Bombay 1979

Leben auf der Strasse in Bombay 1979
In meiner Erinnerung ist diese Stadt nur in Bildern bitterster Armut gespeichert. Wir haben kaum Fotos von Bombay, das obige ist eines von drei mit Menschen, die damals dort auf der Strasse lebten.
Von Luxushotels ahnte ich nichts, aber die Bahnhofhalle lernte ich sehr gut kennen.
Wir waren nicht mit dem Dyane, sondern mit dem indischen öffentlichen Verkehr unterwegs. Meine Eltern sagten mir, das sei wegen der gefährlichen Strassen, aber in den Briefen, die meine Mutter nach Hause schickte, begründet sie es auch mit den steigenden Benzinpreisen.
Wir erreichten Bombay nach einer 24-stündigen Fahrt auf einer rostigen Fähre (ab Goa), die wie jedes andere Fahrzeug in Indien überladen war. Ich erinnere mich an einen schönen Ausblick auf die Küste und die Gewissheit, dass ich sie auch schwimmend erreichen würde, sollte der Kahn sinken.
Bombay war der armseligste Fleck Welt, den ich bis dahin gesehen hatte. Die Leute jeden Alters hungerten, bettelten, hatten Lepra, wurden mit Fusstritten weggescheucht und harrten dem Nirvana.
Wir wollten auf den Zug nach Agra. Während mein Vater zu Billetten und Abfahrtszeiten zu kommen versuchte, warteten meine Mutter und ich in der Bahnhofshalle. Diese sah genau gleich aus wie auf den blutigen Bildern von heute, nur die Schilder waren noch gemalt und nicht beleuchtet. Die Menschen sassen dicht gedrängt auf dem Boden, es fehlten Toiletten und Luft. Aber wer nicht dort wartete, bekam keinen Platz im Zug. Denn entscheidend war nicht nur das Ticket, sondern auch die Fähigkeit, sich an vorderster Front einen Platz – und damit meine ich nicht einen Sitzplatz – zu erkämpfen. Es war für junge Männer aus der Stadt eine der raren Verdienstmöglichkeiten, Passagieren den Weg frei zu boxen oder sie von aussen durch das Zugfenster zu schieben, weshalb sich weit mehr Leute in der Halle aufhielten, als abreisen wollten.
Meine Mutter breitete ein frisches rot-weisses Handtuch für mich aus und ich war noch zu jung, um mich zu fragen, wo sie die sauberen Tüechli immer hernahm. Nach Stunden steiss mein Vater zu uns und sagte, der Zug nach Agra sei weg oder voll – jedenfalls unerreichbar. Der nächste fahre Tage später.
Ich weiss nicht mehr, wo wir dann übernachtet haben und wie lange ich schlussendlich in dieser gehassten Stadt bleiben musste. Aber Bombay hat mich gut auf die folgende unbeschreibliche Zugfahrt nach Agra und eine Heimreise durch Kriege und Krisen vorbereitet.
(Ich habe mir als Kind verboten, schlecht über Indien zu denken, denn ich fürchtete, zur Strafe für meine Überheblichkeit dort wiedergeboren zu werden. Ganz überwunden ist diese Angst noch nicht.)

Beitrag zur Heimat

Wer heute Morgen durch Bern spazierte, sah eine aufgeräumte Stadt unter leuchtendem Himmel. Das neue Gold auf der Bundeshauskuppel strahlte in der Wintersonne und blendete im Marzili unten die Zibeleschwümmer. Sie kniffen die Augen zusammen, taten ein paar tiefe Züge im eisigen Wasser und erkannten erst dann die vielen Besucher oben auf der Bundesterrasse, die ihrerseits hinunter schauten auf die silbrige Aare mit den treibenden bunten Badekappen wie Konfetti.

Aus dem Reisenotizbuch [11]

13. April 2007 07:30
Wir starten auf dem Highway 191 Richtung Süden, zum Grand Canyon. Hier scheint die Ammenhaltung die häufigste Form der Viehzucht zu sein, heute Morgen ziehen Hunderte Kälbchen mit der Mutter über die – im Vergleich zur Schweiz – kargen Weiden.
13. April 2007 08:15
Wir erreichen Bluff. Eine Oase zwischen berühmten Felsen, die man in jedem Reiseführer der Gegend findet, wenn man nach indigenem Handwerk sucht: Twin Rocks. Esel, Lamas und dazu ein Freilicht-Siedlermuseum.
13. April 2007 08:45
Mexican Hat. Wir überqueren den San Juan River und sind jetzt im Navajo Country. Die Grenze zwischen Utah und Arizona liegt mitten im Monument Vally. Mehr und mehr erkennen wir die Gegend aus den Büchern wieder, Leaphorns und Chees Land. (R.I.P. Tony Hillerman 1925 – 2008)
Es gibt zahlreiche Angebote für traditionelle Übernachtungen im Hogan. Ich kann mir schlecht vorstellen, zum Abendessen auf dem Boden zu sitzen und einen traditionellen Fladen zu verzehren, während die Navajos ihre Pizza in die Mikrowelle schieben und im Wohnmobil nebenan TV gucken.
13. April 2007 10:00
Wir erreichen Kayenta und halten in einem Trading Post mit Campingware und Hot Chocolate. Mehl wird in 25-Kilo-Säcken verkauft, Alkohol sehe ich keinen. An der Kasse wird für die Eltern eines toten Kindes gesammelt, das nur wenige Tage älter war als unseres.
In und um Kayenta fahren meistens die Frauen die Pick-Ups. Auch die Tankstelle wird von mit Türkis geschmückten Navajo-Damen geführt, die auftanken und Reparaturen vornehmen.
13. April 2007 11:20
Wir erreichen Tuba City. Ich sehe die erste Solarzelle und gewinne eine Wette. Sie steht auf Hopi-Land. Wir folgen dem Pfeil zu den „Dinosaur Tracks“, wo wir mit so gastfreundlich empfangen werden, dass unser Kommunikationskontingent rasch ausgeschöpft ist. Unser Guide sieht aus wie ein Ur-Rapper aus der Bronx und trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift:

  • Born free
  • Live free
  • Native Pride
  • Er erklärt neben den Dinospuren auch die Sommerzeitregelung und die Bittschrift an die UNO der Navajos. Er sei ein politischer Mensch und liebe die Schweiz für ihre Selbständigkeit und Demokratie.
    13. April 2007, im frühen Nachmittag
    (Die Navajo-Zeitzone überfordert mich.)
    Den ersten Blick werfen wir vom Hopi Tower in den Canyon. Ich mag nicht fotografieren, ich will das alles im Original und nicht durch die Linse sehen.
    Die vielen Warnungen („How often do people fall over the edge?“) auf Plakaten, in Broschüren und auf jedem Tischset sind für uns schwierig zu interpretieren. Wir entscheiden, ein Stück dem South Kaibab Trail zu folgen.
    Wandern im Canyon
    Als wir nach wunderbarer Aussicht in die Ferne und Nähe (Flora, Fauna, Versteinerungen) fast wieder oben sind, fragt uns eine Frau, die auf einem Vorsprung in der Sonne liegt, wie es denn weiter unten sei? Wir tun unser bestes, aber sie winkt ab und legt sich wieder zurück. Sie brauche das nicht.
    Unsere Lodge liegt im Pinienwald. Dass ich mir je den Luxus leisten könnte, direkt an einem der meist bereisten Orte der Welt zu übernachten, hätte ich mir nie träumen lassen. Aber der Sonnenuntergang über dem Grand Canyon macht mich nicht überschwänglich. Eher demütig.

    Hausmeister Obama

    Wenn er gewählt wird, dann aber nur, weil das Dach des Weissen Hauses eingestürzt ist, weil alle Fenster eingeworfen sind, weil die Möbel zerfetzt sind nach der Orgie, weil überall Stühle herumliegen und vor der Haustür noch ein Scheisshaufen dampft – und unten steht Obama.
    „Oh, da ist der Hausmeister“, werden sie sagen, „lasst ihn rein.“
    Hausmeister bringen Sachen in Ordnung.
    Hausmeister sind schwarz.
    Art Spieglmans Signatur in -Breakdowns

    Do you have a decent recipe for gingerbread?

    Can an African American person really be president of the United States? All my life, I’ve been sure that the answer to that question was „no,“ which is why I don’t want to talk about it. If the polls say „yes, yes“ and my experience says „no, no,“ my head will begin to revolve.
    (…)
    No, really, I’m fine. Can we talk about the weather? How about them Phillies? Do you have a decent recipe for gingerbread? Anything but … you know.

    – Jon Carroll am 29.10.2008
    (Lange her, dass ich meinen meistgelesenen US Kolumnisten zitiert habe.)

    Wenn es Winter wird

    Heute auf dem Berner Märit: Spatz auf dem Kessel des Blumenmarktstandes am Bärenplatzbrunnen

    Als ich heute diesen frierenden Spatz als Zeichen einbrechender Kälte fotografierte, gingen mir Gedichtfetzen durch den Kopf und es fiel mir auf, dass im Deutschen die kleinsten Vögel die grössten Metaphern machen. Wenn es um Jahreszeiten geht, dann nicht um Adler und Falken. Die Schwalbe als Vorbote für Winter und Frühling, die drei Spatzen im leeren Haselstrauch und in meinem liebsten Wintergedicht beschreibt Morgenstern gar den aufs Eis hinaus geworfenen Kieselstein als Vögelein.

    Hürden der Woche

    Erste Hürde:
    Der neue Pegasus ist da. Dieses Mal zum Thema „andere Häuser“ und mit einem Beitrag eines Lehrers aus anderer Schule: Hanjo von arts20. Der „Pegasus“ ist unsere Schulzeitung. Er erscheint in einer Auflage von 440 Exemplaren und wird im Buchhandel ordentlich gelesen. Layout, Produktion und Versand werden von der Schule bezahlt (ich weiss, das ist luxuriös). Konzipieren, Schreiben und Korrigieren tun wir ehrenamtlich und zusätzlich und diese Woche war’s mir gerade etwas gar viel.
    Zweite Hürde:
    Schlusssitzung unserer Berufsbildungsverordnung beim BBT. Das ist eine formale Angelegenheit, aber keine reine Formsache. Nach der Zustimmung der Branche geht ein reformierter Beruf ein Jahr lang in die Vernehmlassung zu jedem einzelnen Kanton, weil Berufsbildung in der Schweiz auf kantonaler Ebene geregelt ist. In dieser Schlusssitzung beim BBT geht es also hauptsächlich um Geld und Gesetz. Mit dem Beruf emotional verbunden zu sein ist dabei eher hinderlich. Positivstes Ergebnis der vierstündigen Verhandlung: Wir haben unsere (verglichen mit anderen Berufen hohe) Lektionenzahl für den Unterricht bekommen. Negativstes Ergebnis: Wir dürfen keine Abschlussprüfungen vorziehen, qualifiziert wird ausschliesslich am Ende der Lehre. Eine Wahl zwischen Teufel und Beelzebub: Die (zu) hohe Prüfungslast zum Lehrabschluss akzeptieren oder Prüfungen ersatzlos streichen.
    Aber „ungerem Strich gseeh“, wie wir hier gern sagen, war’s Hürden-mässig eine gute Woche.