14. April 2007 10:35
Nach einem letzten Rundgang am Yavapai-Point verabschieden wir uns – zusammen mit Hunderten, die unser touristisches Schicksal teilen – schweren Herzens vom Grand Canyon. Wir schlagen den Weg nach Flagstaff ein. Weil Leaphorn hier immer das Amtliche erledigen muss, wissen wir, dass es die grösste Ortschaft im Navajo-Gebiet ist und freuen uns darauf, das in den Büchern beschriebene Städtchen in Natura zu sehen.
14. April 2007 12:15
Wahrlich, ein guter Ort. Wir sitzen unter Kirschbäumen und trinken den ersten erträglichen Espresso seit langer Zeit. Wir schauen vis-à-vis ist das Schaufenster eines Ladens namesn „The Rainbow’s End“, in dem geblümte Gummistiefel ausgestellt sind. „April Showers bring May Flowers“ steht an der Fensterscheibe.
14. April 2007 13:00
Wir haben einen Indie gefunden. Und es wäre für meine Berufskolleginnen und -kollegen in der Schweiz nicht schwierig zu erraten, was der Unabhängige in Flagstaff ausgestellt hat.
Aber im Innern gibt es einige Trouvaillen, besonders das Navajo-Wörterbuch ist ein typografisches, grammatikalisches und didaktisches Meisterwerk.
(Danach steht in meinem Notizbuch einen ISBN: 0-89659.654-0. Ich suchte den dazugehörigen Titel heute bei der Library of Congress und erinnerte mich wieder genau an die fulminanten Aquarelle. Auf dem Umschalg war eine Leserin abgebildet.)
Kategorie: Buchhandel
Mein Unerrichtsfach, meine Branche seit 25 Jahren, meine Abteilungsleitung seit 2007
Kaufte jeder Mensch Bücher
und Medien und alles nur bei Amazon, so hätte er 2008 durchschnittlich 2.84 $ dafür ausgegeben.
19.17 Mia. $ Nettoumsatz für Amazon sind eine stolze Zahl, 2009 werden es vermutlich weit über 20 Mia. $ sein.
Ok, der Sortimentsbuchhandel hat diesbezüglich versagt und mindestens eine Generation Buchkunden verloren. Und ok, die Zeiten ändern sich, Handwerk war seit jeher Business, wer kauft entscheidet, gewiss, gewiss.
Aber dass mir die (unzähligen) Amazonkunden in meinem Umfeld noch immer erklären wollen, dieser Konzern sei cool und naheliegend, ja, weniger Firma als nette Kumpels der ersten Internetstunde, dann ist mir das zuwider.
Für die ganze Pressemeldung „Kaufte jeder Mensch Bücher“ weiterlesen
Stimmen von Ehemaligen
In Vorbereitung auf den Perspektivehalbtag für unsere Abschlussklassen befrage ich jeweils die Ehemaligen, die im Vorjahr ihre Lehre abgeschlossen haben. Das mache ich schon sehr lange und bekomme ein gutes Bild, was Leute, die ein Buchhändlerinnen-Diplom (hier ohne Abitur bzw. Matur möglich) in der Tasche haben, so alles tun und lassen.
Ich frage:
Was haben Sie direkt nach der Lehre gemacht? Was machen Sie heute beruflich? Was haben Sie für Pläne?
Bis jetzt hat ein gutes Drittel geantwortet, hier eine Auswahl der Antworten auf die zweite Frage:
Das ist nicht schlecht für das erste halbe Jahr Berufsleben. Zudem waren die Antworten, die ich bekommen habe, alle sehr nett und mit guten Wünschen für unsere Schule versehen. Das ist immer schön.
Bücherschäden
Ich kann mich an kein Buch erinnern, welches ich in meiner Laufbahn als Buchhändlerin zerstört hätte. Mir fallen Bücher nicht auf den Boden, ich kann blättern ohne zu knicken und querlesen ohne zu knacksen. Im Gegenteil, ich habe eine Menge Bücher geflickt. Eingestossene Ecken sorgfältig wieder in die richtige Position zu hämmern, war zu meiner Zeit Lehrlingsarbeit. Auch das Putzen laminierter Einbände mit Benzin und das Abschmirgeln schmutziger Unterschnitte mit Schmirgelpapier gehörte dazu. Das Abstauben mit dem Pinsel sowieso.
Aber ich gestehe es: Privat habe ich kaum ein liebes Buch, das keinen Schaden aufweist. Die meisten sind aussen schmutzig und haben Kratzer, weil ich sie herumschleppe. Fast alle haben irgendwo eine geknickte Seite, weil ich sie in der Tasche mittrage, in die ich auch Schulsachen und Einkäufe pferche. Und die Flecken auf dem Papier erzählen bunte Geschichten von Kleinkindern auf den Knien.
In der Grossbuchhandlung [4]
Mein Praktikum ist zu Ende. Und ich glaube fast, ich hatte einen Lieblingskunden. In der Grossbuchhandlung ist es einfacher, Kundinnen und Kunden gleich zu behandeln, weil man sie viel weniger gut kennt, als das in der Klein- oder Fachbuchhandlung der Fall ist. Aber ganz neutral ist man ja nie.
Mein Lieblingskunde war ein knapp dreissigjähriger Mann, der eine Nachholbildung in einer Handelsschule machte. Er erzählte, er habe Probleme im Fach Deutsch (es war jedoch ein Muttersprachler) und die Lehrerin habe ihm deshalb nahe gelegt, pro Woche ein Taschenbuch zu lesen. Er habe vorher nie mehr als zwei Seiten auf einmal gelesen und er brauche im Moment noch fast einen Monat dazu. Aber er lasse sich jetzt immer in der Buchhandlung beraten.
Ich freute mich ehrlich über diesen Entschluss und erfuhr, dass er bis jetzt zwei Krimis auf Buchhändlerinnen-Empfehlungen gelesen hatte. Einer war wunder-, der andere furchtbar gewesen. Vom Furchtbaren hätte kaum verstanden worum es ging, geschweige denn erfahren, wer der Bösewicht gewesen sei, obwohl er extra das ganze dumme Buch durchgelesen hätte.
Ich hatte die beiden Titel am Lager, kannte sie aber nur vom Hören. Sie unterschieden sie sich hauptsächlich in dem, was man – streitbar – „literarisches Niveau“ nennt.
Das sind Idealfälle der Beratung. Wenn ein Mensch die Hilfe wirklich sucht, etwas zu seinem Lesegeschmack sagen kann und willens ist, ein guter Kunde zu werden. (Was viele Verkäuferinnen und Verkäufer wissen, aber immer wieder vergessen: Ein guter Kunde kauft nicht per Definition viel, es kann ebensogut einer sein, der viel von dem ihm zur Verfügung stehenden Geld bei einem ausgibt, auch wenn es wenig ist.)
Ich machte dem Kunden eine Skala von 1-10. Der in seinen Augen unleserliche Krimi war die 10, der, den er gemocht hatte, die 5. Ich legte ihm vier Empfehlungen raus. Ich kennzeichnete die Krimis je nach literarischem Niveau und Aufklärungsgrad mit den Zahlen 5-8 (Pos-it). Er fragte, weshalb es keine 4 dabei hätte? Ich antwortete, dass der Abstieg ja wohl keine Option sei, was ihn zum Lachen brachte. Er kaufte die 5 und dazu noch die 6. Die 7 und meinen Namen kritzelte er hinten auf einen Kassenzettel (obwohl ich ihm gesagt hatte, ich sei im neuen Jahr dann nicht mehr da).
Ich wünschte Glück bei der Handelsschule und Freude an der Lektüre und er eilte – mehrmals dankend – von dannen.
Nach der Arbeit
gehe ich einkaufen
mache ich Abendbrot
sehe ich mit dem Kind
den nächsten Tag und
seine Hausaufgaben an
bügle ich ein paar Kleider
packe ich ein paar Geschenke
telefoniere ich mit einem Schüler
trinke ich ein Glas Merlot mit dem Mann
versuche ich mich wieder bei Europeana
schaue ich die UNICEF Fotos des Jahres 2008
lese ich im vom Kollegen empfohlenen Steinfest
bin ich müde
In der Grossbuchhandlung [3]
Ich geniesse es, in der Grossbuchhandlung nur einzuräumen und zu verkaufen. Bestellen (disponieren), Pausenzeiten festsetzen, Stellvertretungen für Kranke organisieren, Telefone abheben, Online-Warenkörbe leeren und Bestellungen verarbeiten – das alles machen andere.
Ich verkaufe gern, besonders in Buchhandlungen. Egal ob sie klein, gross, spezialisiert oder allgemein sind, denn ich schaue gerne zu, was passiert, wenn Menschen und Bücher zusammenkommen.
Zum heutigen Tag ein paar Verbindungen zwischen Theorie und Praxis (ist schliesslich mein Job in der Schule, das zu machen).
Grundlage des Verkaufs ist die Wahrnehmung. Die Wahrnehmung der Buchhändlerin entscheidet darüber, ob eine Kundin kauft und – noch wichtiger – ob sie wieder kommt.
Im aktiven Verkauf muss viel getan werden. Aber in Verkaufsseminaren wird oft erzählt, was man unterlassen soll. Es klingt dann immer einfach. Doch im Verkaufsalltag bedeutet es, Gewohnheiten zu knacken, und das ist schwierig.
Ich nehme als Beispiel die Kontaktaufnahme:
Das Grüssen müssen Buchhändlerinnen und Buchhändler im Griff haben, es ist reine Übungssache. Ich kenne meine Kundinnen und Kunden mindestens für einen Tag, auch wenn sie keine Beratung wollen und mehrmals vorbeikommen. (Wenn ich fit bin, kann ich mir für diese Zeit auch Namen merken. Wer etwas bestellt oder bei mir mit Kreditkarte bezahlt hat, den rede ich mindestens am selben Tag mit Namen an.)
Der nächste Punkt hängt von den Räumlichkeiten ab. In der Buchhandlung, in der ich jetzt bediene, ist es leicht zu merken, wenn ein Kunde bereits von einer Kollegin oder einem Kollegen nach seinen Wünschen gefragt worden ist. In unübersichtlichen Verkaufsräumen muss sich das Team auf ein Vorgehen einigen. Die Buchhändlerin muss vielleicht den Kunden gegenüber zugeben, dass sie unsicher ist, „ob wir Sie schon nach Ihren Wünschen gefragt haben?“.
Der letzte Punkt ist die grösste Herausforderung. Kunden fragen oft:
Bei a) darf sich eine Verkäuferin nicht zum „Nein“ verführen lassen, sie muss antworten: „Ich sehe gerne für Sie nach.“
Bei b) darf sie nicht „Nein, sind sie nicht, sie hängen direkt da vorn“ sagen. Sie muss die Wandkalender zeigen.
Denn dass etwas nicht da oder dort ist, will der Kunden nie wissen, auch wenn er danach fragt. Er will immer wissen, ob etwas im Sortiment ist und wo genau.
In der Grossbuchhandlung [2]
Ich mag Kunden und von den Hunderten, die ich schon bedient habe, sind mir nur sehr wenige im Gedächtnis geblieben, weil ich Schlechtes mit ihnen erlebt habe. Dafür viele, mit denen mich über lange Zeit eine gute Beziehung verband und viele, aus deren Wünschen und Ansprüchen ich nachhaltig gelernt habe.
Aber es ist schon interessant zu sehen, wie wenig sich am Kundenkontakt verändert, obwohl sich die Buchhandels-Landschaft so schnell wandelt.
Schon am ersten Tag hatte ich jemanden, der mir im Brustton der Überzeugung einen falschen Titel und falschen Autoren angegeben hat. Zuerst stand ich blöd da, weil ich selber nichts wusste und weil der Kunde absolut glaubwürdig klang. Ich konnte ihm erst am nächsten Tag weiter helfen, nachdem ich alle Leute im Kollegenkreis angesimst hatte, die sich im Thema auskennen.
Am selben Tag war auch ein Autor da, der bei der Kollegin unter falschem Namen sein eigenes Buch bestellt hat. Ich habe ihn erkannt, die Kollegin zum Glück nicht. Denn man kann die Contenance eindeutig besser wahren, wenn man nicht weiss, dass man nur getestet und das Buch nicht verkaufen wird.
Ich predige in der Schule immer, dass es möglich sei, jeden Kunden zufrieden ziehen zu lassen, auch wenn man das Gesuchte nicht bieten konnte. Bis jetzt ist mir das diese Woche gelungen. Allerdings nur knapp. Bei einem, der richtig wütend darüber war, dass er weder in der Buchhandlung noch in einem anderen Geschäft in der ganzen Shoppingmall eine CD kaufen konnte, habe ich beinahe aufgegeben. Entmutigt habe ich am Ende noch gefragt, was er denn so dringend gesucht hätte (obwohl mir die Frage angesichts meines Nicht-Angebots stupid vorkam). Und er meinte bissig: „Gleichstrom, Wechselstrom“. Ich verstand ihn und konnte ihn aufrichtig bedauern, weil ich selber schon länger gern in die Neue von good old AC/DC reingehört hätte. Wir verabschiedeten uns in Minne.
In der Grossbuchhandlung [1]
Ich mache diesen Dezember ein Praktikum in der Grossbuchhandlung. Obiges habe ich heute erfolgreich empfohlen. Nicht so viel, dafür ein schöner Mix.
(Im sog. Vollsortiment ist der persönliche Buchtipp weniger gefragt, die Bücher werden möglichst frontal präsentiert und die Kunden bedienen sich häufig lieber selber.)
Ein neues Warentwirtschaftssystem kennen gelernt.
Und viele neue Menschen.
Groothuis, Wie kommen die Bücher auf die Erde?
Wie kommen die Bücher auf die Erde?
Über Verleger und Autoren, Hersteller, Verkäufer und
das schöne Buch
Überarb. u. erw. Neuausgabe / DuMont 2007
ISBN 978-3-8321-8046-1
Ein Sachbuch nach meinem Geschmack. Aber ich bin bei Groothuis nicht objektiv, die Salto-Reihe, die er in seiner Zeit bei Wagenbach konzipiert hat, gehört zum Formvollendedsten, das mir in meiner Laufbahn begegnet ist.
Viele hier Mitlesende kennen den Buchhersteller Groothuis von seinen Kolumnen im „Schweizer Buchhandel“, aber auch allen anderen sei gesagt: Wenn der Mann sich über den „3D-Körper namens Buch“ äussert, weiss er, wovon er spricht. Ob zum Thema Verlegen, Warenkunde oder Buchgestaltung, Groothuis Beschreibungen entsprechen seinem Credo: Lese(r)freundlichkeit sowohl äusserlich, haptisch, typographisch wie inhaltlich.
Dieses Buch erkärt an seinem eigenen Körper (O-Ton: „Schon sind Sie in der Titelei„) was ein Buch ist. Einmaliges Bildmaterial wie das Foto der Zettelchen im Lesebändchenlager („1000 m Leseband weiss f. Klett, Tochter des Frühlings“) zeugen von täglicher Freude am Büchermachen. Der riesige Zitatenschatz von Buchmenschen aus verschiedensten Zeiten und beeindruckende Kenntnis der Buchgeschichte zeigen Groothuis‘ Sachverstand. Er ist sicher, dass die Zukunft des Buches seine Vergangenheit ist und das Verlegen der Ursprung jeder wichtigen Veränderung:
Ein Buch ist nicht ohne seinen Inhalt, ein Verlag nichts ohne seine Autoren, die Autoren nichts ohne ihre Leser – und ob die abhanden kommen, ist keine Frage an die weitere Entwicklung der elektronischen Medien. Sondern eine Frage an die Verlage. Nach ihren Programmen und nach dem Selbstverständnis, mit dem sie Bücher machen.
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