Der Chaschte verschwindet

Heute beginnt die Mani-Matter-Ausstellung im Landesmuseum in Zürich.
Gerne erinnere ich mich an das Lied von Mani Matter, das ich wohl am meisten gesungen habe, vor allem als Schlaflied für Kinder, die ich hie und da und dort in Obhut hatte. Es hat immer allen gefallen. Auch die, die kein Deutsch konnten oder geistig behindert waren, wollten es wieder und wieder hören. Und heute passte es auch ganz gut zur Meldung von Mladics Verhaftung.
Ich weiss weder, woher ich das Lied kenne, noch wie Mani Matter die Strophen aufgeschrieben hat und ich möchte es auch gar nicht wissen. Ich zitere aus dem Gedächtnis:
Usemene lääre Gygechaschte zieht er sys Inschrumänt
u der Chaschte verschwindet.
Är singt ohni Boge es Lied ohni Wort
u är treit e Zylinder aber drunder ke Chopf.
U ke Hals u ke Liib weder Arme no Bei
das het er alles verloore im Chrieg.
U so blybt no sys Lied
nume das isch no da
wüll ou e Zylinder
het er nie kene ghaa.

Buchnews

Es kommt ab und zu vor, dass mich jemand auf die Tatsache anspricht, dass ich hier nicht (mehr) über Buchhandelsentwicklung oder Buchpolitik schreibe. Nun ist es einfach so, dass ich dazu meistens keine Lust habe, weil die Entwicklung ziemlich absehbar ist: Amazon verkauft mehr E-Books, Borders ist Pleite, Barnes and Noble wird in Kürze offiziell ein Übernahmeangebot annehmen, bei Thalia wird der Umsatz weiter von den Läden in den Onlineshop wandern und die Buchpreisbindung wird auch einmal den Weg alles Irdischen gehen. Überraschend ist nur, dass es trotzdem immer wieder Menschen gibt, die in der Buchbranche aufgehen, gar gegen jeden gut gemeinten Rat Buchberufe erlernen, und sogar neue Verlage und Buchhandlungen gründen. Und diese Entwicklung scheint mir viel erwähnenswerterter.

Lesefluss

Meine Vorsätze fürs Jahr waren, mehr Röcke zu tragen und die Titel der Bücher zu notieren, die ich 2011 lese. Ersteres ist – auch dank Klimawandel – gut erfüllbar und bewährt sich. Das Zweite geht nicht so recht. Gemäss meinen Aufzählungen im Buchtagebuch hätte ich bis jetzt siebzehn Bücher gelesen (Comics, Gedichtbände und Kinderbücher u.ä. zählen nicht). Das fand ich mickrig, denn ich lese wieder eher mehr Bücher, also weniger online und Zeitungen und Zeitschriften als vor einem Jahr.
Also bin ich der Sache nachgegangen. Ich kann mich ungefähr einen Monat an konkrete Titel erinnern, danach verschwimmt alles: Inhalte und Emotionen aus den Büchern fliessen dann neben mir her in einem breiten Fluss, dessen Zuflüsse längst vereint.
Ich notierte offenbar nur die Titel im Buchtagebuch, die mindestens einmal vor meinem Bett lagen. Die anderen gingen unter. Letzten Monat waren dies:

  • Wolfgang Hässner, Anna Achmatowa (vergriffene Rowohlt-Monographie, gelesen auf dem heimischen Balkon im Zusammenhang mit dem Stalin-Epigramm, das ich hingegen notiert da im Bett gelesen habe)
  • Arno Geiger, Der alte König in seinem Exil (gelesen in einer Mittagspause und bei einer Aufsicht)
  • Däpp/Trachsel, Vom Traum, reich zu sein (gelesen im Zug)
  • Das Bücherlesen ist eine merkwürdige Tätigkeit. Eigentlich verständlich, dass es vielen suspekt ist.

    Wie es gerade so läuft

    Beruflich – in der Schule – läuft es im Moment wie am Schnürchen, auch wenn es viel ist und ich noch nicht die Anzahl Anmeldungen habe, die ich fürs neue Schuljahr haben sollte. Doch viel anderes nahm in letzer Zeit und auf wundersame Weise die gewünschte Wende. Nur meine letzten schriftlichen Arbeiten (interne Papiere) sind eine Katastrophe. So schlimm sogar, dass der Mann meine Schreibe nicht erkannte – obwohl er wirklich ein versierter Gegenleser verschiedenster meiner Erzeugnisse ist. Anstatt die Papiere nochmalundnochmalundnochmal zu überabeiten, übe ich jetzt, mich damit abzufinden.
    In der Familie gibt es ebenfalls keinen Grund zur Klage. Ausser vielleicht gestern nach Mitternacht, als das Kind fast eine Stunde verschwunden blieb, weil es im Tiefschlaf mit dem Tram so lange Runden drehte, bis es im Depot geweckt wurde. Ich bemühe mich wirklich redlich, kein Helicopterparent zu sein. Doch wenn alle Jugendlichen, die zusammen im Ausgang waren, längst daheim sind nur das eigene Kind nicht, wäre ein angestelltes Handy eine lebenserhaltende Massnahme (für die Mutter).
    Passend, dass ich im Moment Freuds Zur Psychopathologie des Alltagslebens lese, das erklärt das eine oder andere. Freuds Methoden und Schlüsse wurden Zeit meines Buchhändlerinnenlebens immer wieder mit neuen Büchern in Frage gestellt, trotzdem ist er mir noch nicht verleidet.
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    Rückblick auf KW 18

    (Auch nach 12 Jahren Schule gewöhne ich mich nur langsam an Kalenderwochen.)
    Diese Woche konnte ich alle meine (eins, zwei, drei) Jobs voll ausleben.
    Montag: Hatte ich eine lange Abteilungsleitersitzung, die ich vorzeitig verlassen musste weil ich Unterrichtet in zwei Klassen des 2. Lehrjahr hatte. Zum Glück machten die Azubis das meiste selber, im Moment refereieren sie über einen Prozess in ihrer Buchhandlung (Notenarbeit). Dieses Mal waren es Remittenden (Rücksendungen von Büchern zur Gutschrift). Für den Abend hatte ich einen kleinen, aber feinen Anlass für die erste Klasse, die den brandneuen Fachausweis Buchhändler/in machen wird, organisiert. Diese Pionierinnen – ein Pionier ist auch dabei – besuchen im Moment Module in verschiedenen Detialhandelsschulen. Sie werden erst 2012 für das letzte, buchhandelsspezifische Modul zu uns kommen, aber ich wollte die Klasse trotzdem einmal sehen und fragen, wie es ihnen geht. Es ist eine tolle Gruppe. Die meisten nehmen die Tatsache, dass ihre jetzigen Dozenten keine Ahnung vom Buchgeschäft haben, locker. Sie lernen motiviert die Bugetierung für Gartenbedarf im Aussenbereich oder befassen sich mit den Herausforderungen der Führung multikultureller Teams in Früchte- und Gemüserayons.
    Dienstag: Ordnete ich mit einer Klasse des dritten Lehrjahres das Sortiment der Prüfungsbuchhandlung Futura fertig ein. Wir setzten die Preise fest und schrieben die Warengruppen an, denn tags darauf war der erste Testlauf geplant. Mittags machte ich die Nachbearbietung zum Anlass vom vorherigen Abend (danken, Fragen klären, Chef informieren etc.). Dann wechselte ich wieder zur Grundbildung – diesmal zu der neuen für die Fachleute Kundendialog. Hier stand die Vorbereitung für die letzten zwei Bewerbungsgespräche (von Fachlehrpersonen) an. Dabei schloss ich erstmals in dieser Woche meine Bürotüre, um ungestört zu sein. Leider vergass ich das Telefon umzuleiten und hatte deshalb noch einen schwierigen Anruf zwischendrin.
    Mittwoch: Morgens um 8:00 Bewerbungsgespräch für einen neue Fachlehrperson aus dem Callcenter, danach letzte Vorbereitungen für den nachmittäglichen Testlauf der Azubis in der Prüfungsbuchhandlung. Kurz darauf ein Kapitalfehler: Ich beschloss, endlich wieder einmal eine normale, stündige Mittagspause mit abgestelltem Handy zu machen. Das entpuppte sich als freudsche Angelegenheit, denn es hätte für Mittag gar nicht gereicht. So kam ich nicht nur zehn Minunten zu spät zur Testprüfung, sondern liess meine Kollegin das Schulzimmer alleine umbauen. Zudem musste sie noch herumrennen und mich suchen, was mir furchtbar peinlich war. Die Testprüfung gelang trotzdem und die Azubis waren dafür dankbar. Abends habe ich das Schulzimmer alleine wieder in seinen ursprünglichen Zustand geräumt – immerhin.
    Donnerstag: Morgens um 8:00 Bewerbungsgespräch wie am Vortag, nachfolgend Sitzung für die Entscheidung und kurz darauf Information an alle internen Stellen. Danach zwei Telefonsitzung in Sachen Organisation der Abschlussfeier der Buchhändlerinnen und Buchhändler im Juli 2011 sowie Nachholtesttermine. Nachmittags Testlauf mit der zweiten Klasse des dritten Lehrjahres – dieses Mal ohne Verspätung, weder beim Umbau des Schulzimmers noch bei der Testprüfung selber. Abends wegen Demonstration fast eine Stunde Verspätung bei der Heimreise mit dem Tram – bzw. zwei Kilometer zu Fuss.
    Freitag: Ein Arbeitszeugnis schreiben, Notizen eines Austrittgespräches verarbeiten, drei Gespräche mit Lernenden des Buchhandels führen und je ein Telefonat mit einer Lehrfirma Buchhandel und Callcenter. Nachmittags Unterricht im ersten Lehrjahr Buchhandel mit dem enorm spannenden Thema Abschreibungen auf Büchern und dem Zusammenhang Warenwirtschaft und Bilanz. Aber die Azubis waren willig, ausser, dass in einer Klasse 100% ihre Hausaufgabe nicht gemacht hatten. (Wenn Hausaufgaben nicht benotet werden, werden sie in der Berufsfachschule nur von wenigen erledigt, damit muss ich leben.) Am Ende des Arbeitstages Freude über die Nachricht, dass die fotografische Autorenleistung von Stephan Vanfleteren im Ungerer-Du mit dem Nannen-Preis ausgezeichnet wurde. Ich hatte gehofft, diese grossartige Leistung beider Künstler – dem portraitierenden und dem portraitierten – nicht zu schnell in Vergessenheit geraten möge.
    Heute mache ich das bisschen Haushalt und schreibe ein Strategiepapier, das ich nächste Woche abgeben muss. Motivationsprobleme für beides sind offensichtlich – sonst würd‘ ich ja nicht bloggen.

    Teofila Reich-Ranicki

    Tosia 1920-2011
    Irgendwo gab es doch ein schönes schwarz-weisses Bild von der jungen Tosia? Letzte Nacht ist mir eingefallen, wo. Nachdem ich Frank Schirrmachers Nachruf auf Teofila Reich-Ranicki (1920 – 2011) gelesen hatte – bis dato wohl der einzig lesenswerte – habe ich das Buch hervorgeholt, aus dem die von Schirrmacher erwähnten Aquarelle stammen. „Es war der letzte Augenblick“ heisst es, es ist im Jahr 2000 bei der Deutschen Verlagsanstalt erschienen. Die Bilder sind von der jungen Tosia, der Text kam später für das Buch hinzu. Er stammt von Hanna Krall, die sich auf einmalige Art und Weise an die Erlebnisse hinter den Aquarellen herantastet. Es ist ein unspektakuläres Buch über das Warschauer Getto – die Hinterlassenschaft eines leisen, gescheiten Menschen. Teofila Reich-Ranicki kannte keine andere Heimat als die fünf Jahre der Verfolgung und Flucht, sie bleib wie viele eine Überlebende und definierte ihr Dasein auch so. Aus Tosias Aussagen und Bildern wie aus der Beschreibung Marcel Reich-Ranickis seiner Frau in „Mein Leben“ lernen Nachgeborene, was es heisst, wenn der Krieg einen Menschen ausmacht. Es erscheint mir deswegen wenig angemessen, ihr Ruhe in Frieden zu wünschen.

    Erinnerungen an 1986

    Heute habe ich Fotos von 1986 gesucht, weil ich wissen wollte, wie meine Welt damals aussah. Ich erinnere mich, dass mich der eiserne Vorhang, die Aufrüstung und besonders Tschernobyl beschäftigt und wohl auch politisiert haben, dass ich dennoch bei McDonald’s arbeitete, dass ich gerade mit der Rudolf-Steiner-Schule fertig wurde und dass ich mich auf verschiedene Lehrstellen bewarb, die etwas mit Kunst (Galerien, Kunsthändler, Theater) oder Lesen (Buchhandlungen, Verlage, Zeitchriften, Zeitungen) oder Recht (Gerichte, Anwälte) zu tun hatten. Bilder von 1986 habe ich keine gefunden, dafür eine längere Notiz zum Thema Schutz geistigen Eigentums. Vermutlich habe ich mir da erstmals darüber Gedanken gemacht. Das war ja noch vor Internet, aber passt im Rückblick doch ganz gut zu meinen damaligen beruflichen Überlegungen. Vielleicht stand auch etwas zum Copyright in der Tagespresse, weil die Berner Übereinkunft gerade 100 Jahre zurücklag. Ich habe seither oft darüber diskutiert, viel gelesen – besonders im Internet – viel wieder vergessen. Trotzdem habe ich meine Überzeugung, dass jemand, der etwas erschafft, materiellen Nutzen daraus ziehen können sollte, nicht revidiert. Das Copyright scheint mir dazu ein geeignetes Mittel und weit demokratischer als Mäzenentum. (In meinen Notizbüchern komme ich mir übrigens immer sehr langweilig vor. 25 Jahre ziemlich die gleichen Interessen und Beweggründe und vermeintlich hohen Ziele. Es ist Zeit, wieder einmal Freud zu lesen.)
    Respect Copyright

    Auf Klassenfahrt!

    Morgen fahre ich mit einer Abschlussklasse nach Ljubljana. Dank der Feiertage fallen die Azubis in den Läden nicht lange aus (was die Buchhändler nämlich gar nicht schätzen), wenn auch am Ostersamstag und Weltbuchtag hoffentlich einiges läuft. Wir fahren mit dem Zug, was ich für die Abschlussreise auch ohne Aschewolke besser finde.
    Donnerstags besichtigen wir Stadt und Burg, am Freitag kriegen wir eine Führung durch die Buchhandlung Konzorcij und eine Einführung ins slowenische Verlagswesen (XING sei Dank). Am Samstag machen wir einen Ausflug entweder ins Barje-Moor, aufs Land um Rakitna oder ins Städtchen Bled. Vielleicht fahren wir auch ans Meer, falls es eine gute Verbindung gibt. Ostermontag werden wir in Zürich müde aus unserem Liegewagen kriechen und am Dienstag wieder Schule machen.
    Zum Lesen nehme ich mit:

  • Joseph Roth, Werke (immer noch)
  • Imre Kertész, Roman eines Schicksalslosen (Wiederlesen aus Gründen)
  • John Grisham, Die Akte (habe ich längst gelesen, aber meine Coiffeuse möchte sich über einzelne Stellen unterhalten, was ich schön finde.)
  • Zum Hören habe ich ein paar neue CDs aus Berlin eingelesen. So anachronistisch, dass ich neben Büchern auch noch Tonträger kaufe, bin ich halt. (Sogar Vinyl haben wir nach Hause genommen und wie jeder Plattenfan weiss, sind nur Eier heikler). Was für Läden, was für eine Auswahl, was für ein Luxus!
    Von stiller has habe ich auch noch einige Lieder transferiert, z.B. „St. Veit“. Da kommen wir auf dem Weg nach Slowenien nämlich vorbei, da kommt der Has mutterseits nämlich her.
    Wundervolle Ostertage allerseits.

    Schlaf > Blog

    Ich habe schon oft darüber nachgedacht, weshalb ich nicht mehr dazu komme, hier einen Reiserückblick zu machen. Ich beobachte nämlich gerne und mache unterwegs viele Notizen und Fotos, die an sich schnell verarbeitet wären.
    Gerade Berlin wäre so schön zum Verbloggen, diese architektonisch hässliche Stadt, in der niemand etwas suchen muss, weil Berlin früher oder später jeden findet. Ich brauchte kaum was dazuzutun, landete im Chaos des Mauermarktes, ass in Kreuzkölln bei Jimmy Woo laotisch (glaub ich), bei Manuela’s am Landwehrkanal die feinste Paella Negra und in einem schummrigen arabischen Hinterzimmer am Mehringdamm eine Menge Dinge, die ich nie bestellt hatte. An die empfohlenen Places to be wie „Ä“ oder „Wohnzimmer“ bin ich ohne Mühe gekommen, wenn auch wegen überfüllt nicht eingekehrt. Und an die drei Buchhandlungen, die ich gerne sehen wollte, bin ich fast zufällig geraten: Walther König auf der Museumsinsel, Hundt, Hammer, Stein und Lehmanns.
    Aber: Ich brauche mehr Schlaf. Das führt zu weniger Bloggen. Freiwilliges Lesen und Schreiben geht bei mir immer zu Lasten von Nachtruhe oder Mittagspause, wie jetzt.