Die vergangene Woche hat schwierige Situationen mit sich gebracht, aber im Vergleich war alles nichts.
Ich lese gerade die Romane von Joseph Roth, bin nach dem „Radetzkymarsch“ jetzt am „Tarabas“ und gelange erstaunlich schnell zu „Die hundert Tage“. Es ist beeindruckend, wir rasch man in einer Dünndruckausgabe weiterkommt, wenn der Autor so schreiben kann wie eben Roth. Je unzuverlässiger mir die News erscheinen, desto ältere Bücher lese ich und habe dennoch nie das Gefühl, fern der Gegenwart zu sein, eher im Gegenteil. Der Protagonist im „Radetzkymarsch“ lässt sein Leben, weil ihn der Durst der anderen so quält, beim Wasserholen für seine Soldaten. Im Epilog ein Abgesang auf die Monarchie.
Gestern begleitete ich eine Kollegin und ihre Klasse ins Schauspielhaus, Castrofs Schwarze Spinne. Pilatus‘ Traum war für mich fulminant, politsch und trashig zugleich. Manchmal fühle ich mich so, wenn ich Foulcault oder Eco lese: Zuerst finde es intellektuell eine Zumutung, weil das vorausgesetzte Allgemeinwissen meine Grenzen übersteigt, nur um mich kurz darauf richtig zu freuen, dass mich jemand dahingehend herausfordert.
Und jetzt gehe ich in die Französische Kirche, auf „Eine Reise in den Balkan“. Das albanische Solo wird von einem schweizer Teenager mit afrikanischen Wurzeln gesungen. Darauf warte ich schon lange! „Multikulti“ mag Ziel von Hohn und Spott sein, doch die normativen Kraft des Faktischen ist nicht aufzuhalten.
Vielleicht erlebe ich es ja doch noch, dass der kroatisch-stämmige Autohändler zum kenyanisch-stämmigen Urologen muss und der serbisch-stämmige Restaurantbesitzer zur kosovarisch-stämmigen Anlageberaterin und dass die Schulkommission des SVP-Dorfes eine mazedonisch-stämmige Lehrerin mit einem deutschen Ehemann (der die drei Kinder aufzieht) für die Nachfolge des Dorflehrers wählt, weil schlicht kein Eidgenosse mehr zur Verfügung steht.