Antiautoritäre Erziehung

Heute war ein richtiger Sonntag. Das Kind zu Gast in einer Fischerhütte in der Rewag an der Aare, die Mutter daheim beim herbstlichen Treatment von Balkon und Winterbekleidung, der Vater bei der ehrenamtlichen Arbeit. Ein idealer Tag, um über Erziehung nachzudenken.
Gleichzeitig baue ich eine alte Pendenz ab und schaffe mir mit diesem Eintrag einen URL, der mich für alle Zeiten von Stellungnahmen zur antiautoritären Erziehung entbinden soll.
[Räusper]
Ich habe Neills Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung als Teenagerin und noch einmal während der Schwangerschaft gelesen. Wann und wie aufmerksam ich seine anderen Werke gelesen habe, weiss ich nicht mehr genau. Ich kann also kaum als seine Jüngerin bezeichnet werden.
Ich halte mich in diesem Fall gern stur an die Primärliteratur, die Sekundärliteratur und die Debatten über die pädagogisch-wissenschaftliche Zuordnung Neills haben mich nie interessiert. Neills Werk ist differenziert und – kleiner zwar als beispielsweise das von Montessori oder Steiner sowieso – umfassend genug.
Um mit Gerüchten aufzuräumen:
Antiautoritäre Erziehung heisst akzeptieren, dass jeder Mensch von Geburt an der Experte für seine Gefühle und Bedürfnisse ist. Nichts anderes.
Nein, antiautoritäre Erziehung erlaubt nicht, dass man Menschen, die einen kritisieren, Honig über den Kopf leert (die Geschichte gibt es in 1000 Abwandlungen, ich verzichte darauf, sie hier zu erzählen).
Nein, antiautoritäre Erziehung propagiert nicht die Untätigkeit Erwachsener. Im Gegenteil, sie gibt viel zu tun, erfordert Kommunikationsfähigkeit, Basisdemokratie, permanente Argumentation und Reflexion.
Nein, Neill unterstützte nicht den Eklektizismus pädagogischer Prinzipien, im Gegenteil. Er zeigte an Fallbeispielen, dass antiautoritär und autoritär erzogene Kinder in der Schule nur in kleinen Dosen zu mischen sind. Er sah hier die Grenzen der antiautoritären Erziehung, solange sie nicht von einer Mehrheit praktiziert wird (was die Honig-über-den-Kopf-Geschichtenerzähler inzwischen getrost ausschliessen können).
Ich verteidige diese Erziehungsform und versuche sie im elterlichen Alltag zu verwirklichen. Nein, ich denke deswegen nicht, dass mein Kind besser ist, jedenfalls denke ich das nicht öfter, als alle anderen Eltern. Nein, ich denke deswegen auch nicht, dass die Pubertät einfacher wird und auch nicht, dass ich die beste Freundin vom Kind bin. Ich weiss, dass ich seine Mutter bin.

Freiheit heisst, tun und lassen zu können, was man mag, solange die Freiheit der anderen nicht beeinträchtigt wird. Das Ergebnis ist Selbstdisziplin.

Das schrieb Neill in meinem Geburtsjahr. Meine Eltern haben es versucht so gut das eben ging, die eigenen Erfahrungen und die Umstände lösen sich ja nicht einfach in Luft auf. Ich bin ein disziplinierter Mensch geworden und fühle mich weniger eingeschränkt als viele meiner Mitmenschen, für die schon Arbeiten einen Zwang darstellt.
Vgl. Summerhill-Pädagogik Abschnitt 6.4: Freiheit versus Zügellosigkeit, Summerhill heute wie auch Literatur von und über A.S. Neill (via Wikipedia)
Danke für die Aufmerksamkeit.

5 Gedanken zu „Antiautoritäre Erziehung“

  1. Ich habe Neill nur einmal ungefähr mit 11/12 gelesen, und fühlte mich damals in allem möglichen bestätigt – bewußt oder unbewußt hatten mich meine Eltern annähernd in diesem Stil erzogen. Nur mit dem Zwang, der mir in der Schule entgegenschlug, hatte ich so meine Probleme. Jetzt an der Uni ist es nicht mehr ganz so schlimm, weil ich mir zumindest das Überthema selbst aussuchen konnte, aber nach wie vor denke ich mir hin und wieder: „Lasst mich doch in Ruhe, ich mache das doch gerne, ihr braucht mich nicht nötigen, lasst mich doch einfach mal machen.“
    Ich habe kein Problem damit, produktiv zu sein, ich habe aber ein Problem damit, die Früchte meiner Tätigekeit oder meine Tätigkeit selbst verkaufen zu müssen – Arbeiten im heutigen Sinne eben.

  2. Ja, du stiessest in der Schule wohl an die Grenzen, die Neill auch schon gesehen hat. Ich war in der Rudolf-Steiner-Schule und obwohl das ganz klar autoritär war, erlaubte die riesige Fächerpalette sehr viel Freiheit. Gegen Ende hatte ich aber Mühe, dafür fiel mir der Übertritt in die Berufsschule nicht schwer. Dort habe ich dann einmal einen Skandal verursacht, indem ich einen Leserbrief an das buchhändlerische Fachorgan darüber geschrieben habe, was in der Schule nicht gut laufe. Eine für mich normale Handlungsweise, nachdem alles andere nichts gebracht hatte, für die Schulleitung dagegen ein Riesendrama und -aufwand.
    Ich denke, dass wir unsere Arbeit nicht so gut verkaufen können, hängt damit zusammen, dass wir zum Zweifeln und Verhandeln erzogen worden sind. Allerdings kennt das Problem z.B. auch die Generation, deren Beruf aus dem Handwerk kommt. Man ist sich dann einfach nicht gewöhnt, dass man die Arbeit, die ja sichtbar ist, noch besonders schnörkelig bewerben sollte.
    Ich versteh‘ das gut, mir fällt das oft auch schwer. Andererseits merke ich schon, dass die Zeit der Blenderinnen und Blender langsam zur Neige geht auf dem Arbeitsmarkt.

  3. Würde auch das unter antiautoritärer Erziehung fallen:
    ich möchte auch hier meine Empörung ausdrücken über den „Wissenschaftler“ Klaus Hurrelmann, der auf einem Karlsruher Kongress mitteilte, Kinder sollten unter elterlicher Aufsicht trainieren, mit Rauschzuständen ( Aklohol oder Cannabis ) umgehen zu können.
    Ist das ein Erziehungsstil, der gewünscht wird? Bitte helfe Sie mit, dass wir unsere Empörung im Netz deutlich machen. Helfen Sie bitte mit, das Mail zu verbreiten! Danke: http://www.deutschland-debatte.de/2007/06/17/jugendliche-systematisch-besoffen-machen/

  4. Was es nicht alles gibt. Und wofür nicht alles die antiautoritäre Erziehung gegoogelt wird. Bitte vergessen Sie alle nicht, dass antiautoritäre Schulen immer verschwindend kleine Inseln und bewegte Drogen-Pädagogen eine Splittergruppe der Splittergruppe der Splittergruppe gewesen sind und bleiben werden.

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