Manchmal macht mich dieser Konflikt völlig fertig. Ich lebe mit Menschen hier in der Stadt, die einen persönlichen Befreiungskrieg für Palästina auf Wochenmärkten (mit gerechtem Olivenöl aus Gaza) und in Ausstellungen führen. Während Lila die Mobilmachung an den eigenen Kindern erlebt und der im letzten Krieg verwaiste Vater David Grossman im offenen Brief zum Dialog auffordert, sitzen wir in warmen Stuben und wissen vieles besser.
Zuerst wird zwar meist pflichtschuldig die israelische Politik kritisiert. Aber weil der Stellenwert der Knesset-News in unserem Alltag verschwindend ist, geht das rasch über zu Kritik an den Israelis per se und – immer öfter – an den Juden. Also gemeint sind nicht etwa Kubrick (der Originäre!), Dylan (der Friedensbarde!), Wynona Ryder oder die Geschwister Gyllenhaal (Hippiesprösslinge!). Auch nicht der jüdische Nachbar, denn den kennen wir gar nicht. Palästinensertum ist in Bern sichtbarer als Judentum und auch daran ist der Jude schuld, denn er outet sich inzwischen ungefähr so gern wie der Rom.
Mein Problem ist wohl, dass ich zur Welt kam, als meine Mutter noch nicht lange aus Israel zurück war, Ivrit im Kopf hatte und mir analog ihrem Programm im Kinderhaus des Kibbuz halt jüdische Geschichte und hebräische Kinderlieder beibrachte. Gerade habe ich gemerkt, dass eines meiner Lieblingslieder immer noch einen gewissen Bekanntheitsgrad hat und in Volksschulen, Hobby-Chören und Gymnastikhallen der Welt gesungen und getanzt wird.
Kindheitserinnerungen. Und der Konflikt? Da weiss ich heute – viel, viel Lektüre nach den Kinderliedern – nicht mehr als damals.
Sehr sehr wahr (und bedrückend), was Du schreibst! Mache ähnliche Beobachtungen auch in meinem Umfeld.
morgens um 7 an der Bushaltestelle die erste Nachricht:
In der Zeitung dann Gescheiteres.
Mir geht es ähnlich. Ich erfahre nichts Neues. Israel ist ein souveräner, demokratischer Staat, der seine Rolle wahrnimmt wie jeder andere Staat das auch machen würde.
Viele – auch jüdische Autoren – bezweifeln, dass Israel ein demokratischer Staat ist. Zur Demokratie gehört, dass alle BürgerInnen die gleichen Rechte haben. Die arabischen Bürger Israels sind jedoch Bürger zweiter Klasse. Das ist aber nur der Anfang: der Staat Israel ist kein säkularer Staat, viele Gesetze basieren auf der jüdischen Religion, und darin sind demokratische Strukturen nicht vorgesehen.
Es gibt nur ein Recht auf „Selbstverteidigung“ – wie die US-amerikanische Regierung betont -, weil die USA diesen Staat und seine Armee mit Milliarden „aufrüsten“. Der israelische Imperialismus hat nichts mit einem Judentum zu tun, wie sie es W.Benjamin, G.Sholem, M.Buber, Hannah Arendt und andere grosse jüdische Geister des 20. Jahrhunderts verkörpern.
Mich würde interessieren, welcher israelische oder auch arabisch-israelische Autor wirklich bezweifelt, dass Israel eine Demokratie ist?
Sogar die „ständigen Einwohner“ Ostjerusalems, die Wert darauf legen, keine Israeli zu sein, können den Gemeinderat (Jerusalems) wählen. So etwas ist nur in den wenigsten Schweizer Gemeinden möglich!
Sicher, in der Knesset könnte es mehr israelische Araber geben, aber das wird kommen. Und dass die mit dem Gesetz ein Problem hätten, habe ich noch nie gelesen. Ich bin keine Expertin, aber ausser den Feiertagen erscheint mir die Knesset mit ihren vielen Ausschüssen, die Gesetze einbringen können, eher britisch.
Das einzige, was ich je gelesen habe, ist, dass einige wenige Vertreter arabischer Parteien die haTikwa nicht singen, weil die halt in hebräisch ist und zugleich Bestandteil jüdischer Identität. Eine Debatte, die ja nicht per se ungewöhnlich ist, sondern in vielen Ländern stattfindet, weil sich Leute im Wandel der Zeit durch die Nationalhymne nicht vertreten fühlen.
Ich will die politischen Probleme, die dieses Land hat, nicht bagatellisieren. Aber ein funktionierendes, demokratisches Parlament mit arabischen und atheistischen Vertretern, das ist die Knesset. Darauf beharre ich.
Hier ein interessanter Link zu „Araber in Israel“. Kurz, klar und informativ.
http://spiritofentebbe.wordpress.com/2012/06/26/leben-in-der-zionistischen-holle/