Meine Zeit fliegt davon, ich bin mir dieses Privilegs bewusst. Ich muss an keiner Grenze um Einlass betteln, bin in keinem Pulverfass von Stadt eingesperrt und warte auch auf keine Diagnose – alles Situationen, in denen die Zeit zäh und lang wird und die sich keiner wünscht.
Gestern habe ich die Unterlagen zu meiner Weiterbildung noch einmal gelesent, aufgeräumt, gescannt und abgelegt. Die Vorgaben für die Leistungsnachweise, die ich erbringen muss, habe ich ebenfalls studiert und festgestellt, dass sich im Blog hier nicht viel dazu machen lässt, denn als Produkt sind Worddokumente vorgesehen. Ich muss 150 Stunden recherchieren, reflektieren, schreiben und „Critcal Friends“ konsultieren, abändern, wieder reflektieren. Das gibt drei Arbeiten, für welche ich insgesamt 5 ETCS-Punkte bekomme. (Klammer für Interessierte: Ich kenne dieses System kaum, denn in der Berufsbildungswelt existieren diese Punkte erst ab der Tertiärstufe, was uns vor das Problem stellt, die Gleichwertigkeit unserer Bildung nicht beweisen zu können. Eine Massnahme sind sog. ECVET, d.h. European Credits for Vocational Education, aber die setzen sich nicht ohne enormen politischen Willen von 29. Ländern durch – wie realistisch das ist, lässt sich leicht ausrechnen.)
Was waren meine wichtigsten Übungen und Erkenntnisse der ersten Woche in der Weiterbildung zur Schulleitung?
Übungen in der Gruppe unter Zeitdruck fand ich immer blöd, aber die hier waren super. Ein Beispiel: Sechs Schulleiterinnen, die einander erst eine Stunde kennen, bekommen 15′, um sich auf einen Satz zu einigen, was Führung bedeutet. Die ersten drei Minuten brauchten wir fürs Vorgehen. ca. 10 Minuten brauchten wir für die Stichwort-Sammlung: Umfeld schaffen, Zugehörigkeitsgefühl fördern, Überblick behalten, Anlaufstelle sein, Expertenwissen zu den Rahmenvorgaben bieten, Leute motivieren, die Ziele zu erreichen, Balanceakt zwischen Schüler- und Lehreranliegen vollbringen, Zusammenhalt fördern, Abläufe optimieren, Selbstwirksamkeit unterstützen, kulturelle und künstlerische Aspekte ja nicht vergessen, situationsgerecht reagieren, entscheiden: Ist man grad die Lok vorne (die den Zug zieht) oder die Lok hinten (die den Zug schiebt)? Die letzten drei Minuten bastelten wir den Satz. Unser Ergebnis:
„Schulführung bedeutet, innerhalb vom gegebenen Rahmen Handlungsspielraum zu ermöglichen und zu gestalten.“
Bevor wir uns inhaltlich austauschen konnten, mussten wir (samt Quelle) definieren, worüber wir uns unterhielten, beispielsweise „Werte“. Das ist mir als Buchhändlerin zwar nicht unbekannt, dennoch spannte es meinen Geduldfaden bisweilen gefährlich. Inzwischen hab ich mir den Zugang zu einem angesehenen Psychologischen Wörterbuch gesichert in der Hoffnung, diesbezüglich Nerven zu gewinnen.
Nun also zu den Werten, als sie endlich definiert waren (in meinem Fall nach Bardi/Schwartz 2003). Hier hatte ich grosse Freude an einer Übung, die ich in ähnlicher Form aus der Gewaltfreien Kommunikation kenne. In schwierigen Gespräche – egal ob man sie führt oder moderiert oder dazu geladen ist – sind entwertende Bezeichnungen häufige Auslöser. Also, ob man etwas „grosszügig“ oder „verschwenderisch“ nennt, oder anstatt „Sparsamkeit“ das Wort „Geiz“ verwendet, macht halt einen grossen Unterschied. In diesem Zusammenhang haben wir Begriffstvierecke entwickelt, die wirklich nützlich sind für den Alltag.
Was ist das Gegenteil von „Zuverlässigkeit“? Sagen wir mal „Spontaneität“. Wie klingen die beiden nach der negativen Entwertung, wenn man sie jemandem zuschreibt? Wir kamen auf „pedantisch“ (für zuverlässig) und „chaotisch“ (für spontan).
Oder die „Offenheit“ und im Gegensatz dazu die „Diskretion“. Beides leicht zu entwerten mit „geschwätzig, klatschhaft“ oder „verschlossen, unnahbar“.
Man kann hier viele verschieden Beispiele machen und sieht schnell, wo und wie die Werte aufeinanderprallen, gerade auch bei Fragen der Integration. Was gläubige Zuwanderer als „Stabiliät“ empfinden, ist für uns bloss verknöchert und retardiert. Die „Agilität“, auf die wir so stolz sind, machen uns in ihren Augen nur beliebig und orientierungslos.
Deshalb sind Wertediskussionen alles andere als sinn- und wirkungslos.
Schulleitung bedeutete für mich, Visionen zu haben und sie mehrheitsfähig werden zu lassen.
Das klingt nach anspruchsvollen Diskussionen. Und die Werte-/Entwertungsübung hat ja mindestens einen doppelten Zweck.