ich muss mich beeilen, mit den Reisenotizen fertig zu werden. Ich will nicht mit Dokumentationsverzug zur nächsten – bald anstehenden – Amerikareise aufbrechen.]
    15. April 2007 7:55 (Arizona Time)
    Abflug von Phoenix nach Chicago. Very, very community flying. Eine Einjährige gehütet. Deren Mutter hat ihren Latino verlassen und fliegt nun wieder heim zum Vater. Und zu Gott. Gott hat sie wieder entdeckt.
    15. April 2007 12:48 (Chicago Time)
    Ankunft. Miete eines weissen Autos Marke Mercury. Auf geraden Strassen durch die Häuser und unter der Hochbahn durch – so ist Chicagos Industriestadt-Architektur – und zum Sears Tower gefahren. Lift eher unspektakulär, dafür Aussicht umso mehr. Dachmuseum mit Fotowänden von prominenten Bürgerinnen und Bürgern. Kind posiert vor Benny Goodman, Luis Armstrong, Mahalia Jackson, The Blues Brothers, Oprah Winfrey, Harrison Ford (The Fugitive) und Jesse Jackson. Ich, von einer Feministin erzogener Gutmensch, lese alles über Jane Addams und schaue von oben auf das Hull House, das – von Wolkenkratzern internationaler Firmen umrahmt – ein Dasein als eher schlecht besuchtes Museum fristet. (Die 120-jährige Stiftung ist immer noch aktiv und dass einer aus Chicagos Sozialarbeiterkuchen Präsident werden würde, hätte ich damals nicht für möglich gehalten.)
    Spaziergang durch die Windy City entlang dem aufgewühlten Lake Michigan. Das Kind will bewegt werden. Hacky bis die Finger abfallen. Nachtessen mit den besten Tempura – Kürbis, Süsskartoffel, Crevetten, Fisch, Zucchetti – meines Lebens.
    View from Sears Tower on Chicago and Lake Michigan Playing Hacky along Lake Michigan

    Rupien! Rupien! oder Slumdog Millionaire

    [Keine Besprechung. Nur kurz vor der der Academy, meine Meinung.]
    Wir haben Vika Swarups Rupien! Rupien! (Originaltitel: Q & A) vor gut zwei Jahren gelesen, als wir ein paar Tage in den Bergen waren. (Ich wähle berufsbedingt die Ferienlektüre für die ganze Familie aus, ich kenne die Vorlieben. Jedenfalls hat noch keiner Anstalten gemacht, etwas daran zu ändern.) Danach haben wir das Buch mit besten Empfehlungen weiter verschenkt und das inzwischen bereut, weil es in unserer Bibliothek fehlt.
    Denn das Buch ist gut. Besonders meinem ambivalenten Verhältnis zu Indien kommt es sehr entgegen, es vereint Dramatik und Pragmatik, die meine Erinnerung an das Land prägen. Auch die Züge, mit denen ich Indien als Kind bereist habe, spielen eine wichtige Rolle. Ich weiss nicht, ob der Autor es bezweckte, aber da er Diplomat war, könnte es schon sein, dass Swarup hier sein Land erklären wollte. Ob Absicht oder Zufall: Mit der Übersetzung in über dreissig Sprachen und der erfolgreichen Verfilmung ist es passiert.
    Des Protagonisten Begründungen, warum ausgerechnet er als „Slumdog“ bei einer Quizshow gewinnen konnte, machen die Rahmenerzählung aus. Keine seiner Erklärungen ist naheliegend, die lehrreichen Ereignisse, die ihn die Fragen richtig beantworten liessen, waren ebenso zufällig wie gnadenlos.
    Aus der Jahrtausende alten indischen Tradtion wurde hier – wie in jedem Bollywood-Streifen – die Liebesgeschichte übernommen. Die Liebenden sind die Guten, alle anderen Figuren haben verschiedene Gesichter, jedes strahlende Lächeln kann sich schnell in eine Fratze verwandeln.
    Auch der Film „Slumdog Millionaire“ ist gelungen. Beschreibungen, die literarisch besonders stark sind, nehmen in der Verfilmung ebenfalls einen wichtigen Platz ein. Die Besetzung wurde im Vergleich zum Buch reduziert oder geändert, warum das ausgerechnet zulasten der Frauenfiguren sein musste, leuchtet mir allerdings nicht ein.
    Das Klassendenken, dieser unbedingte Wille zur Ausgrenzung, die Indien schon so lange lähmen, sind in Film wie Buch präsent. Jedoch nie so, dass die Unterhaltung ins Stocken gerät und der mitfiebernde Leser oder Zuschauer sich belehrt fühlt oder gar Grund zur Überheblichkeit erhielte.
    Mich haben Buch wie Film viel gelehrt, gut unterhalten und bestätigt: In Indien ist ein Mensch alles – ein Star – oder nichts – austauschbar.

    Tischgespräch [37]

    Vater:
    So ein schlechter Job ist Bankdirektor auch wieder nicht.
    Kind:
    Im Moment bist du mega der Depp als Bankdirektor. Das kannst du keinem erzählen, wenn du das bist. Oder gehst besser gar nicht mehr raus.
    Mutter:
    Ja, schon Schalterangestellte haben es schwer. Als Bank-irgendwas kannst du dich kaum zu erkennen geben.
    Kind:
    Das ist jetzt wie Albaner.
    Vater:
    Oder Verkehrspolizist.
    Kind:
    Oder schwul in unserer Klasse.

    Ein guter Tag

    („Guten Tag“ ist eine Anrede, die ich meide. Aber eigentlich ist an diesem Wunsch wirklich nichts auszusetzen. Heute jedenfalls hat er sich bewahrheitet und das könnte ja an der ersten Mailerin von heut Morgen, die solcherlei Gruss verwendete, liegen.)

  • 08:00 Uhr: Verlorenes Handy bei der freundlichen Finderin abgeholt, über Moral gesprochen.
  • 09:00 Uhr: Meeting der CMS-Poweruser in der Schule.
  • 10:00 Uhr: Kaffee mit der Buchhandels-Fachschaft und einer Buchhändlerin von weit her.
  • 10:30 Uhr: Einen Prospekt und Brief für einen neuen Kurs unserer Abteilung fertig geschrieben.
  • 11:45 Uhr: Essen mit einem lang nicht gesehenen Freund, der (im Gegensatz zu mir) lieber twittert als bloggt.
  • 14:00 Uhr: Unterrichtsvorbereitung für morgen und nächste Woche erledigt.
  • 15:00 Uhr: Sitzung mit Schulverwaltung.
  • 15:45 Uhr: Interessanter und amüsanter Unterrichtsbesuch mit dem Thema: Druckverfahren erkennen.
  • 16:00 Uhr: Mails beantwortet.
  • 17:00 Uhr: Lange auf Bus gewartet, dafür endlich A Black Man’s Soul am Stück gehört (ja, ich wurde mit Vinyl sozialisiert).
  • 18:00 Uhr: Eingekauft.
  • 18:30 Uhr: Bloggen und bügeln parallel.
  • Schulkonferenz

    war heute. Ist bei uns zweimal pro Jahr, im ersten Semester noch vor Schulbeginn, in der letzten Sommerferienwoche. Im zweiten Semester gleich am Anfang. Es geht da immer um Schulentwicklung und Informationen, die die Schulleitung persönlich und nachdrücklich geben will. Seit 2007 gehört zur Schulkonferenz auch ein „aktiver Teil“. Das ist gut, denn auch Lehrerinnen und Lehrer können nicht allzulange nur zuhören.
    Heute war die Überarbeitung unserer Hausordnung das Thema der Workshops, an denen sich fast alle beteiligten, auch Leute aus der Verwaltung. (Für Interessierte aus anderen Schulen in unserem Vademecum ab Seite 30 zu finden.)
    Die Grundsatzfrage: „Ist unsere Hausordnung noch zeitgemäss?“ wurde nach 70 Minuten Debatte in Gruppen mit „beinahe“ beantwortet, die Änderungsanträge hielten sich in Grenzen. Dagegen kamen etliche Ideen für die schnellere, nachhaltigere, bessere Umsetzung auf den Tisch. Und ich dachte – wie alle anderen wohl auch – bei den einen Vorschlägen „Hach, das ist ja sonnenklar!“ und bei den anderen „Wow, darauf wäre ich nie gekommen.“
    Richtig ist in Gruppenarbeiten, nur Zweiteres zu sagen und schön, nur Zweiteres gesagt zu bekommen.