Beruf(ungen)

Heute, wo man Mütter ehrt und der Befreiung gedenkt ist auch ein richtig guter Tag, um über unseren verschrienen Berufsstand zu lesen. Und weil die Diskussion zu lang ist, als dass jemand sie vollständig online lesen würde, empfehle ich hauptsächlich die Einwürfe der Enja Riegel zur Lektüre. Sie findet, Schüler sollten vom Lehrer zuerst das vermittelt bekommen:

Ich bin gemeint, der sieht mich und der will mir helfen, der setzt mir auch Grenzen.

Dem kann ich mich nur anschliessen, gerade am heutigen Tage. Danke XB, für den Tipp.

Bildung + Sport

Ich hatte ein sehr aufschlussreiches Gespräch mit einer Gymnasiallehrerin, deren Tochter Spitzensport macht. In unserem schönen Schweizerlande wird viel gejammert, wir hätten keine guten Sportlerinnen und Sportler mehr. Aber offensichtlich ist es gar nicht einfach, diese auszubilden. Denn Training und normales Gymnasium lassen sich schwer verbinden, genau so wie Training und normale kaufmännische Lehre.
Nun ist Sport wie Grundbildung etwas, was man im Lebenslauf nicht einfach so nach hinten verschieben kann. Und schon haben wir einen regelrechten Zielkonflikt. Lösungen wären Sportklassen, sowohl im Gymnasium wie auch bei uns am KV. Die Volksschule, die ich ja auch schon oft kritisiert habe, muss ich für ihre Fussballklassen loben. Viele Kinder, die ich kenne, eifern der Aufnahme entgegen und sind deshalb auch in den anderen Fächern besser (gute Noten und ebensolches Betragen sind eine Bedingung). Warum sollte das bei uns nicht gehen?
Die wenigen Sportklassen, die es in der Schweiz gibt, müssen immer wieder Jugendliche abweisen. Wenn Lehrpersonen das ändern wollen, ist das Killerargument, dass es ja nur zehn Abgewiesene waren und man doch keine Sportklasse an einer Schule machen kann mit zehn Leuten, also wirklich, wo kämen wir da hin? Aber Kleinklassen und Klassen für Leute mit Behinderung macht man ja auch mit zehn Lernenden. Zehn begeisterte und begabte sportliche Abgewiesene sind zehn zuviel.
Treue Leserinnen und Leser können meine Meinung erraten: Wir müssen dran bleiben. Es ist eine Frage der Argumente, eine Frage des Durchhaltewillens, der Bereitschaft, Pionierarbeit zu leisten und Rückschläge einzustecken. Ein Projekt auch mit wenigen zu starten, ist ein Frage des Mutes. Let’s roll.

PISA und Partizipation

Partizipaiton wird ja gross und grösser geschrieben in den Leitbildern und der Bildungsstrategie für die Volksschule, aber wird sie auch geschätzt? Beileibe nicht. Deshalb habe ich mich irgendwie in den PISA-Ergebnissen im kantonalen Vergleich bestätigt gefühlt. Dies ganz im Gegensatz zum Kind, das sich persönlich beleidigt fühlte, in Bern unter dem Durchschnitt zu sein.
PISA-Ergebnisse sind nicht immer, aber oft der Ausdruck eines Mangels. Weil sie aber kein Rezept mitliefern, sind die Beteiligten manchmal hilflos. Deshalb machen sie kantonale Après-PISA-Auswertungen, damit wir lernen, was in den „guten“ Kantonen anders gemacht wird. Jetzt zum Beispiel sind wir mit den wesentlich besser abschneidenenden Nachbarn im Westen konfrontiert und das ist gar nicht schön. Also Auto fahren können sie auf jeden Fall nicht die Freiburger. Und Witze machen wir gerne über sie. (Natürlich auch umgekehrt und erst noch die gleichen: „Weisst du, warum die Krähen über dem Freiburger resp. Berner Land immer im Kreis fliegen?“ „Keine Ahnung.“ „Weil sie sich mit dem anderen Flügel die Nase zuhalten.“)
Hier eine der Erklärungen für die freiburger’schen Schulerfolge:

Mehr Stunden – aktive Eltern
Das gute Abschneiden des Kantons Freiburg führt die Freiburger Staatsrätin Isabelle Chassot auf das positive Bildungsklima im Kanton zurück. Entscheidend sei dabei der Einbezug der Eltern. In Freiburg sei gesetzlich festgelegt, dass Eltern die Hälfte der Mitglieder einer Schulkommission stellen. Auch würden die einzelnen Schulen laut Chassot intensiv mit Elternvereinen zusammenarbeiten. Die zweite Erklärung sei relativ einfach: «In Freiburg gehen die Schüler von der 1. bis zur 9. Klasse einfach mehr zur Schule als anderswo.» Für das gute Abschneiden der Schüler aus sozial tiefen Schichten macht Chassot die Durchlässigkeit der Schulstufen und die auf den einzelnen Schüler ausgerichteten Fördermassnahmen verantwortlich.

[Quelle: BZ 3. Mai 2005]
Ich werde hier im Schulkreis als „aktiver“ Elternteil nur so lange geschätzt, wie ich lächle und Kuchen backe, Buchtipps gebe, absolut schlecht integrierten Kindern Deutsch beibringe oder mich als quartierinternen Informationsposten nützlich mache. Sobald ich mitdenke oder nachfrage, vielleicht sogar einmal kritisch, ist die Partizipation am A es mit der Partizipation ganz schnell vorbei.
Ich finde, die Schulleitenden müssten sich der Bedeutung von Worten bewusster werden. Partizipation soll draufstehen, wo sie drin oder wenigstens ein ernstzunehmendes Ziel ist. Sie darf nicht zum Schlagwort verkommen und inflationär für unprotokollierte, ungeleitete Elterngespräche oder Jugendarbeit, die im Endeffekt andere verrichten, benutzt werden.
Obwohl ich gute Lust auf eine Replik zur Berichterstattung PISA in den Kantonen und der Bildugnsstrategie hätte, halte ich mich zurück. Erstens mache ich hier nicht Polit-Bloggen und zweitens bin ich als Lehrperson ein Vorbild und ganz inter nett. Zum Glück ist es endlich Frühling, sonst hätte ich einen Kragen, der platzen könnte.

Mobbing-Splitter

Neulich hat mich jemand gefragt, wer Françoise Alsaker sei und ich habe versprochen, darüber etwas zu bloggen. Am 28. April 2004 hielt sie ein Referat, das meine Schwester besucht und bei dem sie für mich Notizen gemacht hat. Herzlichen Dank!
Hier die aktuellen Aussagen zusammengefasst:

Mobbing ist ein Muster.
Mobbing ist kein Konflikt.
Konfliktlösungsstrategien taugen nicht.
Es gibt keinen Grund zum Streiten, also kann es auch keine Einigung geben.
Gegenüberstellungen von Täter und Opfer bringen nichts.
Es kann jedes Kind treffen. Kinder, die leicht und oft „Nein!“ sagen und sich weniger kooperativ verhalten sind seltener Opfer.
Gegen Mobbing kann man sich nicht wehren, das Ungleichgewicht ist zu stark, der Ratschlag „wehr dich!“ ist vertane Zeit.
Mobberziel und –Befriedigung ist die Täuschung der Erwachsenen.
Mobbing in indirekten Formen wie subtile Beleidigungen, Körpersprache, Blicke, Gerüchte, Intonation ist für Lehrpersonen schwierig zu erkennen und zu ahnden. Kein Weg führt an Beobachtungen, Dokumentation und Reaktion (auch auf Kleinigkeiten) vorbei.
Erfolgreiches Mobbing bringt den Tätern Macht, Action, Gruppengefühl, Bestätigung und dadurch Vorteile. Sie werden es wieder tun.
Die schlimmste Folge von Mobbing ist der Suizid, was sowohl in den USA wie auch in Europa vorkommt.

Ich habe mich in die Thematik aufgrund der ersten Studien eingelesen. Ende der Neunzigerjahre haben Olweus und Limber festgestellt, dass das Problem eine neue Dimension auf der Palette der Gewalttätigkeiten einnimmt. Auch sie haben von Anfang an körperliche, psychologische wie verbale Attacken unterschieden.
Marr und Field haben sich ebenfalls 1999 mit dem Thema wer Opfer und wer Täter sei befasst. Aus meiner Sicht und leider eigener leidvoller Erfahrung muss ich sagen, dass ihre Täterbeschreibung noch heute sehr gut passt:

Bullies are, in a word, cowards. They project their own shortcomings and wrongdoings onto targets who are physically inferior to them. They control their targets with threats of violence, which are almost always carried through, sometimes with fatal consequences. And when bullies are called on their actions, they often say they were “provoked” by their targets.

Marrs und Fields Opferprofil hingegen hat inzwischen zahlreiche Ergänzungen erfahren:

Only the best are bullied. Individuals who are targeted are typically sensitive, respectful, honest, creative, and of high emotional intelligence. Targets typically have a strong sense of fair play and high integrity with a low occurrence of violence.

Was Alsaker heute feststellt, liessen schon Marr und Field anklingen:

Because bullies are driven by jealously and envy, they have an obsessive compulsion to torment and destroy those who are better than they are, which is most of the population.

[Quelle: Bullies … Whom are they hurting?]
Und die Eltern? Immer in Angst und immer mit dem Ratgeber im Hinter- und Vorderkopf:

Fragen: wer, wo, wann?
Fragen: wie bist du da rausgekommen?
Sagen: es ist normal, dass es dir beschissen geht.
Information und Kommunikation mit Fachstellen und Fachpersonen.
Keine Konfrontation mit Tätern und deren Eltern.
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Aber nicht nur Eltern sind Faktoren, sondern auch die Schule, gerade die Grundschule. Ken Rigby schreibt zu dem Schulfaktor:

The social context and supervision at school have been shown to play a major part in the frequency and severity of bullying problems. While teachers and administrators do not have control over individual and family factors which produce children who are inclined to bully, bullying problems can be greatly reduced in severity by appropriate supervision, intervention and climate in a school.

Jeden Tag zweifle ich, dass die Schule weiss, dass sie ein entscheidender Faktor ist. Und zugleich muss ich fragen, wer ist sie denn, „die Schule“? Wohl nicht nur der Gang, die Garderobe, der Wasserhahn und der neue Turnhalltenbelag. Die Schule sind wir, Lehrerinnen und Lehrer. Es ist an uns. Und gerade Alsaker hat Tipps, von denen mir keine Lehrperson sagen kann, sie hätte nicht die Kapazitäten diese umzusetzen.
Literatur und Empfehlungen von F. Alsaker:
1. Quälgeister und ihre Opfer
2. Medienpaket: Mobbing ist kein Kinderspiel
3. Gruppe für Prävention

Kurs-Schluss

Meine letzte Hürde dieser Didaktik-Weiterbildung war eine Kurzlektion vor dem Metalehrer und den Kolleginnen und Kollegen heute. Mein Thema waren die UNO-Tage, eingebettet in die Agenda der UNO. Ich finde, dass es gut gelaufen ist und ich mit den Lernenden die Lernziele erreicht habe. Im Unterschied zum Metalehrer fand ich die Erfolgskontrolle sei bei einer so kleinen Gruppe (8 Personen) „en passant“ und nur für mich sichtbar möglich. Nun, man muss sich ja nicht immer einig sein.
Doch von den Kolleginnen und Kollegen hatte ich tolle Feedbacks und eine schriftliche Bewertung mit hilfreichen und guten Inputs. Ich habe die Kreuzchen dazu (Fähigkeit zu motivieren, zu erklären, auf Teilnehmende einzugehen und den Wohlfühlfaktor) rasch ausgewertet. Ich bekomme eine Berwertung, die mit der meiner Lernenden identisch ist. Das ist wunderbar.
Ich bin mir inzwischen bewusst, dass meine Lektionenplanung und -aufteilung auf manche unstrukturiert wirken kann, dass mein Tempo und meine Anforderungen zeitweise gewöhnungsbedürftig sind. Ich weiss wie verbessern. Aber manchmal will ich einfach nicht. Weil meine Lernenden in der Regel sehr gute Resultate (auch an den Prüfungen mit externen Expertinnen und Experten) erbringen, weil ich sehr wenige „abhänge“. Und wenn das passiert, merke ich es in der Regel schnell und kann mit ihnen eine Lösungen finden. Und sollte ich je an Realitätsverlust und unter totaler Fehleinschätzung leiden, haben meine Schülerinnen und Schüler etliche Kommentarmöglichkeiten, nicht nur hier.
Ich will unterstützen, ich will, dass meine Lernenden die Lernziele kennen und lege im Schulalltag viel Wert auf die Kommunikation der Bewertungskriterien. Aber jede Minute zu strukturieren, das liegt mir nicht besonders, schon gar nicht aus Prinzip. Und ich habe auch keine Lust, zu viele Aktualitäten der didaktischen Reduktion zu opfern. Wenn ich nicht ein paar Themen anreisse, komme ich nie dazu, Zusammenhänge zu schaffen.
Reflektiv muss ich zum heutigen Abend und sagen: Ich habe viel vorbereitet, ich habe Gutes erreicht, ich habe Nützliches erfahren und wirklich pfiffige und coole und wohlwollende Kolleginnen und Kollegen in diesem Kurs. Doch ist es mit diesem Schauunterricht ein wenig wie beim Sex: Man kann ihn auch zerreden.

andere Tage

Nicht alle hatten gestern Weltbuchtag, es gibt schliesslich noch andere zu begehen, Geburtstag, Buss- und Bettag, St. Georgs-Tag, pädagogischer Tag oder Jazz-Tag.
Es hat was, Coltrane erinnert auch mich an Krankheit, er ist mir musikgewordene Migräne. Aber wollte er überhaupt etwas (anders) sein? Jedenfalls ist er der attraktivste Mann, den ein Plattencover je gesehen hat, thanks, Else, for reminding me.