Die Alternative

Nachdem ich und das Kind stundenlang Wäsche machen, Schränke aufräumen und „Passt-diese-Hose-noch?“ gespielt hatten, nachdem ich eingekauft und andere nette Dinge des Hausfrauenlebens wie Telefonieren mit penetranten Tele2-Vertretern und samtweichen Anrufbeantwortern von unerreichbaren Haus- und Zahnärzten erledigt hatte, nachdem ich auch 60 Minuten beinhartes Rückentraining absolviert, natürlich Zeitungen gelesen und parallel ein Dutzend Tests korrigiert hatte – also nachdem allem war nichts mehr übrig von meiner tollen Wahlanalyse unter besonderer Berücksichtigung der hier Lesenden ohne Kanton-Bern-Wissen. Man rechne also mit einem egozentristischen Gedankensturm und überlege gut, ob das die weitere Lektüre lohnt.
Selbst Hintergrundameisen wie ich, die sich die Nächte mit leisem Wahlkampf um die Ohren schlagen und am Morgen nach dem Sieg noch stocknüchtern sind, haben so etwas wie eine persönliche Motivation. Und meine Reaktion auf den Erfolg ist am besten mit Schadenfreude, Amüsement, Bammel und Anspruch zu umschreiben.
Lohn vieler Nächte mit wenig Schlaf
Schadenfreude, weil die SVP den Kanton für einmal nicht „im Schlafwagen“ genommen hat und weil ein Plakat mit zwei Abtretenden und einem JSVPler trotz allem Selbstvertrauen nicht ganz ausreicht, um zu gewinnen.
Mein Amüsement resultiert aus dem Umstand, dass die bürgerlichen Parteien jetzt plötzlich dem Frauenanteil nachjaulen, „da wird sich Rot-Grün etwas überlegen müssen“. Seit Menschengedenken habe die Bürgerlichen den Frauenanteil als nicht relevant gebrandmarkt, was zähle, sei Profil, niemals Geschlecht. Darüber könnte ich einen Essay schreiben: „Von Lilian Uchtenhagen zu Ruth Metzler: vom rechten Frauenbild in der Politik.“
Dann wurden Politikerinnen hip und die Politik weniger lukrativ, und deshalb liessen auch die Bürgerlichen die Frauen vor, jedenfalls solange sie taten, wie geheissen. 2004 hat die SVP mit tatkräftiger Hilfe eines FDPlers ihre eigene Gemeinderätin Ursula Begert abserviert. Mit dem Resultat, dass diese wild kandidierte und ihrer ehemaligen Partei so viele Stimmen abjagte, dass die SVP ihren letzten Sitz in der städtischen Exekutive verlor. Aber die SVP hatte immer noch nicht registriert, dass sich das Heruntermachen von Politikerinnen langfristig in Bern nicht rechnet. Sie deklassierte Barbara Egger von der SP als unfähig genug, um – wenn nicht abgewählt – so mindestens vom bürgerlichen „Sechser für Bern“ isoliert zu werden. Es formierte sich ein überparteiliche Komitee zur Rettung der Konkordanz, in dem – wer hätte das gedacht – unter anderen Frau Begert aktiv war.
Das Ergebnis ist seit gestern bekannt: Barbara Egger hat nicht nur das beste Resultat im ganzen Kanton, sondern auch alle ihre drei Mitkandidierenden in der Regierung. Und der Dritte brauchte nicht einmal die Jura-Klausel, um das Rennen gegen die unbekannten bürgerlichen Frauen zu gewinnen. Frau allein reicht eben nicht – das haben wir zwanzig Jahre lang gehört und manchmal eine selbst hinein.
Mein Bammel rührt daher, dass solche „Erdrutsche“ eben genau das sind: schwierig zu handhaben. Wechselwähler und Wechselwählerinnen sind ungnädig und schnell vor den Kopf gestossen. Allerdings wird die Sitzverteilung im Parlament die neue Kantonsregierung nicht übermütig werden lassen, sondern mehr ein Marathon der Kompromisse. Denn gewonnen haben im neuen (verkleinerten) Grossrat die liberalen Grünen (GFL) und die liberalen Christen (EVP). Aber es wird besser als vorher, weil SVP und FDP sich auch hier von der bequemen Mehrheit verabschieden mussten.
Den Anspruch habe ich an meinen zukünftigen Chef. Ich will als Erziehungsdirektor einen Gescheiten und einen Menschenfreund. Denn mit so einem ist nach diesen dürren Jahren noch etwas zu retten. Aber nur mit so einem.

8 Gedanken zu „Die Alternative“

  1. Sehr amüsiert hat mich auch die Zeitungslektüre heute morgen und die Präsidentin der FDP-Frauen Schweiz, die Glarner (sic!) Regierungsrätin Marianne Dürst, die sich ja tatsächlich erfrecht, zu fordern: «Rot-Grün täte gut daran, künftig paritätische Kandidaturen ins Rennen zu schicken.» Nur wer Frauen portiere, erbringe einen echten Tatbeweis zugunsten der Gleichstellungspolitik…
    (das entsprechende Communiqué ist zB hier zitiert: http://www.espace.ch/artikel_199895.html).
    Gescheit ist sie nicht, aber wenigstens eine Frau…
    Liebe Grüsse, Katia

  2. aso der amstutz ist doch kein jsvp, oder? die beobachtung mit den lauter abtretenden als werbetrommler hat mich auch enorm amüsiert. in hohngelächter breche ich aber erst seit dem 9. abends aus, denn oft ist unser lieber pöbel auch etwas dumm…

Schreibe einen Kommentar zu Tanja Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.