Literaturpreise

Jeder scheint zu wissen, wer den Literaturnobelpreis hätte bekommen sollen. Es ist wie beim Fussball.
Le Clézio wurde in der Schweiz während meiner Lehr- und Jungbuchhändlerinnenzeit gelesen, ich jedenfalls habe ihn damals verkauft, wenn auch nicht häufig. Die Schlagzeile „Literaturpreis für einen Unbekannten“ passt hier sicher weniger als bei Wisława Szymborska (1996) oder Gao Xingjian (2000). Der Nobelpreis ist halt einfach international und das Komitee muss ausdrücklich Idealismus ehren.
Vielleicht hasst das Nobelkomitee Amerika gar nicht so sehr, wie das derzeit in einigen Kolumnen behauptet wird. Vielleicht ist die US-Literatur nicht zu schlecht, sondern zu gut. Jede Entscheidung für einen Amerikaner schliesst die anderen wieder für ein paar Jahre aus. Vielleicht wissen die einfach nicht, wem sie den Preis zuerst geben sollen. Frisch und Dürrenmatt standen bestimmt auch eine Dekade auf der Liste und starben dann so nah aufeinander, dass gar keiner mehr für den Nobelpreis übrig blieb. Hoffen wir für die USA auf ein besseres Timing von Updike, DeLillo, Roth und Pynchon. Doch trivial ist das nicht. Einerseits wegen dem Idealismusanspruch im Nobel-Testament und andererseits, weil sie alle in den Dreissigern geboren sind und einer mit dem Sterben ohne die höchste Auszeichnung anfangen müsste.

Was vielen nicht bewusst ist: Literaturpreise sind Honorare. Verspätete Honorare. Für Autorinnen und Autoren nicht planbar und Regeln unterworfen, die ihnen zu Recht willkürlich erscheinen: Region, Nation, Religion, Muttersprache, Geschlecht, im Vorjahr berücksichtigte Person u.s.w. Schriftstellerinnen und Schriftsteller hangeln sich von Werkbeiträgen über Stipendien zu Literaturpreisen. Wenn sie gut und erfolgreich auftreten, kriegen sie vielleicht einen Drittel ihres Lohnes aus Lesungen und Beteiligungen an Podien, aber haben immer noch keine Pensionskasse. Vorsorge kann sich leisten, wer regelmässig in mindestens einer bekannten Sprache publiziert und gelesen wird. Zurücklehnen können sich nur die Mega-Stars (Eco, Coelho, Rowling, Pilcher). Selbst ein verwöhnter Fantasy-Autor, der Rechte in die ganze Welt und für jedes weitere Medium verkauft und der eine gut geölte Merchandising-Maschine hat, verliert sehr schnell sein Auskommen, wenn er nichts mehr liefert, weil er aus irgend einem Grund nicht mehr schreiben kann.
Sicher, Literaturpreise bedeuten Ruhm und Ehre. Aber es ist auch Geld. Im schlechteren Fall, um offene Rechnungen bezahlen, im besten Fall, um Neues schreiben zu können.
Linktipp: Wo Buchhändler nach Auszeichnungen suchen. (Leider stets etwas verspätet aktualisiert, steckt wohl viel Idealismus dahinter.)

5 Gedanken zu „Literaturpreise“

  1. Daß nun Le Clezio als unbekannter herabgewürdigt wird, ist auch in meinen Augen ein Fehlschluß. Seit Ende der achtziger Jahre war er auf dem deutschsprachigen Buchmarkt recht durchgehend präsent, Ausgaben davor hattte es in Ost oder West vereinzelt schon gegeben. Wer sich mehr auf den Bereich anspruchsvollerer Literatur bewegte, hätte ihn wahrnehmen können, spätestens 2000, denn da war, wenn auch nur kurz, Thema im „Literarischen Quartett“. Und es hätte eine weniger nachvollziehbare Entscheidung geben können, etwa einen Installationspoeten aus Tonga oder – das aber subjektiv – Bob Dylan, dem ich jeden Grammy gönne, den er erhalten kann.
    Ich habe Engdahls Tirade nicht als Ausdruck der Meinung der Stockholmer Jury, sondern als seine oder gar als Beeinflussungsversuch der tagenden Entscheidungsträger gesehen. Sie war unangebracht, arrogant und dermaßen verallgemeinernd, daß man sie schlichtweg als falsch bezeichnen muß. LG tinius

  2. es tönt zwar wie ein schlechter witz, dass jemand sterben muss um eine entscheidung herbei zu führen, ist aber realität. ich finde die jury sollte sich unabhängig davon entscheiden ob nun irgend jemand anderes von dieser entscheidung gekränkt sei. der ders verdient hat bekommts und die anderen bekommen es später oder gar nicht. es ist ja nicht so dass ein schriftsteller ohne nobelpreis kein guter schriftsteller ist.

  3. Auch in der Sonntagspresse bleibt die Frage offen, ob hier Antiamerikanismus moniert werden kann und wenn, ob er Methode hat.
    Wir werden es nicht erfahren. Und ich frage mich nach den heutigen offlinen und onlinen News zweierlei:
    – Wie viele Jahre muss ich noch lesen, Jelinek sei der ultimative „Missgriff“ gewesen?
    – Seit wann hat Reich-Ranicki eine Tochter? Lt. SPON hätte sie an seiner Stelle den Fernsehpreis angenommen.
    Nun denn.

  4. ich finde es falsch schriftsteller aufgrund ihrer herkunft zu bevorzugen oder zu ignorieren. im wettbewerb um renomierte preise sollte das auswahlverfahren unabhängig und frei von äusseren einflüssen sein, wenn das werk eines schriftstellers es wert ist, sollte er den zuschlag bekommen. ich finde es dass überall viel zu viel geschaut wird ob irgendjemand nicht damit einverstanden sei, das kann doch nicht gut sein.

  5. Der Nobelpreis ist jedes Jahr aufs Neue etwas, das Literatur und die Diskussion darum, was sie ist, kurz in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt. Das war bei Jelinek besonders deutlich, und vorher z.B. bei Dario Fo: per se schon etwas Tolles!
    Wenn man jedes Jahr nur einen Preis vergeben kann (und die Gewohnheit, ihn zu teilen, siehe Medizin und z.B. 1966, 1974, hat sich ja nicht durchgesetzt), dann muss man notgedrungen einen Haufen Preiswürdiger übergehen. Ist ja bei den andern großen Preisen genauso, etwa beim Büchnerpreis. Ich finde es eigentlich gut, wenn Leute bedacht werden, die ich nicht so auf der Rechnung hatte: Updike oder Roth lesen wir doch ohnehin, ob mit Preis oder ohne.

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