Zum Jahreswechsel

„Quantität vor Qualität“ rief mir ein Aktionskünstler der Siebzigerjahre in Buchform zu; eine Bibliothek steckt immer voller Überraschungen. Auch für die Zügelmänner, weil die glauben der Buchhändlerin ja nie, da kann sie noch so lange sagen und schreiben, dass die paar Büchergestelle wahrhaftig fünfzig Kisten füllen werden.
Immerhin kann ich dieses Mal gelassener erlesen als auch schon, sogar von meinen Tagebüchern habe ich mich relativ leichten Herzens verabschiedet. Es waren bloss noch die zwischen 1989 und 1995 übrig, seither führe ich nur noch Notizbücher, welche ich jeweils schnell nicht mehr entziffern kann. Wahrscheinlich ist mir ungefähr zu dem Zeitpunkt die leserliche Handschrift abhanden gekommen.
Aus den Tiefen der halbverpackten Bibliothek wünsche ich
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meinen geschätzen Leserinnen und Lesern
ein wohlgesinntes, freundliches neues Jahr.

Interview mit Juli(a)

Wer Zeit hat zwischen den Jahren, der lese zwei treffende Interviews mit zwei klugen Buchfrauen:

  • Julia Hürlimann, angehende Buchhändlerin, über unseren Beruf, wie sich’s darin lebt und was sie wem empfiehlt.
  • Juli Zeh, Autorin, über fremdbestimmte Selbstoptimierung, reaktionäre Naturüberzeugung und gegen das Klappe halten.
  • Es ist wohl etwas vermessen von mir, stolz auf die beiden zu sein. Doch ich kann’s nicht ändern. Erstere geht bei mir zur Schule und Zweitere lese, empfehle und schenke ich seit sie veröffentlicht.

    so kommet doch all

    Preisvergleiche sind ja ganz besonders bei Büchern der Renner. In den USA können Konsumenten mit einem kostenlosen Smartphone-App namens „Price Check“ neu ganz direkt für Amazon arbeiten: Wer nicht nur Preisvergleiche macht, sondern mit einem weiteren Knopfdruck Amazon meldet, wo er das Produkt verglichen hat, bekommt einen Nachlass beim Kauf. Amazon gewinnt doppelt: Daten über das Preisniveau in den Regionen und einen Käufer, der das Produkt bei einem anderen begutachtet oder ausprobiert hat. Dass Amazon die Idee hatte und umsetzte, ist weder erstaunlich noch verwerflich, das ist uns in der Buchbranche völlig klar. Dass Amazon sich seit Jahren um die Umsatzsteuer drücken kann, die der stationäre Handel natürlich entrichtet, zeigt hingegen eine Schwäche der Politik, die der US Detailhandel gemeinsam angehen muss.
    Und dass so viele Käuferinnen und Käufer nicht durchblicken und sich für ein bisschen Rabatt vor jeden Karren spannen lassen, beelendet mich einfach. There’s No Free Lunch. Ist es wirklich so kompliziert?

    Ihr Vergleiche, kommet

    Sieht ganz so aus, als würde der Vergleich im Google Book Settlement endgültig platzen. Richter Denny Chins Frist läuft morgen ab und dem Vernehmen nach gibt es kein Entgegenkommen. Wer hätte das gedacht, dass der amerikanische Verlegerverband (mit europäischer Hilfe) und eine Autorenvereinigung gegen den Giganten reüssieren? Andererseits erstaunt es nicht, dass Google zu keinem Vergleich bereit ist, der verlangt, vor der Publikation der Buchscans die Urheber zu fragen. Sich durch Diebstahl Vorteile zu verschaffen ist einfach, solange weder Kläger noch Konsequenzen in Sicht sind. Zusammenarbeit zum Vorteil beider Partner ist kompliziert. Google scannt ja schon seit den Neunzigerjahren und hat wohl fest damit gerechnet, die Büchermacher würden sich einfach ein weiteres Mal beklauen lassen (die erste Runde ging mitte Neuziger an Amazon).
    Aber noch wird Innovation im Rechtsstaat entlöhnt, sofern sie denn beim Kunden gefragt ist. Und sollten die Piraten – die die Scannerei explizit politisch befürworten – dereinst das Ruder übernehmen, müssen sie als erstes die eigene Stelle streichen (zumindest in der Schweiz arbeiten Expontenten der Piratenpartei alle bei jemandem, der vom Urheber- oder Patentschutz lebt). Und den Tauschhandel einführen. Programmcode gegen Weihnachtkonfekt, ist doch egal wer ihn gemacht hat. Zu bewerten in Einheiten wie IQ- und Handferitigkeits-Punkten, basisdemokratisch festgelegt via Facebook, das sich freudig in den Dienst der geeinten Internationalen stellt. Piraten-Währungsunion: Einfach gerecht.

    Abendspaziergang

    Handybild vom Abendspaziergang
    Nach prallen Tagen habe ich heute Abend einen Spaziergang durch den leise rieselnden Schnee gemacht in der Erwartung, einige kummer- und harmlose Nachbarn zu treffen und ihnen einen angenehmen Jahresausklang zu wünschen. Doch in den Fenstern schimmerte das blaue Licht der E-Geräte und auf den Balkonen der Eidgenossen funkelten wild die Weihnachtsmänner auf Rentierschlitten, lila Blumen und orange Sonnen erhellten die Wohnungen der südostasiatischen Mieter. Und so blieb meine Spur die einzige und auch sie war bald wieder zugeschneit.

    Premiere,

    sofort notieren:
    Heute habe ich zum ersten Mal im ganz normalen Arbeitsalltag ein Kompliement für multikulturelle Kompetenz bekommen. Von jemandem, der mit mir weder befreundet noch familiär verbunden ist, der nichts von mir weiss und auch nicht fürs Loben bezahlt wird, also weder Thearapeut noch Coach. Einfach so, ganz alltäglich und gewöhnlich im Arbeitsprozess, als wär’s eine besonders gelungene Präsentation, ein brauchbares Excelsheet, ein guter Text, eine effiziente Sitzungsleitung. Jetzt mache ich ja schon fast Jahrzehnte in Multikulti. Etliche Arbeit- und Auftraggeber und noch mehr Kollegen haben davon profitiert. Anerkennung bekomme ich aber in der Regel für geringere Kompetenzen.
    Es ging um Fragetechnik, darum, etwas transparent zu machen, was andere in der Runde sich gar nicht vorstellen konnten und deswegen nicht in diese Richtung fragen, obwohl es für die Sache kritisch war.
    Ich erlebe solches auch selber, zum Beispiel wenn ich mit Leuten zu tun habe, die jahrelang mit Süchtigen arbeiten. Die denken, handeln und fragen in Bahnen, wie es mir nie in den Sinn kommen würde. Genau das ist für die Intergration unabdingbar. Aber das ist weder in einer Weiterbidlung vermittelbar noch etwas, was in einem CV steht oder in der Zusammenarbeit gleich zu Beginn ins Auge sticht.

    Dreitagebuch

    Unterhaltung am 10.12.2011

    Gestern haben meine Schwester und ich unsere Geburtstage gefeiert. Es war zugleich ein Abschiedsfest von einer langjährigen, geschätzten Wohnung und vom Quartier, in dem wir beide aufgewachsen sind. Fleischbällchen mit Minze, Pouletschenkel mit Sesam und Honig, gedämpftes Gemüse, sauber gepulte Kichererbsen und von Hand geriebenes Coucscous ergaben ein royales Menu. Die Kuchen aus dem Quartierladen in unserer zukünftigen Nachbarschaft und glücklich unterhaltene Kids verschafften uns Plauderzeiten bis tief in die Nacht.

    Heute
    musste ich etwas vom mir Verhasstesten tätigen, nämlich Sonntagseinkauf bei IKEA. Da der Mann um meine Fluchtinstinkte in derlei Situationen weiss, hat er mich zuerst in ein Corbusiersessel-IKEAmitat gesetzt und IKEAtee geholt. Es war dann alles halb so schlimm. Ein Häkchen mehr auf der Umzugscheckliste.
    Morgen wird zwischen 8.00 Uhr und 9.00 Uhr eine Stunde frei, weil ein Treffen abgesagt wurde – der perfekte Wochenanfang. Der nächste Termin um 10.00 Uhr ist eine Sitzung, deren Dauer sich erfahrungsgesmäss leicht verdoppelt. Am Nachmittag dann endlich shopping my way: Ich besuche wie letztes Jahr eine Buchhandlung, die neu eine Auszubildende in unserer Schule schickt. Ich freue mich, bei Aleph und Tau so entspannt Weihnachtsgeschenke zu kaufen, wie das eben nur in kleinen Buchhandlungen möglich ist.