Vor vier Monaten habe ich ein paar Fragen zu deutscher Politik gestellt und ein paar Antworten bekommen. Danke.
Was mich heute beelendet, ist die tiefe Wahlbeteiligung. In Deutschland gibt es im Vergleich zur Schweiz weniger Möglichkeiten, sich an demokratischen Prozessen zu beteiligen und denmanch weniger häufig Meinungsbildungsansprüche und weniger Wahlstress. Warum gehen trotzdem nicht alle zur Wahl?
Es gibt für mich nur zwei Gründe, nicht zu wählen: Das Resultat ist abgekartet oder das Resultat ist egal. Beides trifft für Deutschland nicht zu. Was ist also los? Werden Wahl-Killerargumente im Alltag zu wenig gekontert?
Meine Antworten sind weder orginell noch neu. Eigentlich ganz und gar unspektakulär. Aber weil sich die Phrasen doch hartnäckig halten, schadet Wiederholung nichts.
So denkende Menschen beeinflussen das Wahlergebnis und die Politik enorm. Denn sie allein lassen zu, dass zu wenige bestimmen, wer regiert und wie das getan wird. Nichtwähler nützen extremen Parteien, weil die ihre Wählerschaft in der Regel gut mobilisieren können. Und das sind meist nicht die, die sich Nichtwähler wünschten. (Wenn ich nicht irre, ist es in Deutschland so: Wenn alle 60 Millionen -? – Wahlberechtigten zur Wahl gehen, braucht eine Splitterpartei 3 Millionen Stimmen, um ins Parlament zu kommen. Geht aber nur die Hälfte der Wahlberechtigten zur Wahl, genügen der Splitterparteil schon 1,5 Millionen Stimmen, und sie ist im Parlament.)
Diese Eindruck ist falsch, aber das ist in Deutschland nicht immer spürbar. In der Schweiz, wo es halt viele Abstimmungen – oft auch mit geringer Stimmbeteiligung – gibt, wird über eine Legislatur viel klarer, wer welche Antworten zu welchen Fragen hat. Aber auch in Deutschland müsste doch eine Mehrheit der Menschen mindestens ein Thema haben, das ihnen besonders am Herzen liegt. Bei einzelnen Themen sieht man nämlich die Unterschiede zwischen den Parteien und Politikern viel besser als bei den Meta-Themen, mit denen sich zwangsläufig alle befassen und einander annähern müssen (z.B. Wirtschaftskrise).
Hier wieder: Ein Thema nehmen, das einem selber wichtig ist. Oder mehrere. Es ist heute dank dem Medien-Archiv Internet einfacher geworden, die Positionen einzelner Politikerinnen und Parteien zu einzelnen Sachfragen zu eruieren. Eine Alternative wäre, sich selber politisch zu engagieren. Es gibt sicher auch in Deutschland verschiedene Möglichkeiten dazu und nicht alle sind gleich aufwändig. Wer das tut, findet nebenbei heraus, von wem er sich besser vertreten fühlt (und lernt auch sonst eine ganze Menge).
Leuten, die das sagen, ist schwer beizukommen. Denn sie wissen nicht, dass keine Wahl und kein Wahlkampf tausendmal schlimmer sind. Man kann es ihnen deshalb nicht recht machen. Schröder war zu laut, zu sehr auf Show. Merkel ist zu leise, zu wenig Bühnenmensch. Ich habe keine clevere Antwort und zitiere deshalb Herrn di Lorenzo, DIE ZEIT:
(…) das ist Ausdruck eines Anspruchsdenkens, das inzwischen einer Selbstbeschädigung gleicht. Bei uns ist der unglückliche Umgang mit einem Dienstwagen eine Staatsaffäre, der Gebrauch von Flug-Bonusmeilen ein Rücktrittsgrund und ein sogenanntes Fernsehduell, in dem zwei Kandidaten an einem sachlichen Austausch interessiert waren, eine Schandtat. Sind wir eigentlich noch recht bei Trost?
Nichtwählen kann nur ein Protest sein, wenn das Ergebnis abgekartet oder unerheblich ist. Wer aber in Deutschland protestieren will, muss wählen. Das ist der einzige Weg, seine Meinung Kund zu tun und der einzige, Extremismus und Einseitigkeit in der Politik zu vermeiden.