„So schlug auch die Stunde der Freiheit für uns ernst und lastend und erfüllte unsere Seelen mit Freude und zugleich einem schmerzlichen Schamgefühl, um dessentwillen wir gewünscht hätten, unser Bewusstsein und unser Gedächtnis von dem Greuel, den es beherbergte, reinzuwaschen: und mit Qual, weil wir spürten, dass es nicht möglich war, dass nie irgend etwas so Gutes und Reines kommen könnte, das unsere Vergangenheit auslöschen würde, und dass die Spuren der Versündigung für immer in uns bleiben würden, in der Erinnerung derer, die es miterlebt haben, an den Orten, wo es geschehen war, und in den Berichten, die wir darüber abgeben würden. Daher – und dies ist das ungeheuerliche Privileg unserer Generation und meines Volkes – hat niemals jemand besser als wir die unheilbare Natur der Versündigung begreifen können, die sich ausbreitet wie eine ansteckende Krankheit. Es ist unsinnig, zu glauben, sie könne durch menschliche Gerechtigkeit getilgt werden. Sie ist eine unerschöpfliche Quelle des Bösen: Sie zerbricht Körper und Seele der Betroffenen, löscht sich aus und erniedrigt sie; sie fällt als Schande auf die Unterdrücker zurück, schwelt als Hass in den Überlebenden fort und wuchert wieder auf tausend Arten, gegen den Willen aller, als Rachedurst, als moralisches Nachgeben, als Verleugnung, als Müdigkeit und als Verzicht.“
Aus: „Die Atempause“ von Primo Levi, geboren am 31. Juli 1919 in Turin, gestorben am 11. April 1987 ebenda.