Über Berufung

Wer als junger Sortimenter über die Anfangsschwierigkeiten hinweggekommen ist, fühlt sich beglückt von der Vielseitigkeit seiner Arbeit, von dem täglichen Wechselspiel zwischen geistiger, kaufmännischer, selbst körperlicher Betätigung. Er hat einen Beruf gefunden, der den ganzen Menschen ausfüllt, auch seine Persönlichkeit bildet und bis in die Freizeit hineinstrahlt. Das gilt für den Angestellten genau so wie für Buchhändlerkinder und Inhaber eines eigenen Sortiments.

So beschriebt Hans Ferdinand Schulz „Beruf und Berufung des Sortimenters“ in der schönen Aufsatzsammlung „Der deutsche Buchhhandel in unserer Zeit“, erschienen 1961 bei Vandenhoeck & Rupprecht in Göttingen.
Nicht, dass ich mich nicht zur Buchhändlerin berufen fühlte, wirklich nicht. An der Vergilbtheit meines Arbeitsbuches gemessen, bewähre ich mich in dieser Branche. Doch gibt es Seiten des Berufes, die ich seit der Lehre vergeblich zu beherrschen suche.
Aufräumen ist meine Schwäche. Nicht im Bereich Sauberkeit und Genauigkeit, sondern im Bereich Entscheidung. Der Einkauf, die richtige Auswahl, das ging irgendwie und mit der Zeit immer besser. Aber rausschmeissen? Abteilungen ersatzlos streichen? Das ging nur, wenn ich entsprechenden Befehl bekam. Sonst ignorierte ich, dass der Historikerstreit zu Ende war und Yugoslavien auch. Dass Afrika vom Hungerkontinent zur Tourismusdestination mutiert war und dass Marx‘ Gesamtwerk sowie alles andere aus den VEB-Verlagen längst zu Staubfängern verkommen war. Ja, ich habe in einem Sortiment gelernt, in dem einen Vorteil hatte, wer das Dietz-Verlagsprogramm auswendig konnte und das war nun wirklich kein Problem. Es folgt ein Ausschnitt aus der ersten Inventurliste in meinem Arbeitsbuch:

Auszug Inventur 1988
Die lieben Herren Vorgänger in der Branche nahmen es mir nicht übel, dass ich manchmal den richtigen Zeitpunkt zum Ausräumen verpasst habe. Im Gegenteil. Es gibt bestimmt nicht viel Fachliteratur, die so ermunternd ist wie die buchhändlerische. Heinrich Gonski schloss seinen Aufsatz „Vertriebsformen des Buches“ von 1961:

Der Erfolg des Buches ist eben auch in diesem Zwischendasein, welches es als Handelsobjekt führt, von unzähligen Inponderabilien und, häufig genug, vom blossen Zufall abhängig. Der einzelne Buchhändler vermag die Gesetzmässigkeit, die trotzdem darin verborgen liegen mag, nicht zu erkennen; dafür ist sein Erfahrungsraum zu klein. Seine Sache ist es, eine wache Anteilnahme an allen Erscheinungsformen der Literatur und Wissenschaft, aber auch des politischen und täglichen Lebens mit kaufmännischer Sorgfalt und Zuverlässigkeit in den Dienst des Buches zu stellen und sich dieser Aufgabe mit Verantwortung, Mut und Geduld zu widmen.

5 Gedanken zu „Über Berufung“

  1. Ich denke, der Beruf des Buchhändlers hat (noch) viel mit Berufung zu tun, was allerdings nicht voraussetzt, daß man jeden Bereich des Metiers beherrscht oder souverän umsetzt. Und konkret würde ich sogar meinen, daß das betriebswirtschaftliche Denken, in dem Rahmen, in dem es heute notwendig scheint, eher den Beruf verleiden könnte. Denn hängt nicht jeder Buchhändler an jedem einzelnen Buch, an jeder interessant erscheinenden Nische ? Die mir liebsten Buchhandlungen erinnerten immer an verkramte Labyrinthe, in denen man sich Zufallsfund um Zufallsfund vorantastete und mit mindestens drei Büchern mehr wieder herauskam, als man zu kaufen beabsichtigt hatte (z.B. die untergegangene Heinrich – Heine – Buchhandlung am Bahnhof Zoo in Berlin). So etwas ist heute kaum denkbar, denn heute geht es mehr um Warenumschlagszahlen, Effektivität etc. , nicht zuletzt wegen der härter gewordenen Bedingungen bei Banken und bei Warenkrediten. Und man darf froh sein, über Mischkalkulation und Verkaufstalent wenigstens noch kleine Freiräume zu erhalten. Lg rollblau

  2. Ich glaube, lieber Rollblau, dass das eine das andere nicht ausschliesst. Jedenfalls nicht, wenn mehr als eine Person in einer Buchhandlung arbeiten. Ich war – und bin – zum Beispiel eine grosse Freundin von Kennzahlen. Nur für die Umsetzung der Massnahmen (also das Auflösen von Abteilungen) brauchte ich halt Unterstützung gegen Sentimentaliät.
    Wo ich aber eine Berufungs-Lücke orte (gerade weil so viele Kleine eingegangen sind und noch eingehen werden), sind Sortimentsauswahl und Dienstleistung. „Eine wache Anteilnahme an allen Erscheinungsformen der Literatur und Wissenschaft“ bedeutet eine wache Anteilnahme am Leben der Menschen und am Menschen selbst auch im Sinne von Einfühlungsvermögen und dem Aufbau langfristiger Kundenbeziehungen. Und das, das liegt mehr im Argen, als wir es uns wegen der Internet-Konkurrenz leisten könnten. (Wobei ich den subjektiven Eindruck habe, in der Schweiz sei es weniger schlimm als in Deutschland. Da ich ~40 von 110 Lernenden pro Schweizer Jahrgang unterrichte, kann ich das auch etwas beeinflussen 🙂

  3. Meine Buchhandlung um die Ecke hat aus wirtschaftlichen Gründen das belletristische Sortiment enorm straffen müssen. Das ist vermutlich wirtschaftlich, entspricht eventuell auch den realen Kennzahlen, nur leider finde ich seit knapp einem Jahr nur noch ein Drittel der Bücher, die mich hätten interessieren können, die allerdings davor doch mit einem weit größeren Anteil und in gewisser Weise repräsentativ den Neuerscheinungsmarkt abdeckten, auf Nischenliteratur war von vornherein verzichtet worden…. Ja, man kann bestellen, und ich tu das dort auch ab und an, da die persönliche Bindung zum Laden und zum Personal vorhanden ist, ebenso wie eine Grundeinstellung „Support your local bookdealer“. Aber ohne dieses wäre die Bestellung via Internet bequemer und läge teilweise auch näher, weil ich etliches an Neuerscheinungen eh im Netz recherchieren muß, da in den Buchhandlungen inzwischen auch nur noch das Allernötigste an Katalogen liegt. (Wobei ich ja den Vorteil hab, mal dezent nach nicht ausgefüllten Reisebestellscheinen fragen zu können – so als Kollege. 😉 )
    Ich selbst habe nur in Buchhandlungen gearbeitet, wo es ein oder zwei Chefs und maximal zwei Angestellte + evtl. eine Aushilfe gab. Das heißt auch, der Chef/die Chefs bestimmen den Einkauf und den Remissionsbedarf. Allenfalls konnte man mal bei Vertreterbesuchen über die Schulter schauen und eine Anregung einflechten. Dennoch haben solche Kleinbetriebe unschätzbare Vorteile : man arbeitet in fast allen Bereichen des Sortiments, hat eine recht hohe Kundenbindung, zumal man eben gezwungen ist, Dienstleistungen wie Verlagsbestellungen zu erbringen, während größere Betriebe (oder solche mit finanziellen Problemen) dies aus Kostengründen eher widerwillig oder gar nicht tun, sogar zur Abwehr solchen Ansinnens behaupten, ein Buch, das nicht im Barsortiment gelistet ist, gäbe es nicht mehr…. (Einzelfälle, aber schon erlebt.) LG rollblau

  4. Weisst du, was ich mich frage? Weshalb in Dreiteufelsnamen schmeisst dir „deine“ Buchhandlung die Reiseformulare nicht hinterher? Oder Kopien davon? Weshalb stellen die dir nicht eine Auswahl an passenden Neuerscheinungen auf die Seite oder schicken dir eine persönliche Empfehlungsliste ein halbes Jahr bevor die Bücher erscheinen? Wenn sich eine Buchhändlerin auf den Kundengeschmack einstellt, ist das alles schnell erledigt und macht erst noch Freude. Ich wundere mich einfach nur…

  5. Weil „anspruchsvoll“ ein etwas zu weit gefasstes Kriterium für die Buchauswahl ist ? Und weil ich nur zwei, drei gebundene Bücher im Monat finanzieren kann ? Bessere Frage : warum sperren sich deutsche Buchverlage in der Regel, Leseexemplare an Rezensionsblogger zu versenden ?
    Ich gehe aus dem Laden natürlich nie raus, ohne etwas gekauft zu haben, aber wenn etwa „Die Attentäterin“ von Khadra nur als Kundenbestellung läuft bzw. nach mehrmaliger Nachfrage meinerseits dann doch fürs Lager bestellt wird, werden Einsparungen gefährlich, finde ich. LG rollblau

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