Meine Mutter zieht um. Deswegen übergibt sie mir portionenweise das Archiv aus meiner Schul- und Ausbildungszeit. Heute habe ich meine Notizbücher und Agenden aus den Achzigerjahren zu lesen angefangen.
Am 8. November 1987 war ich offenbar an einer Sitzung der Berner WOZ-Redaktion. Ich war siebzehn Jahre alt und erinnere mich nur noch vage. Die Stimmung war für heutige Verhältnisse emotional, aber für damalige Begriffe nur wenig revolutionär.
Die Sitzung wurde von einer Journalistin geleitet, die ich immer noch kenne, weil sie ebenfalls im Buchbusiness gestrandet ist. Sie begann damit, dass Frauen in der Linken und damit in der WOZ mehr Präsenz haben sollten. Das wurde entweder nicht aufgenommen oder ich habe es nicht notiert. Gemäss meinen Unterlagen ging es in der Debatte mehr darum, wie man Widersprüche am besten austragen könne. Jedenlass bis jemand fragte, warum man diese überhaupt austragen solle? Der blieb aber in der Minderheit. Die Mehrheit meinte, dass eine Zeitung eine bestimmte Richtung verfolgen solle über welche man sich in einem ewig andauernden Prozess und immer wieder neu einigen müsse.
Daraufhin diskutierte man – wie jede Woche – über das WOZ-Publikum. Einerseits fragte man sich, wer die WOZ lese. Andererseits ging es darum, mit der WOZ politisch denkenden Leuten eine Möglichkeit fürs Schreiben zu bieten, ja, gar verschiedenen Bewegungen ein Verbreitungs-Angebot zu machen. (Wenn ich heute die Marketinglehre höre, dass jedes Produkt einen Community brauche, die Zielgruppe tot und nur die Interessegruppe lebendig sei, dann war die WOZ damals echt visionär.)
Als nächstes wurde gesagt, dass das Zeilenhonorar per basisdemokratischer Abstimmung auf der Hauptredaktion in Zürich abgeschafft worden war und man nun ein Texthonorar auszahle. Erst danach kam das Gespräch langsam auf mögliche Themen der nächsten Nummer. Eingangs warf jemand ein, dass Bern schon Nischen-Themen liefern könne, aber die sollten doch bitte mindestens einigermassen anerkannt sein. Diese/r jemand sagte „anerkannt“ nicht „interessant“ oder „relevant“. Das war nämlich die Zeit, in der man sich politisch korrekt ausdrückte, indem man sich permanent der Unfähigkeit bewusst war, objektiv zu sein. Erst danach wurde endlich konkret, was Bern für die nächste Wochenzeitung thematisch bieten konnte: AKW, Soldaten, Reitschule. AKW, Soldaten, Reitschule. Wie sich die Zeiten ändern.
Die Sitzungsleiterin schloss mit der Bitte, nicht zu pessimistische Visionen zu verbreiten, keine Texte zurückzuziehen, die schon eingeplant worden waren und Widersprüche regelmässig zu thematisieren.
Ja, die Basisdemokratie hat in fast allen ehemals selbstverwalteten, basisdemokratisch organisierten Betrieben ausgedient. Das ist schade. Und es ist verständlich. Darum: weil der äussere wirtschaftliche Druck auf die Betriebe in den letzten zwanzig Jahren massiv zugenommen hat. Effizienz ist gefragt. Marktanteile etc.pp. Zudem sind immer weniger Leute bereit, für ein Apel und ein Ei (so heisst es in Germanistan) – d.h. selbstausbeuterisch – zu arbeiten. Vor Konsumlust ist fast niemand gefeit. Es gibt noch Relikte, z.B. die Pension Salecina in Maloja. Als ich vor rund einem Jahr – nach einem Unterbruch von ca. 20 Jahren – als Gast wieder da war, wirkte es wie ein Relikt aus uralter Zeit. Wunderbar, aber auch wunderbar anstrengend, selbst für Gäste!
Von der WOZ weiss ich, dass viele KollegInnen da sich mit Nebenjobs das nötige Kleingeld dazu verdienen. Das ist ihnen nicht zu verargen, aber man/frau sollte vielleicht ein bisschen ehrlicher sein….