Da der allgemeingültige und mein persönlicher Jahreswechsel recht nah beieinanderliegen, kann ich ja gleich über beides nachdenken. Ich schwanke bei der Gelegenheit immer zwischen kategorischem Imperativ und emmentalerischer Dankbarkeit, wieder ein Jahr älter, noch immer gesund und doch bereit für das jüngste Gericht zu sein. Zudem habe ich jedes Mal, wenn eine neue Dekade im Anzug ist, das Bedürfnis, einen grösseren Schritt zu tun. Mit dreissig wollte ich unbedingt und erstmals im Leben ein Zimmer für mich allein (brauch ich nicht mehr), mit vierzig trat ich von allen Ehrenämtern zurück (netter Versuch) und auf mein Fünfzigstes hin kehre ich wohl wieder zurück zu den Wurzeln. Ich war immer eine Feministin. Weniger vorne auf der Demo, sondern eher die in der Delegation, die in den Achtzigern mit Architekten darüber stritt, warum beim Bau von Unterführung (Beleuchtung?) oder Parkplatz (Übersichtlichkeit?) oder der öffentlichen Toilette (wieder nur Pissoirs?), die Bedürfnisse der halben Bevölkerung ignoriert werden? Das immerhin ist erreicht, aber die Lohngleichheit, die Diversity in Firmen, Nein heisst Nein, die Verteilung der unbezahlten Arbeit und des Geldes – noch lang nicht erledigt.
Und weil ich damit rechne, dass die Nachkommen ein, zwei Generationen mit Populismus als relevante Kraft konfrontiert sein werden, investiere ich weiter in die politische Gegenbewegung. In die Sozialdemokratie und den Liberalismus als Begriff der Freiheit. Und damit meine ich nicht den blöden Spruch vom Glückes Schmied. Sondern die Unterstützung eines Selbstverständnisses, gerade von jungen Menschen aus aller Welt, das stabil aber nicht starr ist – das sich von Herkunft unabhängig zu machen vermag. Und die Förderung eines Zusammenlebens, wo sich die Freiheiten des einen und der anderen vielleicht harmonisch begegnen, aber ihre Grenzen ohne Unterdrückung oder gar Krieg aneinanderstossen. Ich weiss, wie schwierig das ist, denn mein Alltag fand noch nie in einer Blase statt, an manchen Tagen lasse ich so viele Federn, dass mich abends friert.
Seit ich denken kann, treibt mich das freie Wort um, die freie Presse – im Wissen um den hohen Preis, den so viele dafür zahlten und noch zahlen werden. Es wäre vermessen, zu glauben, ich könnte verhindern, dass Menschen (die niemand gewählt hat) durch Firmen ihre Macht über andere ausbauen, indem sie die Information okkupieren. Was ich aber tun kann, ist darauf hinzuweisen. Und mitzuhelfen, die freie Information zu fördern. Vielleicht sind das dereinst nur noch Bücher und Zeitschriften, die in Wohnstuben verlegt und in Hinterzimmern gedruckt werden. Es wäre ja nicht das erste Mal.
Frohe, lesereiche Adventszeit allerseits!
Der Samichlaus hat ömel wieder einige Bücher ins Milchchästli und vor die Tür gelegt. Bücher sind ja auf den ersten Blick nicht als Mäntel erkennbar, aber bei Kälte nach gerupften Federn geben sie warm.
Alles Liebe und Gute zum Geburtstag!
Herzlichen Glückwunsch zum Purzeltag!
Ansonsten arbeiten Sie und H. ziemlich Hand in Hand, ideell.