Buchmesse: Rückblick 2011

Meine Buchmesse war schön: Ästhetisch, sozial und offen. Das sind für mich messbare Messequalitäten. Punkto Ästhetik spielt Frankfurt ohnehin in der ersten Liga. Man sieht schlechteren Messen an, was für eine enorme Leistung es braucht, um aus dem Auftritt vieler einen brauchbaren Gesamteindruck zu machen. Dazu gehören auch Beschriftungen, Wegweiser, Standnummern, der Umgang mit leeren Ständen und Neuausstellern, die Website, die Online-Orientierung während die Messe läuft. Das alles hat die Frankfurter-Buchmesse-Leitung besser im Griff als alle anderen, die ich kenne (und ich liebe Messen – sie sind für mich die Quintessenz des Marktes). Vitaler Bestandteil des diesjährigen gelungenen Auftrittes war der Ehrengast Island. Die hatten eine Strategie, die verdammt viel wegliess und gerade deswegen in sich absolut schlüssig war. Alle Autoren präsentieren? Oder nur die Berühmten, Übersetzen, die Exoten, die Genehmen? Andere Künstler auch? Und den Tourismus ankurbeln? Fragen, die sich jedes Gastland stellt und die Island perfekt beantwortet hat: Island verpflichtete sich in seiner Ausstellung dem Bücherlesen und Vorlesen und der Landschaft, die Isländerinnen und Isländer dazu animiert. Islands Bücher wurden in der in die Ausstellung integrierte Freihandbibliothek präsentiert: Thematisch, aber in allen Übersetzungen. Ich nehme an, Presse und TV haben so positiv wie alle auf Island reagiert und ich brauche hier nichts Genaueres zu beschreiben? Wenn doch, mache ich das gern auf Wunsch.
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und jetzt Messe!

Programm, Klassenlisten, Visitenkarten, Business- und Reiseklamotten, Ladegeräte, Notebook, Bücher und Literaturbeilagen zum Lesen auf der Hinreise pipapo – schon fast alles parat. Und wenn die Welt noch in Ordnung ist auf den Zug nach Frankfurt. Dieses Jahr reisen vier Begleitpersonen mit fast 80 Lernenden, was einmal mehr unser grosses Vertrauen in den Nachwuchs beweist, der des Nachts statt Clubs Lesungen besuchen wird, wobei man – ich gestehe es – zu Messezeiten beides nicht immer zweifelsfrei unterscheiden kann.
By the way: Orell Füssli made my day! Die Buchhandlung bewarb im heutigen Kundenmailing die Steve-Jobs-Biographie…
Jobs-Biographie-Mailing
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Wintereinbruch

ist, wenn ich ständig friere, ständig schneuze, Inhaliersud über die Tastatur leere, längst vergessene Kleider ausmotte, dem Kind nichts mehr passt, angefangene Blogbeiträge hängen bleiben, ich mich über Neuerscheinungen aufrege, mit den Kolleginnen um Umsätze bange, dabei alle viel zu wenig innovativ finde, dem Stellenabbau zuschaue, der im November huschhusch wieder wird aufgebaut werden müssen, die Frankfurter Buchmesse vorbereite und noch weniger als sonst je das Erledigte sehe sondern immer nur das, was noch zu tun wäre. Gerne würde ich meinen Vorfahren die Schuld dafür geben(„Verdingkinder!“ „Protestanten!“ „Hartes Brot ist nicht hart!“), aber mit Übervierzig ist das allzu billig. Ich hab wohl einfach mein Schreibkontingent ausgeschöpft. Am Montag habe ich mit einem Strategiepapier angefangen – zwölf Seiten musste ich abgeben – und am Samstag mit meinem Wahlmailing aufgehört, heute fällt mir nichts mehr ein. Also nicht, dass Sie glauben, ich schriebe nicht gern, das meiste ist mir sogar ein Anliegen und Wahlempfehlungen sowieso. Aber aus beruflicher Sicht finde ich es schon merkwürdig, dass Schreiben in keinem einzigen meiner Pflichtenhefte und all die Jahre kein einziges Mal in den Zielvereinbarungen vorkommt.

Schön gemacht

Die Islandseite unserer Lernenden in der Fachpresse. Ich habe volles Vertrauen, dass solche Buchhändlerinnen nach der Lehre geschmackvolle Onlineshops hinbekommen. Darum geht’s nämlich. Auch in Hamburg, wo die vor drei Jahren wider aller Vernunft gegründete Online- und Offline-Buchhandlung Stories! auf November eine weitere Filiale eröffnet. Ist das Buch am Ende doch nicht tot? Aber Steve Jobs. Überall und sogar aus der Buchbranche wird einem Visionär Respekt gezollt. Noch lebendig ist Umberto Eco. Sein Verleger stellt den neuen Titel (erscheint am Samstag) persönlich vor. Der klingt dabei wie ein alter Dozent meiner Buchhändlerschule: Eine Nachricht aus einer fernen, analogen Zeit, in der Lehrer mit Gesten und Worten versuchten, Bilder im Kopf der Schüler zu erzeugen.

Nachtrag: Der hierzulande unbekannte Lyriker Tomas Tranströmer kriegt den Literaturnobelpreis. Wieder einmal Hanser, siehe oben.

Ein paar News

Ich war vier Tage in den Abruzzen (Bilder folgen in separatem Post, auch wenn’s schon unendlich viele gibt) und weiss wieder, weshalb ich selten Kurzurlaub mache. Ich bin einfach nicht so gut im schnellen An- und Abschalten. (Aber die Bekenntnisse haber ich also hinbekommen.)
Wieder daheim haben wir viel gewaschen und sogar geflickt, wenn auch nicht alles, was nötig gewesen wäre. Es war mir zuwider, doch das Kind hat eine Menge geholfen. Das Kind war nämlich in seiner Geschichts-Projektwoche in Berlin gewesen und die Jungendherberge, das Stasi-Museum, die Gespräche mit Dissidenten, die vielen Stadtführungen (Schwerpunkt Entwicklung Nikolaiviertel und Rosenstrasse), natürlich auch die abendlichen Ausgänge, die Fahrten im Liegewagen und die paar Tage mit den Eltern in Italien haben der Kleidung einiges abverlangt.
Heute musste wieder alles parat sein für einen dreiwöchigen Aufenthalt in der Westschweiz. Dank langwieriger Debatte haben wir ein für alle – Kind, Eltern, Schule – akzeptables Programm zusammenbekommen. Erste Woche: Wohnen in Lausanne (Kanton Waadt), arbeiten bei einem Distributeur in Corminboeuf (Kanton Freiburg). Zweite Woche: Wohnen und Sprachschule in Delémont (Kanton Jura). Dritte Woche: Wohnen bleiben im Jura und arbeiten in einer Librairie in Neuchâtel (Kanton Neuenburg). Auch wenn all die tausend Hochglanzsprachaufenhalte, für die das Kind das Zielpublikum ist, sicher etwas für sich haben, finde ich es passender, sich zuallererst seinen Nachbarn zuzuwenden.
P.S. Mein tagespolitischer Schreikrampf ist ungehört in der Waschküche verhallt. Entschuldigung an die ausländische Leserinnen und Leser: Ich habe nicht die Nerven, näher darauf einzugehen.

Bekenntnis-Kult

Anfang Jahrtausend gab’s in der Schweiz das Magazin „kult“, vielleicht erinnert sich jemand. Die Auflage war vergleichsweise hoch, denn „kult“ wurde an „ausgewählten Kultstätten“ gratis abgegeben, so auch in der Buchhandlung, in der ich damals arbeitete. Das Magazin baute auf Werbung und die Zielgruppe wurde gleich im Impressum definiert:

Vorwiegend ausgeh- und konsumfreudige 18-38jährige Leserinnen und Leser, aber auch ausnehmend viele Prominente, Medienschaffende, Werber und Szeneleader oder anders ausgedrückt: Die für die breitere Masse Jugendlicher als Vorbild dienenden Vorreiter und Opinionleader in den verschiedensten Bereichen des täglichen Lebens.

Ich mochte die Zeitschrift, weil ihre Autoren gegen jede Art von Bigotterie anschrieben und nicht selten das Gegenteil vom Medienmainstream. Einige von ihnen publizierten schon damals in bekannten Magazinen (z.B. Henrik Broder oder Viola Roggenkamp), andere sind seither berühmt geworden (z.B. Wiglaf Droste, Sibylle Berg, Else Buschheuer).
Warum ich drauf komme? „kult“ war das erste mir bekannte Magazin, das 2.0 versuchte, wie’s ab da im Netz üblich wurde und heute zu jeder Gratiszeitung dazu gehört. Zum Beispiel Verschiedensten die gleichen Fragen stellen war kultig, „Ist es wahr, dass der Sex mit Italienern besser ist?“ und sowas halt.
Unter anderem gab es in „kult“ eine Rubrik Was-ich-mag-und-was-ich-nicht-mag. Das war immer eine Seite à zwei Spalten pro Heft, die irgend einem, der für die Schweizer Szene grad relevant schien, zur Verfügung gestellt wurde. Ob es sich nun um einen DJ handelte oder um eine Werbefotografin, die Rubik war beliebt, der Antrieb, originell zu sein, entsprechend.
Ich weiss nicht ob es einen Zusammenhang hat oder Zufall war, jedenfalls nutzte eine unserer Deutschlehrerinnen diese Bekenntnisse für die Vorstellungsrunde der Azubis am Anfang der Lehrzeit. Seither wurden unsere Neuen immer wieder gebeten aufzuschreiben, was sie mögen und was nicht, so auch dieses Jahr. Doch war’s heuer das erste Mal, dass die Azubis und Lehrerinnen und Lehrer zum Mitmachen aufforderten.
Deswegen brüte ich nun also über Confessions in Keywords. (Ausgerechnet ich, die ich noch nie ein Stöckchen gefangen, nach einem Jahr entnervt zu twittern aufgehört habe und ganz allgemein mit Stichwortaufforderungen wenig anfangen kann, womit ich immerhin schon ein Bekenntnis hätte.) Zum Glück fahre ich ein paar Tage nach Italien. Eine passende Destination zum Nachdenken. Und Bekennen.
Ci vediamo!

Erste Male

Ich verliess ein so richtig zettelverklebtes Büro wie ich mir früher vorstellte, dass es unfähige Beamte haben. Und ich hasse es genug, um morgen noch einen Zettel-Abtrag-Tag einzulegen.
Das war eine ereignisreiche Woche, vieles war
zum ersten Mal
führte ich an der Schule ein Tagesprotokoll von morgens um 07.30 bis abends um 19.00. Die Notwendigkiet war mir bisher nur aus anderen Institutionen bekannt, in denen ich gearbeitet habe, zum Beispiel in Heimen für Menschen mit Behinderung. Aber neue Herausforderungen bergen immer auch neue Anforderungen.
machte ich einen Unterrichtsbesuch über ganze drei Lektionen, was sich als unerwartet sinnvoll erwies. Denn eine Lektion kann harmonisch wirken, die nächste leicht angeknackst und wer dann noch eine Stunde länger bleibt, dem offenbaren sich die Probleme.
war ich im Wartsaal. Eine Neueröffnung junger Weggefährten mit pragmatischen Einstellung zur Ausgabebereitschaft bewegter Freundinnen und Freunde. Literatur, Tee, Kaffee, Wein und Bier – ein Plättli und ein Teller Pasta. Alles was es braucht, sowohl zum Arbeiten wie zum Freizeiten.
Olander aus dem Sonderangebot
blüht der Oleanderstock, den ich in Eile und mehr aus Verlegenheit im Sonderangebot des Supermarktes gekauft hatte, um der Prüfung und Prüfungsbuchhandlung im letzten Juni neben all der Druckfarbe noch ein klein wenig pflanzliche Farbe zu verleihen.

Schulwochenende

Gesternabend habe ich etwas gemacht, was ich nie zuvor gemacht habe: In einem Aufzug voller Azubis zu meiner Kollegin gesagt, dass das eine richtig beschissene Woche gewesen sei. Natürlich habe ich mich bei den Anwesenden entschuldigt und versichert, dass es mit ihnen nichts zu tun hätte. Einer antwortete, dass sie wohl dem einen oder anderen Lehrer ebenfalls eine beschissene Woche beschert hätten, die anderen nickten.
Auch wenn es sich an unserer Schule nicht gehört, derartiges zu äussern: Vielleicht schadet es gar nicht, wenn die Lernenden ab und zu einmal merken, dass sich hinter der Projektionsfläche Lehrperson ein Mensch verbirgt.