(Un)verzichtbar

Mehr als ein müdes Lächeln bringe ich nicht zuwege, wenn mich Leute übertrieben kulturpessimistisch schimpfen, wenn ich sage, dass das Buch für Jugendliche der westlichen Länder absolut verzichtbar ist und diese Generation die „Bibliothek“ bestenfalls als einen ruhigen, warmen, kostenlosen Arbeitsplatz mit online in der Luft begreifen wird.
Seit 2008 gehen die (mir bekannten) Studien zum Onlineverhalten auch auf diese Frage ein. Die Bitkom pulizierte gemäss „buchreport express“ von heute, dass nur gut die Hälfte (54%) der 14- bis 29-Jährigen sich ein Leben ohne Bücher vorstellen können. Das wäre erstaunlich. Der Umgang mit Information und dem geschriebenen Wort sowie die Honorierung von beidem hat sich in den letzten zehn Jahren durch das Netz so grundlegend verändert, dass dieses Resultat unglaubwürdig ist und Buchmenschen nicht wirklich froh macht.
Amüsiert hat mich hingegen, dass die Bitkom nun auch belegt, dass sich Privat- und Arbeitsleben durch das Internet wieder mehr vermischen. Eine umwerfende Neuigkeit. Hinter jeder Zeile Inhalt – egal welcher Qualität – steckt Arbeit. Würde diese allein in den dafür vorgesehenen Jobs oder in der Freitzeit geleistet, wäre die Welt längst Pleite. Oder das Internet.

Telefon mit der Freundin

„Nei! Der Früelig isch rächts. Der Herbscht ist links. D’Summerferie si obe. Die Weihnacht isch vis-à-vis. Und d’Wuche isch immer e Streife.“*
Ich habe das Gespräch vom Kind, das kein Kind mehr ist, nicht unterbrochen, obwohl ich das – zugunsten der Hausaufgaben – fest vorgehabt hatte. Denn manchmal sind es andere Dinge, die fürs Leben gelernt werden müssen.
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Aus Stellvertretungen werden Bücher

Die letzten Tage hatte ich die meisten Stellvertretungen ever. Dass die Schweinegrippe unbemerkt gekommen und wieder abgehauen sei, wie die Presse vermeldet, kann ich also nicht bestätigen. Und dass nur die Pharma damit verdient hätte, auch nicht. So kaufte ich also Bücher. Weil sie glücklich machen, auch wenn sie traurig sind.

  • Bettina Belitz, Splitterherz (für jemanden mit Twilight-Geschmack)
  • Sarah Hall, How to Paint a Dead Man (für meinen Schwiegervater?)
  • Eva Gesine Baur, Chopin (Für die Familienbibliothek?)
  • Daniel Barenboim, Klang ist Leben (dito)
  • Andrew Sean, Geschichte einer Ehe (wahrscheinlich für mich)
  • Ai Weiwei So Sorry (garantiert für mich)
  • Kinderkrippengedanken

    Die Begründung des Autoren Charles Lewinsky, weshalb er der SP beigetreten ist, hat mich drauf gebracht. Heute – am Weltfrauentag – ist es mir wieder eingefallen: Bei mir waren es die Frauenfragen. Nichts Besonderes mehr, die Knochenarbeit unserer Vorgängerinnen: Stimmrecht, Wahlrecht, Vergewaltigung als Offizialdelikt, Mutterschaftsversicherung, strafloser Schwangerschaftsabbruch, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Tagesschulen, Krippenplätze.
    Ich selber war mit Gastarbeiterkindern und Kindern, denen mindestens ein Elternteil fehlte, in der Krippe. Es gab fixe Essens- Schlafens- und Toilettenzeiten und die Betreuerinnen hatten ihr Handwerk in Anstalten autoritärer Natur glernt. Für alle, die nicht gezwungen waren hinzugehen, war die Kinderkrippe ein zu meidender Ort.
    Als ich 1994 – schwanger – eine Krippenplatz suchte, tat ich es deshalb contre coeur. Nur die Vorstellung, meinen Job in der Buchhandlung aufzugeben, war schlimmer. Meine Telefonate und Bewerbungen bleiben erfolglos, die Krippe war genau wie in meiner Kindheit besetzt für Notfälle zu denen eine Mutter, die einfach ihre Arbeit weiter machen wollte, weissgott nicht gehörte. Eine Krippenleiterin riet mir, täglich die Liste durchzutelefonieren und zu weinen – damit liesse sich manchmal jemand erweichen und nähme für eine Phase ein Kind zuviel. Es befremdete mich, dass ich heulen und mein Kind erst noch das Überschüssige sein sollte. So half uns die Verwandtschaft und rettete uns die Jugend, die wenig Schlaf brauchte.
    1998 gab es im bürgerlichen Bern erstmals eine politische Wende und Krippenplätze kamen oben auf die Agenda. Heute haben wir immer noch zu wenig Kitas, doch mehr als je zuvor. Meine Nichte und mein Neffe dürfen selbst entscheiden, wann sie zur Toilette müssen und kriegen einen Apfelschnitz, wenn sie hungrig sind. Sie duzen ihre Betreuerinnen in der Kita und freuen sich, sie zu sehen.
    Thanks sistas.

    plug up

    Frau Tanja steht gerade unter der Fuchtel der Grippe, ist jedoch selber fast gesund und hätte einige Schwänke zum Thema Stellvertretung in unbekannten Fächern und Klassen zu erzählen, hätte sie nicht gerade wieder eine solche.

    Das lebendige Schaufenster

    Es gab einst eine Buchhandlung, sie lag nicht im Zentrum der Stadt, doch nahe des Bahnhofes, und so eilten Tag für Tag hektische Pendler vor dem Geschäft hindurch, mit geübten Blicken auf die Armbanduhr und dem schnellen Voreinandersetzen der Füsse. Nur selten bog jemand in die Buchhandlung ein, im Schaufenster warteten die verstauben Bücher auf einen mitleidigen Käufer. Ausgestellt fanden sich ältere Werke der deutschen Literatur mit vergilbten Buchrücken und Neuerscheinungen mit schimmerndem Glanz auf dem Buchdeckel von der blassen Sonne, die ins Fenster fiel und dieses beleuchtete, denn Lampen suchte man vergebens. Deshalb beschränkten sich die Öffnungszeiten im Winter auf vier Uhr, das Geschäft lief schlecht. Die Zungen böser Buchhändler wetteten schon, wann sich die Türen für immer schliessen würden. Niemand kannte den Besitzer, man munkelte, er hätte den Laden schon längst aufgegeben und sich in einen Zug nach Rom gesetzt.

    Aufs Ganze im neuen Pegasus. Ein amüsanter, richtig anschaulicher Schülerbeitrag ab Seite 3. Danke sehr!

    Perspektive nach der Lehre 2010

    Ich habe hier auch schon darüber berichtet, dass wir jedes Jahr einen Halbtag für die Abschlussklassen organisieren, in dem es einzig und allein um ihre Perspektive nach dem Lehrabschluss geht. Ihre Fragen und ihre Sorgen können die Azubis vorgängig anonym eingeben, wir schauen dann, dass möglichst alles fachkundig beantwortet wird.
    Natürlich gibt es nicht auf alles Antworten, zum Beispiel wissen auch wir Lehrerinnen nicht, ob dieser Beruf eine Zukunft hat und wenn ja, wie lange. Deswegen ist es uns wichtig, buchhändlerische Laufbahnen vorzustellen. Wir haben über die Jahre viele gesammelt und es kommen laufend neue dazu. Daraus geht oft Aufschlussreicheres hervor als aus Branchenpresse und Medien. Bereits Anfang Siebziger wurde von vielen Berufsberatern vom Buchhandel abgeraten, weil es diesen nicht mehr lange gäbe. Trotzdem haben unsere Ehemaligen, die letztes Jahr ihren Abschluss gemacht haben, alle eine Stelle gefunden, sogar die, die noch die Berufsmatura machen und nur einen Tag pro Woche arbeiten können. Dafür sind von den Azubis, die vorletztes Jahr abgeschlossen haben, nurdie Hälfte im Buchhandel geblieben.
    In der ganzen Schweiz waren am 31. Januar 2010 nur 89 Buchhändlerinnen und Buchhändler arbeitslos. Bald bin ich ein Vierteljahrhundert in der Buchhandelsbranche und unsere Arbeitslosigkeit lag in dieser Zeit immer unter dem Durchschnitt. Die Fähigkeiten und Fertigkeiten aus dieser Berufslehre scheinen die meisten also ziemlich erwerbstauglich zu machen. Man könnte einwenden, Buchhändlerin sei ein Frauenberuf und die Frauen zögen sich nach der Ausbildung häufig in den Haushalt zurück. Meiner Erfahrung nach stimmt das nicht. Ich kenne jedenfalls keine Buchhändlerin, die länger Hausfrau geblieben ist und nicht einmal eine, die reich genug geheiratet hat, als dass es auch ihr Einkommen nicht ankäme.
    Buchhändlerinnen haben immer wieder neue Berufsideen und auch unseren Abschlussklassen mangelt es erfreulicherweise nicht an Plänen.
    Perspektiven 2010
    Perspektiven 2010

    Bei den welschen Kollegen

    Gestern haben wir in kleiner Delegation die l’Ecole professionnelle commerciale de Lausanne (EPCL) besucht. Das war – abgesehen von der trostlosen Erkenntnis, kaum Frazösisch zu können – eine sehr gute Sache.
    Diese kaufmännsiche Berufsfachschule gehört wie unsere zu den grössten der Schweiz, es werden dort 4’000 Azubis unterrichtet. Die angehenden Buchhändlerinnen und Buchhändler reisen aus allen frazösischsprachigen Kantonen an.
    Die Kolleginnen und Kollegen an der EPCL waren sehr zuvorkommend. Vieles ist an unseren Schulen ähnlich, aber ebenso vieles ist ganz anders. Und das Andere ist natürlich das Lehrreiche.

  • Ihr Kollegium ist gemessen an der Schülerzahl viel kleiner. (Sie haben höhere Pensen, v.a. die Frauen. Das wäre für mich auch bei uns wünschenswert.)
  • Die letzten ernsthaften Renovationen liegen 30 Jahre zurück. (Bei uns wird schon nächsten Sommer wieder renoviert. Also nie mehr jammern.)
  • Sie benutzen CLAROLINE, die Arbeit damit ist Pflicht, der Support wird durch Lehrer gemacht. (Wir benutzen Moodle, die Arbeit damit ist freiwillig. Ich würde gern auf etwas Sicherheit zugunsten von Unserfreundlichekeit verzichten und fände CLAROLINE, das ich schon ein wenig kenne, eine gute Sache. Die Pflichtbenutzung bei entsprechender Schulung und gutem Support ebenfalls.)
  • Sie investieren ihr Geld und ihre Kraft in die interne Kommunikation. Externe Kommunikation ist nicht standardisiert und wird je nach Bedarf gemacht. (Ich würde gern auch mehr intern investieren, aber nicht unbedingt auf Kosten der externen Kommunikation. Ich glaube, Eltern und Lehrfirmen in der Deutschschweiz haben in der Sache andere, höhere Ansprüche und ich bin häufig froh, einheitliche Unterlagen mit offiziellem Charakter zur Hand zu haben.)
  • Nur die Lehrpersonen führen die Absenzenkontrolle und informieren alle zwei Wochen die Lehrfirma. (Bei uns führen alle drei Seiten – Lehrperson, Lernende, Lehrbetrieb – die Absenzenkontrolle, Differenzen werden als „Unentschuldigte“ im Zeugnis vermerkt. Ich weiss nicht, was besser ist, um dem Grundsatz der Lehre „Schulzeit ist Arbeitszeit“ gerecht zu werden.)
  • Sie haben keine schulinternen Lehrpläne. Sie erstellen ihre Unterrichtspläne direkt aufgrund der Bildungsverordnungen in den verschiedenen Berufen. (Für mich ist schwer vorstellbar, wie wir ohne diese eine gewisse Einheitlichkeit pro Fach wahren könnten, denn Verordnungen lassen – zum Glück – einiges an Spielraum. Aber wenn das Kollegium kleiner ist, ist auch die mündliche Absprache einfacher.)
  • Sie sind durch und durch Schule und Non-Profit-Organisation. (Bei uns gibt es auch Teile, die nicht subventioniert werden, was zu einer Mischform von Schule und Unternehmen führt.)
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