Nicht mehr, nicht weniger.

In den ersten Jahrezehnten meines Lebens wurde mir gesagt, als gutes Vorbild solle ich mich stets arbeitssam, ressourcenschonend, hilfsbereit und tolerant verhalten. Auch wenn das je nach Alter und Möglichkeiten etwas variierte, so war es ein Kompass, dessen Himmelsrichtungen ich verstand, weil alle in meinem nahmen Umfeld den gleichen hatten. Als Älteste von 18 Cousins und Cousinen und zahlreichen Pflegekindern bekam ich umgehend Rückmeldung, wenn ich die Kompassnadel aus dem Blick verlor, vielleicht bei der abendlichen Reinigung der Jüngeren zu oft das Badewasser wechselte oder mir in der Küche einen „leeren Gang“ erlaubte. Verschwendung in jeglicher Form war verwerflich, nicht nur in meiner Verwandtschaft, auch im Buchhhandel. Ein optimales Umfeld also, um effizient zu werden. Im Lauf der Zeit erschloss sich mir sogar der Umgang mit Gästen und das Verhalten als Gast, das ich lange als unlogisch empfand. Ich hatte gelernt, dass ich als Gastgeberin dem Gast alles ermögichen und mich auf seine Bedürfnisse einstellen müsse, egal wie wenig nachvollziehbar diese seien. Während ich als Gast angepasst und niemals fordernd sein solle; eher im Gegenteil, verlockende Angebote müsse ich höflichst ablehnen, damit sie dem Gastgeber für den nächsten Gast oder Eigengebrauch erhalten blieben. Dass diese Einstellung das Bewusstsein anderer Kultur gegenüber fördert und dass ihre Missachtung oft genug der Grund für Kriege ist, begriff ich erst vollständig, als ich die Odyssee las.

Aber ich komme vom Hundersten ins Tausendste. Eigentlich wollte ich nur kurz festhalten, dass das bei mir Verinnerlichte in den letzten Jahrzehnten kaum mehr kommunizierbar ist. Mit „vo nüüt chunnt nüüt“ zu argumentieren, wenn du die Extrameile verlangst, wäre schön blöd. Oder zuzugeben, wie oft du abends Zeugs abarbeitest anstatt Patenkindern Geschichten vorzulesen oder ihren Ideen und Instrumenten zu lauschen. Oder dass du keine Hobbys pflegst und auch die Partnerschaft kaum.

Ich kann mich den Gegbenheiten anpassen und dem Lob der wertvollen Phasen der Ruhe ohne die leidige Erreichbarkeit sogar anschliessen, auch wenn ich das so nicht kenne. Was mich in die Bredouille bringt, ist die Tatsache, dass in diesem Agreement urbaner Geselleschaften Dinge, die mir gut gelingen, wirken, als hätte ich Wunder vollbracht. Das ist ein grosses Missverständnis, denn ich habe sie bloss erarbeitet. Teils über viele Jahre, ohne Gewissheit, ob es sich je in einer Weise auszahlen wird und um den Preis, dass ich etwas anderes oder etwas für mich nicht tun konnte, nicht erlebt habe, nie kennen lernen werde. Die Erfolge, an denen ich beteiligt bin, gehen auf Arbeit und Selbstverpflichtung zurück. Nicht mehr, nicht weniger.

Ferienbild 2021: Die Befestigung der Dünen am Strand von Espiguette in der Camargue ist als Zeichen der Gastfreundschaft und des gegenseitigen Respekts zu vertehen und zu achten. Menschen, die über Dünenbefestigungen steigen, sind bitte höflich aufzuklären.

Zeichen des Dankes

Seit 2007, dem Jahr, in dem ich als Abteilungsleiterin Buchhandel angefangen habe, bedanke ich mich bei Lehrerinnen und Lehrern wie auch meinen Kollegen zum Jahresende mit einem Buchzeichen. Manchmal bestelle ich es auf einer Buchmesse, manchmal in einem Atelier, manchmal mache ich es auch selber. Dieses Jahr hat es Any, eine Kalligrafin, gezeichnet und beschrieben. Sie hat damit vielen Freude bereitet, sogar denen, die nicht speziell gern Bücher lesen.
In der Weiterbildung zur Schulleitern lerne ich zwar, dass solche Aktionen für ohnehin ständig überlastete Schulleitungen zur Falle werden können: Sie schürten Erwartungen, Undankbarkeit sei abzusehen. Aber für mich ist es kein Kriterium, ob ich den Standard halten kann und ich möchte das auch nicht vorleben, schon gar nicht auf Biegen und Brechen. Wenn es mit Originalität und etwas Nachtarbeit geht: Gut! Wenn beides nicht vorhanden ist: Auch ok. Die Aufmerksamkeit ist dabei ohnehin das Wichtigste, genau wie im Schulzimmer auch. Und sie kommt so oft zurück! Ich war gerührt von den mündlichen und schriftlichen Reaktionen auf das kleine Geschenk. Es ist manches aufgetaucht, das ich so nicht erwartet hätte. Zum Beispiel wird mein Lachen gemocht (ich halte mich im Arbeitsalltag tendenziell für humorlos). Ich gebe seit jeher viel dafür, auf allen neusten Kanälen erreichbar zu sein, aber dass dies noch immer geschätzt und so häufig vom Kollegium erwähnt wird, spricht gegen die Theorie der Abnutzung. Ein junger Lehrer fand für mich sogar ein Goethe-Gedicht, dem ich – trotz monumentalem Goetheunterricht sowohl in der Steiner- als auch an der Buchhändlerschule – noch nie zuvor begegnet war. Solche Zeichen lassen mich nicht nur innehalten, nein, sie machen mir erst meinen wunderbaren Job begreiflich.
Zeichen des Dankes 2017

Den roten Faden haben andere

(Der rote Faden fehlt in meinen Notizen der letzten Wochen. Ich versuche immer wieder, die Notizbücher farblich zu trennen, aber schon nach wenigen Tagen stelle ich die Unmöglichkeit des Vorhabens fest und schreibe Französischvokabeln, To-do-Listen, Geschenkideen und einzelne Sätze aus dem Feuilleton durcheinander ins gleiche Heft. Heute konsultiere ich manchmal den WhatsApp-Verlauf, um überhaut zu wissen, was ich gedacht und gemacht habe und noch zu machen hätte.)
Nun gibt es zum Glück eine Menge Leute um mich herum, die effizenter sind und an denen ich mich hin und wieder orientieren kann.
Beispielsweise hat Hanjo mich mit seinem formidablen Typoscript über bloggende Lehrer/innen auf das ZUM-Wiki Lehrerblogs gebracht, welches mir schon gute Dienste leistete. Seine Veränderungen wiederum haben mich dran erinnert, dass auch bei mir solche anstehen: Ich höre nach 17 Jahren auf mit dem Unterrichten. Dies ohne diesen Teil lohnmässig zu ersetzten. Und ohne Illusion Freizeit, denn Zeitfenster in der Schule sind Schwämme, sie werden mit jeder Leerung saugfähiger. Aber ich brauche mehr Zeit für das konzentrierte Arbeiten und weniger Aufgaben gleichzeitig, bei denen es keine Fehlertoleranz gibt. Zum Beispiel vorgestern hatte ich Prüfungs- und Stundenplankorrekturen sowie Testergebniskontrollen der neuen Schulverwaltungssoftware gleichzeitig an einem Arbeitstag, an dem ich auch selber noch unterrichtet habe. Das ist für mich nicht zu schaffen. Wenn ich auch nur eine Räumlichkeit im zukünftigen Stundenplan falsch absegne, entstehen ein Rattenschwanz von Problemen und Arbeiten in anderen Abteilungen. Oder – bliebe es ganz unbemerkt – es steht ein Informatiklehrer im nächsten August in einem Schulzimmer ohne PCs und alle PC-Zimmer in allen sechs Schulhäusern sind besetzt. Wir planen knapp, so sind die Verhältnisse. Von falschen Personaleinsätzen oder mangelhaftem Informationsfluss, die Lehrpersonen dauerhaft beunglücken, gar nicht zu reden… Geschwindigkeit und Präzision schliessen sich meiner Meinung nach bei Arbeiten, die nicht Routine sind, einfach aus.
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Wochenbilanz (VII)

Ich bin wieder daheim und schon fast eingelebt. Auch die Familie scheint sich an meine Anwesenheit gewöhnt zu haben. Dies war meinen „Aufräumwoche“. Das heisst, ich habe meinen Koffer ausgepackt, meine Lernunterlagen sortiert, viel gewaschen, viele Mails und Rückrufe erledigt. Manches betraf die Arbeit, anderes war privat. Es ist einiges liegen geblieben die letzten sechs Wochen.
Ich habe meine Zeugnis von der Schule erhalten und hier mein Ziel – in allen Kompetenzen in Französisch B2 – erreicht. In Verständnis (Compréhension de l’oral et de l’écrit) attestieren mir die Lehrerinnen sogar ein etwas höheres Niveau, aber das ist auch das, was ich im Beruf gebraucht und deshalb am meisten geübt habe. Sehr schön finde ich die Zusammenfassung meiner Möglichkeiten in Französisch am Ende des Zeugnisses:

Elle a une bonne connaissance du système de la langue mais avec des lacunes en connaissances lexicales. Elle fait preuve d’un bon contrôle grammatical; des erreurs peuvent survenir occasionnellement mais elles sont souvent auto-corrigées.

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Fachverantwortlichentagung 2014

Für Schweizer Verhänltnisse sind wir eine sehr grosse Schule, wir sehen einander nur, wenn wir das viel im Voraus planen. Deshalb gibt es bei uns fixe Jahrestermine, die immer zur gleichen Zeit stattfinden, z.B. die Tagung der Leitung mit den Fachverantwortlichen heute. Da kommen die die, Teile von diesen und jenen zusammen. Dies um zu diskutieren, in Gruppen zu arbeiten und nicht weniger als die Standards für das nächste Schuljahr festzusetzen.
Das Programm heute beinhaltet folgende Punkte, die je ein bis zwei Stunden in Anspruch nehmen werden:

  • Blended Learning: Vorgehen 2014, Moodle Plattform
  • Semesterplan: heutige Standards, Standards 2014
  • Disziplinarwesen: Standortbestimmung, Aufnahme der Inputs aus den Fachschaften
  • Stundenplanprozess
  • Ich bin dann mal im Emmental. Einen guten Tag allerseits!

    Grüsse aus dem Fotonirvana

    Für die Famlienchronik: Ich halte fest, dass meine externe Harddisk nicht mehr zu retten ist und damit auch die Familienfotos und einige andere berufliche oder halb-berufliche Dokumentationen.
    Mit dem Datenretter meines Vertrauens bin ich zufrieden, an ihm liegt es nicht, seinen Rat habe ich gern bezahlt. Ich will mir nicht vorwerfen, ich hätte es nicht versucht. Aber eine Diagnose ist Diagnose ist eine Diagnose:
    Wir haben die Diagnose Ihrer Festplatte jetzt abgeschlossen und bedauern, dass wir bei Ihrem aktuellen Fall keine Datenrettung anbieten können.
    Wir haben alle uns zur Verfügung stehenden betriebsinternen Möglichkeiten ausgeschöpft. Aufgrund der schweren physikalischen Beschädigung der Oberfläche (Headcrash) ist ein Auslesen leider nicht möglich.
    Die Festplatte wurde in unserem Reinraum geöffnet, um das Problem genauer zu untersuchen. Dort stellte sich heraus, dass der Schreib-/Lesekopf auf die Oberfläche der Festplatte aufgesetzt haben muss. Dadurch wurde die Magnetschicht der Festplatte, auf der sich die Daten befinden, so stark beschädigt, dass die ursprünglichen Informationen nicht wiederhergestellt werden können.

    Ich nehme die Datensicherung keineswegs auf die leichte Schulter, im Gegenteil. Ich arbeite ja seit einem Vierteljahrhundert relativ fliegend und habe noch kaum je etwas verloren. Aber so, wie die einen Leute es nicht schaffen, Fotos zu sortieren oder Fotoalben zu machen, so schaffte ich zwar die Ordnung samt Unterordner, aber keine Sicherung mehr auf DVD.
    Natürlich hat man von dem einen Event eine CD gebrannt und das andere auf einen Memorystick gebannt oder auf Dropbox geladen, aber das Gros der Fotos aus den letzten fünf Jahren ist leider weg. Ich glaube, ich habe die Harddisk im Rahmen unseres Umzuges und der Auflösung meines privaten Büros (mindesetens) einmal (um)fallen lassen, während sie gelaufen ist. Deshalb ist mein Tipp an die Leserschaft kein anderer, als vor physischen Umzügen alle Daten zu sichern, selbst das Bildmaterial, auch wenn’s dauert und so ungefähr das Allerletzte ist, wozu man sich motivieren kann.
    Viele der Momentaufnahmen sind in unseren Köpfen sicher aufgehoben, den Abgebildeten geht es gut, die Welt dreht sich weiter und ich bin auch überhaupt nicht in Stimmung zu jammern.
    Unter anderem deshalb: Zu den Bildern gehörte auch die fotografische Dokumentation der ersten Praktsichen Prüfung in den Buchhandlungen vom vergangenen Juni. Ich habe mir viel Asche bereit gestellt und die Betroffenen gebeugten Hauptes darüber informiert, weshalb ich den versprochen bebilderten Bericht nicht liefern könne und mich entschuldigt. Und was sagen die Lieben? „Oh nein, du Arme! Wir trommeln alle zusammen und stellen das einfach noch einmal nach!“ Nicht, dass ich das nun nötig finde. Aber wer mit solchen Leuten zusammenarbeitet hat einfach keinen Grund zu klagen.
    Drum Schluss jetzt. Guten Wochenanfang allerseits!

    ENTERPRIZE 2012

    Die Grundbildung Kundendialog, die ich neben dem Buchhandel betreue, hat beim Enterprize 2012 Bronze erhalten und darauf bilde ich mir nun echt etwas ein. Hauptsächlich auf mein mit Geduld und Humor ausgestattetes Kollegium und speziell auch auf den jungen Berufsverband, der an allen Fronten gegen Vorurteile zu kämpfen hat. Der Enterprize ist nicht allein eine Auszeichnung für neue Ausbildungen, sondern ein Preis für Unternehmergeist in der Berufsbildung, der nur alle zwei Jahre vergeben wird. In einem Land mit einem so hohen Innovationsgrad gibt es genug Konkurrenz in diesem Feld, eine solche Auszeichnung kriegt man nicht geschenkt.
    Ein Preis entschädigt für etliche Verordnungshürden und Lehrplandebatten, ebenso wie für Tage von nur noch aufgesetzer Fröhlichkeit, weil zu viel Unschönes geschah. Ich freue mich besonders für unsere Lernenden mit ihren kurvenreichen schulischen und kulturellen Laufbahnen, dass sie – die so oft schon an der Abschussrampe balancierten – nun einmal im Rampenlicht stehen. Sie machen einen guten Job, den jeder braucht und keiner schätzt. Im Servicecenter der Versicherung beraten sie die kranke Albanerin in ihrer Muttersprache, an der Handyhotline brillieren sie mit Produktkenntnissen über Geräte und Abos, die ihresgleichen sucht. Dieser Beruf braucht einmal eine Bühne und ein wohlmeinendes Publikum. Ein Glück, dass es solche Preise und Geld aus der Wirtschaft dafür gibt. Danke.

    Premiere,

    sofort notieren:
    Heute habe ich zum ersten Mal im ganz normalen Arbeitsalltag ein Kompliement für multikulturelle Kompetenz bekommen. Von jemandem, der mit mir weder befreundet noch familiär verbunden ist, der nichts von mir weiss und auch nicht fürs Loben bezahlt wird, also weder Thearapeut noch Coach. Einfach so, ganz alltäglich und gewöhnlich im Arbeitsprozess, als wär’s eine besonders gelungene Präsentation, ein brauchbares Excelsheet, ein guter Text, eine effiziente Sitzungsleitung. Jetzt mache ich ja schon fast Jahrzehnte in Multikulti. Etliche Arbeit- und Auftraggeber und noch mehr Kollegen haben davon profitiert. Anerkennung bekomme ich aber in der Regel für geringere Kompetenzen.
    Es ging um Fragetechnik, darum, etwas transparent zu machen, was andere in der Runde sich gar nicht vorstellen konnten und deswegen nicht in diese Richtung fragen, obwohl es für die Sache kritisch war.
    Ich erlebe solches auch selber, zum Beispiel wenn ich mit Leuten zu tun habe, die jahrelang mit Süchtigen arbeiten. Die denken, handeln und fragen in Bahnen, wie es mir nie in den Sinn kommen würde. Genau das ist für die Intergration unabdingbar. Aber das ist weder in einer Weiterbidlung vermittelbar noch etwas, was in einem CV steht oder in der Zusammenarbeit gleich zu Beginn ins Auge sticht.

    Stellvertreterinnenfreuden

    Am Donnerstag und Freitag habe ich zusammengerechnet sechs Lektionen Stellvertretungen. Donnerstags in Deutsch (bin absolut unqualifiziert) und am Freitag in Literatur, Wissenschaft und Kultur (da geht’s qualifikationsmässig einigermassen).
    Weil ich nur noch mit knapper Not weiss, was ein Verb und ein Adjektiv ist, mache ich in Deutsch – immerhin saisongerecht – etwas zum Thema Deutschlehrmittel. Ich will mit den Azubis folgenden Fragen nachgehen:

  • Was sind die Kriterien, die eine Deutschlehrmittel gut machen? Oder umgekehrt: Welche Deutschlehrmittel werden auf welcher Stufe empfohlen und eingesetzt und weshalb?
  • Worauf muss die Buchhändlerin besonders achten, wenn sie Deutschlehrmittel bestellt? Wo und bei wem passieren häufig Fehler?
  • Was sind die schwierigsten Kundenfragen in dem Bereich? Was die unerfüllbaren Kundenwünsche?
  • Weshalb gibt es keine Lesebücher mehr?
  • Zu dem Zweck werde ich mindestens drei Lesebücher aus dem letzten Jahrhundert vorstellen. Voraussichtlich:
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