Bonne année !

Die reichste Erkenntnis meines Bildungsurlaubes erlangte ich wie so oft durch Bücher. Wenn ich heute schaue, was ich in den letzten paar Monaten in Französisch gelesen habe, bin ich schon ein wenig stolz. An „La Vérité sur l’Affaire Harry Quebert“ lese ich noch, wie gewöhnlich mit mehr Freude als Zeit und auf Kosten von Schlaf. Mögen sich Mängel auch im neuen Jahr so gelassen aufheben wie das die französische Literatur im alten vermochte.

Bonne année à tous

Il me reste à vous souhaiter une excellente année 2015 !

le temps qu’il faut chercher

Weil es im französischsprachigen Raum eine häufige Schullektüre ist, habe ich „La vie devant soi“ ohne grosse Erwartungen gekauft. Und da ich ein interpretierbares, gefälliges Werk erwartete, hat mich seine literarische Wucht völlig überrascht. Ich las viele Seiten mehrmals und alles noch langsamer als wegen der Fremdsprache nötig. Zum einen, weil ich nicht wollte, dass es zu Ende geht, weder mit dem Buch noch mit der alten, jüdischen Hure, zum anderen, weil ich es mir das Gelesene auf ewig einprägen wollte. Das ist die Literatur, an die ich mich erinnerte, wäre ich eingesperrt.
Je suis resté un bon Moment avec lui (Monsieur Hamil) en laissant passer le temps, celui qui va lentement et qui n’est pas français. Monsieur Hamil m’avait souvent dit que le temps vient lentement du désert avec ses caravanes de chameaux et qu’il n’était pas pressé car il tranxportait l’éternité. Mais c’est toujours plus joli quand on le raconte que lorsqu’on le regarde sur le visage d’une vieille personne qui se fait voler chaque jour un peu plus et si vous voulez mon avis, le temps, c’est du côté des voleurs qu’il faut le chercher.

page 158
Romain Gary
La vie devant soi
Collection Folio n° 1362

Wochenbilanz (V)

Für mich war das eine ziemlich normale Schulwoche.
Neben allen Zwischentests gibt es hier jeden Monat einen grossen Grammatiktest auf allen Niveaus. Mit dieser Standortbestimmung wird sicher gestellt, dass die Lernenden einer Klasse mit den geplanten Themen zurechtkommen werden. Wer zwischen 10 und 30 Punkten von 40 erreicht, ist im richtigen Niveau – ich hatte 23, was als gut gilt. Aber ich verstehe die grammatikalischen Zusammenhänge nicht wirklich, mir hilft, dass ich viel lese. Ich versuche dabei, auf die Grammatik zu achten und Regeln aus dem Unterricht wieder zu finden.
Im Moment lese ich allerdings ein Buch mit vielen grammatikalischen Fehlern. Ich weiss nicht, ob das vor einer Prüfung gesund ist, aber das Buch ist zu gut, als dass ich damit aufhören könnte: Romain Gary, La vie devant soi. Ein arabischer Junge, der elternlos irgend in einem peripheren Ghetto in Frankreich aufwächst, erzählt seinen Alltag, den er mit einer übergewichtigen Jüdin teilt, die ein wenig auf ihn und andere Kinder von Prostituierten aufpasst. Ich schätze, es spielt irgendwann Ende Sechziger. Ein Meisterstück, dekoriert mit dem Prix Goncourt von 1975. A propos: Diese Woche hat es Literaturpreise geregnet im französischsprachigen Raum. Wer sich interessiert und den Werbevorspann erträgt, dem sei eine typisch französische Sendung hierzu empfohlen:
Prix littéraires 2014 : surprise et prises de risque
„Wochenbilanz (V)“ weiterlesen

Pixi: 60 Jahre und kein Ruhestand

Büchlein für in die Gesässtasche, die Skijacke, den Einkaufswagen, den Strandkorb, den Kindermund und die Hundeschnauze: Einfach dauerhaft.
Ich habe vor Gezeiten an anderer Stelle schon zugegeben, dass ich ein Pixi-Fan bin. An Pixis gefällt mir ihre Anspruchslosigkeit an den User: Sie brauchen keine gute Behandlung und erfordern keine grosse Lektüre. Sie nehmen sich gesellschaftlicher Themen in einer einfachen Art und Weise an, sie erzählen Geschichten des Alltags. In unseren Breitengraden findet jeder ein Pixi, mit dem er sich identifizieren kann. Die Pixi-Handlung gehört nicht Helden oder Heldentaten, die sind höchstens Nebenprodukte. Pixi-Charaktere sind bescheiden oder werden es im Laufe der Story.
Meine drei liebsten Pixis
Nachfolgend ein paar Fakten zum Geburtstag: Pixis

  • wurden 1954 vom Verleger Per Hjald Carlsen ins Leben gerufen,
  • heissen nach dem englischen „pixy“ (Kobold),
  • sind 10×10 cm gross,
  • haben immer 24 Seiten,
  • sind heute durchgehend vierfarbig illustriert,
  • sind Soft-Cover-Bücher,
  • hatten im 20. Jahrhundert die passenden Reihen auf der Rückseite gelistet (Vorläufer „wem das gefällt…“)
  • enthalten heute auf jeder Umschlagsrückseite einen Spiel- oder Basteltipp
  • erscheinen heute in Serien von je acht Pixis,
  • sind eingetragenes Warenzeichen,
  • sind ein stehender Begriff und werden daher oft als Synonym für Mini-Bücher gebraucht,
  • sind wertvolle Sammelobjekte auch für Erwachsene,
  • sind bis jetzt die erfolgreichste Bilderbuchreihe aller Zeiten.
  • Dank dem Schweizer Buchhandel und der Pixi-Jubiläumswebsite für die Ergänzungen meines Buchhändlerinnenwissens.

    Sommerlesung

    Die Zeiten sind ruhiger und ich komme so richtig zum Lesen und dazu, mich mit andren über Bücher zu unterhalten. Das Patenkind (15 Jahre alt) ist eine ehrgeizige Leserin und interessierte Gesprächspartnerin. Sie hat soeben „The Hunger Games“ von Suzanne Collins in Originalsprache gelesen und nun mit Süskinds Parfum angefangen. In beide versinkt sie, von beiden ist sie begeistert. Mir ist es mit der Mani-Matter-Biografie von Wilfried Meichtry nicht viel anders ergangen. Beste Non-Fiction seit langem. Menschen und Orte darin sind mir allerdings mehr als nur Begriffe, viele habe ich als Kunden in der Buchhandlung gekannt, andere persönlich, das verändert die Lektüre sicher ein wenig. Es ist ein Buch über Poesie genauso wie über Politik, mehr noch über das Staatswesen an sich. Für mich ist es auch ein Einblick in das Leben der Eltern, einer Generation, die viel um Begriffe rang und so manches Wort noch auf die Goldwaage legte. Die Briefe von Mani Matter, die für das Buch von Joy Matter und anderen erstmals zur Verfügung gestellt wurden, sind die eines grossartigen Denkers. Wenn nur ein ein Zehntel der Tausenden, die jedes Jahr Mani Matters Tonträger erwerben auch die Biografie lesen, bekäme die philosophischen Betrachtungsweise in Bern wieder mehr Raum.
    Dann habe ich das neue Buch „Komm“ von Janne Teller gelesen, vor allem weil viele jüngere Leute sie verehren und weil’s um einen Verleger geht, der vor einer wichtigen Entscheidung steht. Schon Tellers Bestseller „Nichts“ kam mir relativ gesucht vor. Hier erging es mir nicht anders und ich wusste erneut nicht viel damit anzufangen.
    Nun habe ich zwei parallele Lektüren, die sich etwas beissen, aber das eine Buch ist geliehen und wird deswegen nur daheim gelesen, während ich mit dem anderen viel unterwegs bin. Clemens J. Setz‘ „Indigo“ ist im Einstieg faszinierend, aber den gespannten Bogen habe ich bis jetzt noch nicht gefunden. Le Carrés „Der Spion, der aus der Kälte kam“ bleibt eines der aufschlussreichsten Bücher des 20. Jahrhunderts. Ich lese es ungebrochen beeindruckt in der soeben erschienenen neuen Übersetzung von Sabine Roth, die im gleichen Jahr wie das Buch (19639 geboren wurde. Vielleicht trägt ihre Glanzleistung dazu bei, endlich auch den literarischen Gehalt dieses Werkes bekannt zu machen? Ich habe noch nie verstanden, weshalb das Buch nicht auf jeder erlauchten Literaturliste zum kalten Krieg aufgeführt ist.

    Dann halt doch: Wunschliste

    Da ich wahnsinnig gerne Bücher geschenkt bekomme, bittet mich meine Familie regelmässig, endlich eine Wunschliste zu bloggen. Ich finde das eher peinlich, habe mich aber nun einmal durchgerungen. Eine komplette Liste wäre endlos, aber das ist, was ich mir dieses Jahr sicher noch kaufen würde:

  • Warlam Schalamow, Die Auferweckung der Lärche (in erster Auflage)
  • Annie Proulx, Ein Haus in der Wildnis
  • Judith Schalansky, Der Hals der Giraffe
  • Charles Dickens/Lisbeth Zwerger, Ein Weihnachtsmärchen
  • Charles Dickens/Brett Helquist, A Christmas Carol
  • & den Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2012.
  • noch rasch zur Ferienlektüre

    Was ich (nicht) gelesen habe:

  • Boyne, Das Haus zur besonderen Verwendung / Piper
  • Ein gutes Buch mit drei Handlungssträngen. Ich habe nur die Rahmenhandlung wirklich richtig gelesen, aber das lag bloss am Thema. Ich habe schon so viel Verschiedenes über Russland im 19. und 20. Jahrhundert gelesen und hatte einfach Motivationsprobleme. Aber Boyne ist zweifellos ein lesenswerter Schreiber.

  • Hettche, Die Liebe der Väter / Kiepenheuer
  • Das Buch habe ich wegen der Thematik (Scheidung, Sorgerecht) immer wieder sein lassen und schlussendlich nicht gelesen.

  • Khadra, Die Lämmer des Herrn / atb
  • Khadra und sein Verlag müssen aufpassen, dass er am Ende nicht drei gleiche und ein ähnliches Buch schreibt. Ich finde es gut und wichtig, dass ein Algerier erzählt, wie Terroristen entstehen – er weiss es nämlich und beschriebt den Prozess ausgezeichnet. Aber einmal ist genug. Ich habe schon „Die Attentäterin“ von Khadra deswegen nicht fertig gelesen.

  • Kis, Garten, Asche / Bibliothek Suhrkamp
  • Vergriffen. Offenbar der mittlere Teil einer Trilogie, dem (bzw. der Lieferbarkeit des vorherigen und nachfolgenden Werkes) will ich noch nachgehen und möglichst den ersten Teil zuerst lesen.

  • Merz, Der Argentinier / Fischer
  • Ein sehr typisches Werk für einen Schweizer. Die können wohl hauptsächlich Erzählungen und Novellen. Die Enkelin geht der Familiengeschichte anhand einer letzten Aussage der Grossmutter nach – so entsteht eine schöne, wehmütige Geschichte die einmal mehr zeigt, dass es die Schweiz nicht gibt. Wir existieren nur als Folge der Aus- und Einwanderung.

  • Röhrich, Die poltischen Systeme der Welt / C.H. Beck
  • Gut, um sich schnell einzulesen – wie immer bei dieser Reihe.

  • Roth, Nemesis / Hanser
  • Bewundernswert. Ähnlich wie bei Irving erstaunt es mich bei Roth immer wieder, wie leicht er neue Figuren schaffen kann. „Bucky“, der Protagonist, ist wie niemand anderes. Hier könnte Khadra lernen. Das beste Buch, das ich in diesen Ferien gelesen habe.

  • Vavrik, Nacktbadestrand / edition a
  • „Roman“ ist die völlig falsche Bezeichnung, es ist ein unliterarischer, chronologischer Bericht eines Lebensabschnitts. Eine ältere Dame, die lange eine Buchhandlung geführt hat, hat Schlafprobleme und bekommt von ihrem Arzt den Tipp, ihr Sexleben zu beflügeln. Er lässt dabei durchblicken, dass es viele jüngere Männer gäbe, die sich gerne mit Achzigjährigen vergnügten. Ab da schaltet Frau Vavrik regelmässig Inserate und schildert, was dabei herauskommt. Ist insofern lesenwert, weil meines Wissens so noch nie dagewesen.

  • Xiaolong, Tödliches Wasser / Zsolnay
  • Leider krankt Xiaolong am Gleichen wie Khadra: Es gelingt hier weder neue Figuren zu erfinden, noch die alten Figuren sich weiter entwickeln zu lassen. Das Umweltthema, das hier die grösste Rolle spielt, wirkte auf mich gesucht.
    Daneben habe ich noch ein paar andere Bücher gelesen, oft auch die Gleichen wie die Jugendlichen, mit denen ich meine Ferien verbrachte und noch eine Empfehlung vom Mann (Civilization: The West and the Rest von Niall Ferguson). Die Gespräche darüber waren sehr erbaulich und ich fand, dass es sich deswegen lohnte, auch Dinge zu lesen, die ich für mich allein vielleicht nicht lesen würde.