Sperrzonen Pripjat und Tschernobyl

Robert Polidori, Sperrzonen Pripjat und Tschernobyl
Robert Polidori
Sperrzonen Pripjat und Tschernobyl
Steidl 2004

Über diesen Bildband gibt es nicht viel zu sagen. Als Verlegenheitsgeschenk und zur Repräsentation taugt er nicht und Text hat es auch keinen.
Polidori hat fotografiert, was fünfzehn Jahre nach der Umsiedlung in der Sperrzone noch übrig war. Mit einer Mischung aus Kunst- und Projektfotografie ist es ihm gelungen, visuell Gerechtigkeit für die Situation zu schaffen.
Ich kannte ihn vorher nicht, aber er muss ein guter Fotograf sein, denn er ging auf leisen Sohlen, beleuchtete perfekt, wartete geduldig auf die richtige Stimmung. Seine Liebe zum Detail äussert sich in den Bildzentren, einem Aschenbecher im Kontrollzentrum, einem Ball ohne Luft in der Turnhalle, den Blumenkisten-Haltern aussen an den Balkonen der verlassenen Hochhäuser. Er rapportiert dabei – ohne viele Menschen, Tiere oder Pflanzen zu fotografieren – das Leben am Fusse des Sarkophags. Den Alltag im Angesicht einer erstarrten Stadt. Pripjat, einst die Gemeinde der Kraftwerkarbeiter, benannt nach dem Fluss. Neben riesigen, ganzseitigen Bildern dokumentiert Polidori in drei Serien nur Zerfall: Autowracks, Schiffswracks und zusammengesunkene Häuser. Alle seine Bilder sind farbig.
Das war meine letzte Empfehlung zum Thema Tschernobyl. Drei Bücher, drei Darstellungen aus zwei Dekaden. Noch eine Dekade mehr, dann wird Caesium-137, das Wiessrussland, die Ukraine und weite Teile Russlands verseucht, zur Hälfte abgebaut sein.
Pripjat ist mit Plutonium kontaminiert, das eine Halbwertszeit von 24000 Jahren hat. Das Kind und ich haben im Buch der Menschheitsgeschichte nachgeschaut. Das ist, wie wenn wir die Fehler der (ersten) Neandertaler heute erst bis zur Hälfte abbezahlt hätten. Die einen mit einem höheren, die anderen mit einem tieferen Preis. Doch abgelten müssen alle, auch die Nachgeborenen. Möge der zwanzigste Jahrestag uns daran erinnern.

4 Gedanken zu „Sperrzonen Pripjat und Tschernobyl“

  1. tja was soll ich noch dazu sagen…
    die fotos gut geschossen und umgebung auch gut eingefangen. ein guter fotograf. aber man vergisst immer die fotos von den nachwirkungen des unfalls zu fotographieren. wieso? weil sich sowas schlecht verkaufen lässt. immer das gleiche mit euch „ihr verkauft nur das was gekauft wird“.
    fotografiert mal die WAHRHEIT und nicht die ruinen.

  2. ach bevor ich es vergesse, bin nur durch puren zufall hierher gestossen. ich stamme auch von diesem land von daher auch die empörung bzw. über diese BEEEEEEscheidene berichterstattung. ist nichts neues das dort mal was schreckliches passiert ist. ich würde mich über meine antwort mal gerne mit dem autor des artikels unterhalten, falls dieser auch WIRKLICH ernst gemeint war. meine email habe ich ehrlicherweise angegeben.
    (die rechtschreibfehler in meinen beiträgen dienen nur zur belustigung mehr nicht 🙂

  3. Sind Ruinen nicht die Wahrheit?
    Es gab schon viele Bücher über die Opfer von Tschernobyl. Die Fotoreportagen sind vergriffen, das stimmt. Jahrestage sind eine Chance, (fast) Vergessenes wieder zu publizieren. Aber es ist absolut korrekt, was du sagst, Sergej, ein Verlag macht, wovon er glaubt, dass er es zumindest in einer kleinen Auflage verkaufen kann.
    Im Fall von Tschernobyl haben wir das Glück, dass Literatur und Reportagen lieferbar sind, z.B. Swetlana Alexijewitsch. Und dies nicht, weil sich das allgemeine Publikum darauf stürzen würde, sondern weil sich viele Leute die Mühe nehmen, die Bücher immer wieder zu empfehlen und die Texte immer wieder zu thematisieren, auch in Schulen. Und jetzt ganz besonders, wo das CO2-Problem die Atomenergie wieder so populär macht.
    Ich bin Buchhändlerin und empfehle in diesem Weblog ab und zu Bücher, die ich sehenswert oder lesenswert finde. Dieses hier gehört dazu.
    Übrigens ist dein Deutsch ausgezeichnet. Herzlichen Dank für den Kommentar.

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