zu Wort gemeldet

Heute haben sich zwei Quellen zu Wort gemeldet, auf die ich gewartet hatte. Gudrun Eussner gibt ihre Analyse zu „Paradise Now“ und kritisiert Broders Kritik, was ich nach ihrem Kommentar nicht anders erwartet hatte. Der Argumentation, dass der Protagonist, der das Attentat schlussendlich ausführt, als stärker dargestellt werde, als der, der heulend zurückkehre, kann ich theoretisch folgen. Doch in dem Film, den ich gesehen habe, heulte letzterer nicht um sich, sondern um einen verlorenen Freund. Die Wandlung, die der (nach Eussner) Schwächere durchmacht, war für mich beeindruckender. Denn es ist bekanntlich schwieriger, Erwartungen nicht zu erfüllen.
Die andere Quelle war die der Gegendemonstranten zu den Rechtsradikalen, welche bei Friedmans Lesung in Regensburg herumgegrölt und Trasparente ausgerollt haben: Thanks to Indymedia. Friedmans Neuerscheinung rückt hinauf auf meiner Leseliste, weil:
ich hasse es, wenn Lesungen gestört werden.
UPDATE: „Paradise not now, but somewhen“ by Chuzpe.
UPDATE 20.11.2005: Wichtige Berichtigung im Kommentar.

Kein Beitrag

„Woher nimmst du nur all die Ideen für dein Weblog?“ fragte mich neulich A.
Mein Problem sind überhaupt nicht die Themen, über die ich blogge, sondern alles, worüber ich nicht blogge.
Zum Beispiel heute: Das Kind brauchte neue Kleider. Das Kind ist zwar nicht markengeil, aber heikel, was den Schnitt der Kleidung angeht. Es verwendet auf die Passbarkeit viel Probierzeit. Mangels Access in Umkleidekabinen habe ich heute nicht gebloggt über:
Klara Obermüllers Besprechung (in der NZZ am Sonntag, 2.10.05) von Nafisi „Lolita lesen in Teheran“, einem Buch, das ich auch schon wärmstens empfohlen habe. Nicht darüber, dass ich ihre Einwände an den Haaren herbeigezogen finde. Nicht darüber, dass sich Obermüller in ihrer Kritik keine Gedanken darüber gemacht hat, weshalb Nafisi hauptsächlich die angelsächsischen Klassiker zur Aufklärung einsetzt. (Antwort: Nicht weil Nafisi so eingleisig ist, sondern weil diese Literatur in Persien verfügbar war und die gebildeten Leute eben Englisch lasen und nicht Französisch oder Deutsch.)
Nicht gebloggt über die Diskussion über die Diskussion(en) zu „Paradise Now“ und auch nicht über das erhellende Privatgespräch, das ich am Wochenende mit Freunden über den Film geführt habe.
Nicht über André Glucksmanns neues Buch „Hass. Die Rückkehr einer elementaren Gewalt“ und seine Interviews über Krieg und Terrorismus. Ich gäbe viel darum zu erfahren, was Susan Sontag ihm entgegnen würde. Beide mit so einem ähnlichen Hintergrund und doch so anderen Rezepten. Oder hätte sich Sontag – so viele Terroranschläge nach 9/11 – ohnehin Glucksmann angenähert?
Eben, eigentlich blogge ich heute gar nicht.

Die Userin

in mir ist in aller Regel sehr zufrieden. Meine Soft- und Hardware hat ein ausgesprochen gutes Preis- Leistungsverhältnis. Die allgemeine Unzfriedenheit mit den IT-Produkten ist für mich selten nachvollziehbar. Ich bekomme heute für wenig Geld Waren, so etwas von leistungsfähig und komplex, wie keine anderen im ganzen offiziellen Warenkorb.
Mit der IT ist es wie mit den Büchern: Hat immer verfügbar zu sein und ist doch stets zu teuer.
Aber der Grund meines nächtlichen Blogbeitrags sind eigentlich zwei Momentaufnahmen der Eintracht:
Lyssa wird im TV-Beitrag übers Bloggen zwar zitiert als eine, die sich mit Computern nicht auskenne. Doch sie hat einen ThinkPad, einen T, leider sehe ich nicht welchen, mir macht er einen neuen Eindruck. Mich freut diese Wahl und ich weiss aus Userin-Erfahrung von acht Jahren (ThinkPad), wie schnell sich das Ding amortisiert.
Und ein waschechter Entwickler konnte aufgrund meiner Laien-Vorlagen sein Inhaltsverzeichnisproblem lösen. Das ist cool.
Und Bloggen auch.

dr Härry Potter isch da!

Chronistinnen-Pflicht: Der 6. Band geht seit Mitternacht über den Ladentisch. Und die Buchhändlerinnen und Buchhändler der grossen Läden werden nun, eine halbe Stunde nach Ladenschluss, zufrieden seufzend die Beine hochlegen.
Warum ist Harry Potter für mich ein bemerkenswertes Ereignis?

  • Harry Potter-Bücher sind im Schnitt der verfügbaren Jugendliteratur gute Bücher
  • Es ist absolut genial zuzusehen, wie sich Knirpse auf 600 Seiten stürzen
  • Harry Potter setzt uralte buchhändlerische Traditionen ausser Kraft: Die Bände sind nicht remittierbar (für Laien: man kann sie nicht zurückschicken, wenn man sie nicht verkaufen konnte) und es ist bei Strafe nicht erlaubt, einen neuen Band vor Erscheinungszeitpunkt zu lesen.
  • Harry Potter ist für mich als Fachlehrerin der beste Informant in Sachen Konkurrenzmärkte. Ich brauche bloss nach HP Bd. 6 gugeln, yahuen, msn-nen und „Wuuusch!“ sehe ich praktisch jeden Anbieter, der den Buchhandel als Nebenmarkt entdeckt hat.
  • Einen Eindruck aus Bern vermittelt heute „Der Bund“. Und Jasmin K., eine meiner Schülerinnen aus dem ersten Lehrjahr kommt zu Wort, weil sie Band 6 schon kennt. In Englisch. Da sieht man mal wieder, was für gescheite Azubis ich habe.

    Tipp 3: IT-Potential

    Die IT-Industrie ist für unser Land nicht nur deshalb so wichtig, weil der Sektor über 8 Prozent des BIP ausmacht und über 120’000 Personen beschäftigt (darunter Hunderte von Azubis, Anm. nja), sondern weil durch ihn die gesamte Wirtschaft, aber auch die öffentliche Hand von Grund auf trasformiert wird. Um die Bedeutung der Transformatoren (oder die Konsequenzen eines Mangels an solchen) angemessen darzustellen, enthält dieses Buch zehn Berichte aus und über IT-Unternehmen.

    Das steht in der Einleitung des sehr aufschlussreichen neuen Titels von Xavier Comtesse: DARTFISH, LOGITECH, SWISSQUOTE UND CO. Diese Empfehlung gilt vor allem dem Herrn InVisible and Visible, der mich darum gebeten hat.
    Und in diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf hinweisen, dass Martin Rölls Beitrag aus dem Handbuch E-Learning zum Thema Einsatz von Weblogs jetzt online ist. Vielen Dank!

    Tipp 2: Schulwegsicherheit

    Bewährt haben sich Übungen mit den drei „L“ = Lärm, Licht und Leute (dorthin laufen wir). Thematisierungsvorschlag: Nicht nur für den eigenen Notfall üben, auch auf andere Kinder achten, die Hilfe brauchen.

    Andere Personen gezielt um Hilfe bitten, z.B. „Hallo, Sie mit der blauen Jacke, bitte helfen Sie mir.“ Die Leute aus der Anonymität heraus holen, Verantwortung übertragen.

    Das gehört neben anderem zu den Ratschlägen des Zentrums für Konfliktgestaltung, die zum Schuljahrbeginn zusammengestellt wurden. Die Informationen gingen an die Tagespresse und die Schulen, aber bis zu den Eltern ist nicht viel durchgedrungen.
    Ich bin stolz auf unser Quartierblatt, den WulcheChratzer, dessen kleine Redaktion richtig auf die Mitteilung eingegangen ist.
    Hier das PDF des Artikels, der im WulcheChratzer Nr. 9 vom 22. September veröffentlicht worden ist.

    Tipp 1: Elternerziehung

    Die Schule ist eine autoritäre Institution, in der die Kinder manchmal Dinge einfach tun müssen, ob sie wollen oder nicht. Immer mehr Kinder weigern sich heute, etwas Anstrengendes oder Langeweiliges zu tun.

    Wir sprechen hier nicht von vernachlässigten Kindern oder solchen mit einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndorm. Es geht um umsorgte und geförderte Kinder, die im Glauben aufwachsen, alles sei jederzeit machbar und Anweisungen von Erwachsenen zu befolgen, sei nicht nötig.

    … meint Peter Kunz, der Autor des Ratgebers Fit für die Schule, den unsere Erziehungsberatungsstelle soeben veröffentlicht hat. Sowohl aus meiner Lehrerinnen- wie auch aus meiner Muttersicht ein angemessenes und hilfreiches Leporello.

    Paradise Now

    Der geschätze Henryk M. Broder hat heute der palästinensischen Film „Paradise Now“ besprochen oder genauer die Hintergründe und Reaktionen im Land selber. Weil ich gerade von der Premiere zurückkomme, ist das einer der seltenen Fälle, in denen ich mich zu einem Film äussere.
    „Paradise Now“ erzählt die Geschichte der letzten 24 Stunden vor einem Selbstmordattentat, aus denen 48 Stunden werden. Die beiden jungen Männer aus Nablus hatten sich einmal auf eine Liste setzen lassen und sind nun an der Reihe. Zum ersten Mal im Leben ernsthaft umworben, werden sie integriert in einen Ablauf von Kollaborateuren-Schmäh, Märtyervideo, Abschiedsmahl, Abschiedsgebet, passenden Anzügen mit Bomben drunter, letzten Anweisungen und dem Koran gegen die Wankelmütigkeit.
    Doch beim Grenzübertritt geht etwas schief und das Leben noch weiter.
    Der so eingeschliffene wie irrelae Ablauf der Dinge wird gestört, alle Beteiligten müssen ein zweites Mal Stellung nehmen. Die Selbstmordattentäter selber, deren verlogene Auftraggeber, eine Mutter, eine Freundin. Und hier ist der Film unglaublich stark, in diesen scharfen, gespienen und geschwiegenen Dialogen, im Ringen um eine Moral.
    Im Widerspruch zu Broder, der den Film zu pädagogisch und streckenweise zu pathetisch wie auch bemüht findet, finde ich alles sehr passend. Sicher, der Film will eine Nachricht in die Welt hinaus senden, das ist ein legitimer Anspruch dieses Mediums. Mir hat er gezeigt, dass weder die Beschönigung, die ich in der Terrorismus-Diskussion so verabscheue, noch die Dämonisierung, zu der ich viel eher neige, das Argumentarium sein können.
    „Paradise Now“ rät zur Einsicht mehr als zum Urteil. Und das ist in diesem trostlosen Konflikt eine grosse Leistung.

    Blick nach Osten

    Made in China
    China generiert bei den reporters without borders regelmässig Meldungen. In der Buchbranche kennen wir den PEN-Club, der sich für verfolgte Autorinnen und Autoren stark macht. Mit den „reporters without borders“ (rsf) haben auch verfolgte und inhaftierte Weblogger ein Sprachrohr. Je mehr von der verfügbaren Information die Blogger (mit)bestimmen, desto gefährlicher werden sie, ergo sind sie auch gefährdeter. Denn schreiben, was den Herrschenden nicht in den Kram passt, das kann man nicht überall auf der Welt. Jedes Land, das seine Schreibenden wegen des Geschriebenen verfolgt und bestraft, ist mir verdächtig – immer. Die Freiheit der Schreibenden ist mein persönlicher Gradmesser für die Verhandlungsfähigkeit einer Nation (meine Meinung zum EU-Beitritt der Türkei ist damit gesagt). Und umgekehrt sollen wir uns immer zuerst fragen, ob wir für die Schreibenden und andere Kulturschaffende in einer repressiven Gesellschaft genug getan haben, bevor wir – und damit meine ich jedes Mitglied der westlichen Gesellschaft – Urteile fällen oder gar zu den Waffen greifen.
    Deshalb schätze ich das Engagement von rsf sehr. An rsf sind viele, viele Menschen aus dem Osten beteiligt, die damit wiederum ihre Freiheit riskieren. Ich danke für das ausgezeichnete HANDBOOK FOR BLOGGERS AND CYBER-DISSIDENTS. Nicht nur meinetwegen, sondern vor allem wegen denen, die es sich bei ihrem Leben nicht erlauben können, unter richtigem Namen zu bloggen.