Aufmerksamkeit für Unterschiede?

Dieses Blog verwende ich, um über meine Aktivitäten zu berichten und zu reflektieren. Letzteres kommt zu kurz, weil ich über vieles, was schwierig ist und interessant wäre, nicht konkret berichten kann. Doch irgendwie bin ich immer am Nachdenken, das hat sich mit meinem neuen Aufgabe nicht geändert. Neben meinem recht klassischer 24/7 Managementjob beschäftigen mich auch Diversität, Meinungsfreiheit, Zensur. Heute schreibe ich mal in Gedankensplittern, unstrukturiert – dafür hoffentlich reflektiert.

Ich gebe zu: Die grosse Aufmerksamkeit den Unterschieden gegenüber ist mir manchmal zu viel. Dass ich Ungerechtigkeit übersehe, ist mir bewusst. Heute betrübt es mich besonders, wie viel schwerer es Kindern mit dunklerer Hautfarbe hierzulande haben, das erlebe ich im Verwandten- und Freundeskreis. Wir sind in der Schweiz in den letzten Jahren essenziellen zivilgesellschaftlichen und politischen Aufgaben nicht nachgekommen, das ist im Grunde skandalös.

Was „man“ tut und was „sich gehört“ sind alltägliche Äusserungen und vor allem Hürden und verlangsamende Faktoren für Lauf- und Lebensbahnen. Sie manifestieren sich im ganzen im Land, wo der Grossteil der Schülerinnen und Schüler in geraden Pultreihen einander auf die Hinterköpfe starren und Leistungen im Wesentlichen mit Ziffern von 1-6 bewertet werden. Die ganzen Belehrungen und Bewertungen tagein, tagaus empfinde ich als unnötig, seit ich klein bin. Deshalb wollte ich auch nie Lehrerin werden und als ich es doch wurde, nicht bleiben, was zu keiner Zeit an den Lernenden lag. Im Gegenteil! Sie waren es, die mich 16 Jahre im Job hielten.

Es gibt ungefähr eine Hand voll Dinge, die einem Kind beigebracht werden müssen, damit es möglichst unversehrt bleibt. Den ganzen Rest könnten wir ihm zum Selberlernen und Nachfragen überlassen, dann, wenn es soweit ist. Wichtig ist, dass wir stets da sind, wenn uns ein Kind oder ein Jugendlicher braucht, dass wir uns vorbildlich verhalten. Und dass wir selber wissen, welche Werte wir verteidigen wollen. Ich glaube, dass das alles zu machen ist, ohne sich über andere zu erheben.

In meiner Familie war das Coronajahr eine schöne Bestätigung für unsere Bemühungen, einander positiv gegenüberzustehen, egal in welcher Situation. Auch wenn bei uns wirklich jede Meinung zu Covid-19 und zur Maske und zur Impfung vertreten war, hat sich niemand nachhaltig verkracht.

Ich bin allen dankbar, die sich der „Inklusion“ annehmen und finde es schade, dass das Thema einige nervt und gar Leute es nicht ernst nehmen, die von Berufes wegen dazu verpflichtet wären. Im Vorschulalter verbrachte ich viel Zeit in Heimen mit Menschen mit Behinderungen, wo meine Mutter arbeitete. Ich weiss noch etliche Namen, erkenne meine Freundinnen und Freunde auf Fotos – aber Behinderungen? Keine Ahnung, woran sie litten. Wie langweilig wäre unser Leben gewesen, hätten wir uns darauf beschränkt. Genau das ist heute erforscht: diese Einordnung und Beschränkung machen wir erst, wenn wir sie lernen.

Erforscht ist auch, dass wir gerade in Situationen, wo wir einander vieles abspenstig machen sollten, erstaunlich gut miteinander klarkommen. Auf Reisen kann mich nicht entsinnen, dass wir je eine Toilette in der Nähe gehabt hätten. Schon das allein bedeutete ja für mich mehrmals täglich und nächtlich Begegnungen mit unbekannten Menschen, mit denen ich das Terrain teilen und einen Modus finden musste. Das sind tausende gewesen und doch habe ich keine schlechte Erinnerung, die ich mit einzelnen Personen verbinden würde.

Grundsätzlich wurde ich immer dann viel „betatscht“, wenn ich das einzige weisse Kind war. Es wurde mir ständig in das blonde Haar gefasst und ich konnte das natürlich nicht ausstehen. Ich bin froh, wird dieser Griff ins Haar heute thematisiert und bin zugleich frustriert, passiert es noch immer und sogar bei Erwachsenen in der Schweiz. Auch der Kontakt eines indischen Paares in Goa, das mich für ein Junkiekind hielt und mir für meine Garnitur Kleider ein paar Rupien anbot, war und bleibt mir sehr unangenehm.

Das Wichtigste ist das Bewusstsein für die Grenzen der Kinder und ihr Recht darauf, vorurteilsfrei angesprochen zu werden und nein zu sagen.

Allseits frohe Ostertage!

4 Gedanken zu „Aufmerksamkeit für Unterschiede?“

  1. Ein Erinnerungen anregender Bericht – sehr gern gelesen!
    Schlimme Toiletten vergisst man nicht – leider.
    Diese schwarz-weiss Schulfotos waren nicht billig, halten sich aber über Jahrzehnte prächtig.
    Herzige Flicke liessen sowohl Flecke als auch Risse verschwinden;-)

  2. „Sie waren es, die mich 16 Jahre im Job hielten.“
    So ging es mir auch. Ich habe mich immer gefreut, wenn ich das Büro verlassen und in die Klassen gehen konnte. Ich habe auch gern die „schwierigen“ Stunden am Nachmittag übernommen, die mir (und hoffentlich den Kids auch) Freude bereitet haben.

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