Widerstände

Zwischen Auffahrt (dt. Himmelfahrt) und Pfingsten hat die Volksschule hier meistens Landschul- oder Projektwoche. Eher auf kollegialen Druck denn aus freien Stücke hat das Kind „Elektronik“ belegt. Der Lehrer und ehemalige Elektriker, der die Projektwoche geleitet hat, brannte für das Thema. (Und mein Verdacht, dass Projektwochen wohl der beste Platz sind für brennende Lehrer ist jedenfalls nicht widerlegt worden.)
Täglich hat das Kind begeisterter von Transistoren, Stromrichtungen, Schaltungen, Widerständen und vom Löten erzählt. Mir hat sehr gefallen, wie zielorientiert hier gearbeitet wurde und wie sehr die Jungs auch abends noch bei der Sache waren. Ich selber hatte die Ohm ziemlich vergessen und mich nur noch erinnert, einmal eine ganze Reihe Widerstände in Regenbogenfarbreihenfolge auf eine Jeansjacke genäht zu haben. Für die Teilnahme an einer Friedens- oder Abrüstungsdemo. Das Kind schüttelte den Kopf und meinte in einem Ton zwischen Abgeklärtheit und Belustigung, der sonst mir vorbehalten ist: „was iiiihr damals nicht alles gemacht habt…“
Projektwoche Elektronik

Rätselhaftes Deutschland

Es gibt viel Rätselhaftes an Deutschland und den Deutschen für uns. Und es ist schon genug darüber geschrieben worden. Gemessen an der unspektakulären Rollenverteilung sogar zuviel. Deutsche finden Schweizer nett bis niedlich und sich selber besser. Schweizer finden Deutsche nett bis überheblich und haben an der eigenen, höheren Qualität keinen Zweifel. (Ich nehme mich nicht aus und habe einige bescheidene Erfahrung in zwei Berufen, in die seit über zehn Jahren sehr viele Deutsche einwandern.)
Als Deutschschweizerin muss ich mich ohnedies mit Deutschland beschäftigen, denn ich lese Deutsch: 90% der Bücher, ein Grossteil der lesbaren Zeitungen und Zeitschriften sowie 90% deutschsprachiger Blogs und 99% anderer Communitys, mit denen man sich internett in der „Muttersprache“ unterhält, sind nunmal aus Deutschland. Folglich ist meine Perspektive automatisch deutscher als die von Deutschen schweizerisch sein könnte.
Was ich trotz all der Abermillionen in mich hineingelesenen deutschen Buchstaben nicht verstehe, ist deutsche Politik.
In der Schweiz ist die Anpassung von Gesetzen an neue Gegebenheiten ein vertrauter politischer Prozess. Er wird häufig unsachlich gesteuert, er birgt meist mehr emotionale Aspekte als vermutet und er dauert. C’est tout. Der Prozess führt aber kaum dazu, dass persönliche Angriffe über Tage und Wochen undifferenziert multipliziert und möglichst ausgebaut werden.
Oder bin ich betriebsblind? Hanflegaliserung, Heroinabgabe, Ausländergesetze, Verwahrungsinitiative und sogar die Buchpreisbindung (dieser Nebenschauplatz): ganz schön emotional und unsachlich. Aber doch nicht immer und überall unter die Gürtellinie der Leute, die – ziemlich absehbar und gradlinig – den Willen ihrer Wählerschaft erfüllen.
Es ist nicht mein Mitleid mit den Politikerinnen und Politikern, sondern eher eine Frage, die mich umtreibt: Geht politische Debatte ohne minimalen gegenseitigen Respekt? Ohne das Abkommen, nicht ständig auf den Mann oder die Frau zu spielen?
Vielleicht kann halt doch erst die nächste Generation „Gesetz im Zeitalter des Internets“ so diskutieren, dass etwas anderes dabei herausschaut als Politik- oder Generation2.0-Bashing.
(Doch die Schweiz wird dazu nichts beitragen. Denn wenn Ben Vautiers art claim von 1992 irgendwo passt, dann aufs Internet: la suisse n’existe pas.)

Unterrichtsbeurteilung 2009

Unser Unterricht wird mindestens jedes zweite Jahr von den Lernenden in einer Umfrage beurteilt. Wir Lehrpersonen kriegen dann die Rückmeldung mit Balkendiagrammen und persönlichen Bemerkungen. Das Prinzip mit „immer/oft“ (positiv) „selten/nie“ (negativ) haben wir seit jeher. Nicht unbedingt, weil es völlig überzeugt, sondern damit alle ihre Daten gut vergleichen können.
Neu müssen die Lernenden wenn sie „selten“ oder „nie“ ankreuzen, zwingend das Bemerkungsfeld ausfüllen, was mir viel hilft. Da bei uns die Bemerkungen mit dem Namen der Lernenden versehen sind (automatisch, durch das Einloggen bei der Befragung), finden das nicht alle Befragten gut. Anonymität in Ehren – doch meine persönliche Erfahrung ist, dass ich mich als Lehrerin nicht gut verbessern kann, wenn ich keine Adressaten für Fragen habe. Denn manche Bemerkungen sind einfach nicht klar genug oder müssen persönlich und nicht in der Klasse besprochen werden. Z.B. „ich habe das Gefühl, wir kommen mit dem Stoff nicht durch…“ oder „ich bin bei Ihnen schlechter als bei anderen Lehrern …“
Aber ich glaube, ich hatte noch nie eine Unterrichtsbeurteilung mit so einheitlichen Ergebnissen wie in diesem Jahr. Bei 288 beantworteten Fragen (durch 38 Lernende) habe ich nur zwei „selten“ bekommen. Dass die Hälfte den Unterricht „immer“ abwechslungsreich findet, ist auch ziemlich schmeichelhaft.
Besonders gefallen mir die persönlichen Bemerkungen. Hier eine Auswahl:

  • Wenn ich im Unterricht den Hut auflassen dürfte, wäre es ein „immer“. (Bemerkung zur Frage, ob die Lehrperson für ein gutes Unterrichtsklima sorge.)
  • Wenn jemand eine Frage hat und Frau Messerli sie nicht beantworten kann, schreibt sie es sich auf und beantwortet die Frage beim nächsten Mal. Das macht nicht jede/r Lehrer/in!!!
  • Am Unterricht verbessern: Die Proben ein bisschen verständlicher verfassen, nicht um alle sieben Ecken fragen.
  • Es herrscht eine angenehme Lernatmosphäre. Fragen werden immer beantwortet. Auch die Gruppenarbeiten machen Spass und helfen auf andere Art, den Stoff zu verinnerlichen.
  • Viel von dem, was im Unterricht durchgenommen wird, kenne ich bereits von meinem Alltag und es ist eigentlich nur Repetition.
  • Die Sachen, die wir durchnehmen, sind für den Berufsalltag sehr nützlich. Mit Frau Messerli können wir auch über unsere Erfahrungen im Laden reden und Tipps holen.
  • Die Auffahrtsbrücke

    ist ein Zankapfel im Schulwesen. Wenn man am Freitag nach Auffahrt normal Unterricht macht, erstickt man als Schule in den Dispensationsgesuchen, weil dieser Tag – normative Kraft des Faktischen – vielerorts zu einer Art Nach-Feiertag mutiert ist. Wenn man den Freitag „überbrückt“ und schulfrei macht, kriegen alle Lehrpersonen, die freitags Unterricht haben, diese Stunden vom Lohn abgezogen, weil’s ja eben kein echter Feiertag ist. Wenn man die Brücke akzeptiert, aber den Unterricht in der Ferienzeit vor-oder nachholt, kriegt man wieder ebensoviele Gesuche.
    Bei uns ist im Moment Variante Auffahrtsbrücke mit Abzug für Freitagslehrpersonen. Ich gehöre zu denen, bin aber um die Brücke froh. Punkt 19.00 Uhr am Samstag war ich mit dem Korrigieren und Kreieren der letzten Prüfungsfragen aller Branchenkundefächer fertig. Das ergibt einen freien Sonntag, den ich ohne Auffahrtsbrücke nicht gehabt hätte. Ausserdem konnte ich endlich wieder einmal Nicht-Dringendes angehen:

  • Mich um Neuerungen für unser Steinzeit-Forum kümmern
  • Das Kind von neuer Zahnbürste und Turnhose überzeugen
  • Wunderschöne, alte Tischtücher benutzen, waschen und bügeln
  • Mein Handy-Abo ändern
  • Die Hillerman-Krimis nach Erscheinungsjahr des Originals ordnen
  • Den Balkon einweihen (neuer Balkontisch, Grill, schattenspendene Pflanzen einpflanzen)
  • Schönen Sonntag noch!

    Ermahung am Wegesrand

    Ermahnung zwischen Blausee und Kander
    Das ist das Schöne an Wanderwegen: Die Aufrufe für den Wanderer, die ihn – falls er’s bis zur Stelle noch nicht getan hat – zur inneren Einkehr ermahen. Vielleicht ist das berndeutsche Wort „I-chere“ eine Antwort darauf. Es bedeutet eine kleine Pause vom Reisen, nämlich den Besuch in der Gastwirtschaft.
    Diese Tafel steht an einem Weg, der genau zwischen dem Blausee und der Kander verläuft.

    Stundenplanung

    halte ich für die anspruchsvollste Planung im Schulalltag. Wer denkt, das sei eine rein logistische Übung, irrt. Denn bei der Stundenplanung kommt alles zusammen: Alle Reformen, alle örtlichen, zeitlichen und personellen Herausforderungen. Zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Stundenplans muss von Veränderungen in Lehrplänen bis zum Einsatzplan der Putzequipe alles überlegt sein.
    Bei uns läuft es so, dass die Abteilungsleiter die Kriterien festsetzen, nach welchen geplant werden muss. Danach setzen sie zusammen mit dem „Stundenplaner“ (einer Stabsstelle) die Prioritäten in ihrem Kriterienkatalog.
    In die Berufsfachschule kommen die Lernenden ja nur zwei Tage in der Woche und teils von weit her. Ich achte natürlich darauf, die Schultage pro Lehrjahr so festzusetzen, dass sie für die Lehrfirmen stimmen, vor allem weil viele Lehrfirmen ja Lernende in allen Lehrjahren haben. Denn gut und gern ausbilden tut nur, wer erträgliche Rahmenbedingungen hat. Uneingeschränkt entgegenkommen kann ich den Ausbildungsbetrieben aber nie, weil ich ja die Auslastung im Schulhaus bedenken muss.
    Die Lektionen von Fachlehrpersonen, die nur kleine Unterrichtspensen haben, muss der Stundenplaner zwingend so platzieren, dass es mit ihrer anderen Anstellung aufgeht, sonst kriege ich diese Leute nicht. Wenn also jemand alle drei Lehrjahre nur eine Wochenlektion unterrichtet, stehen wir bereits im Zielkonflikt zu einer guten Verteilung der Schultage (für Azubis, Lehrfirmen und Schulanlage).
    Und ich habe es als Abteilungsleiterin noch einfach, denn meine Abteilung ist klein. Und ich kenne die Buchhandlungen gut genug, dass ich schon im Winter einschätzen kann, wie viele Lehrverhältnisse es auf den kommenden Sommer geben wird und wie viele Klassen ich dann haben werde. In anderen Abteilungen schwitzt man Blut, weil manchmal noch im Juni noch eine neue Klasse eröffnet werden muss, die ihrerseits Lehrpersonen, Unterrichtszimmer, Turnhallen und PCs braucht.
    Das hier Erwähnte ist natürlich nur die Spitze des Eisbergs. Aber der Eisberg ist für Nicht-Stundenplaner auch uninteressant. Das merkte ich immer dann besonders gut, wenn ich auf Klagen, der Stundenplan sei schlecht, erklärend antworte. Deswegen beschränke ich mich inzwischen darauf zu wiederholen, dass jeder durchgedrückte Einzelwunsch den Stundenplan verschlechtert. Manchmal den von einzelnen anderen, manchmal sogar den Gesamtstundenplan. Aber auch das Umgekehrte ist wahr:
    Jeder Verzicht auf Stundenplanwünsche verbessert den Stundenplan für alle.

    Mangel an Reflexionsfähigkeit

    In den letzten vierzehn Tagen hatte ich so viel Dringendes, dass ich nur noch Post auf Schulbuch auf Klassenlisten auf Fachzeitschriften auf Verordnungen auf Stundenplanentwürfe auf Literaturzeitschriften auf Prüfungsserien auf Notentabellen auf Leseexemplare auf Notizzettelberge gelegt habe, bis ich Ende letzte Woche die Übersicht im Büro gänzlich verloren hatte, was selten vorkommt.
    Heute Morgen früh ist der Mann mit mir in die Schule gefahren und hat mir beim Aufräumen und bei der Abstufung der Dringlichkeiten geholfen. Am Nachmittag war ich mit Nichten und Neffen bei Regen im Freibad.
    Abends habe ich mit dem Kind eine Hausarbeit über Gartenerbsen (von der Verpackungsbeschreibung bis zur Zubereitung) beendet. Eine konfliktreiche Angelegenheit, weil ich einfach nicht einsehen konnte, weshalb man Dinge vierzehn Tage nur herumstapelt und am Ende sonntags langwierige Unterstützung braucht, um am Montag die Woche überhaupt einigermassen geordnet anfangen zu können.

    Schreibtischzustand

    Die Raben sollen die Tauben vertreiben
    Leben bringt Durcheinander. Das meiste hier brauche ich gar nicht und schon gar nicht auf meinem Schreibtisch. Links ist die Ecke einer Vorschau des bernischen Schulverlages zu sehen. Es hat da drin ein keckes Editorial über Fehler, welches ich schon lange verbloggen wollte. Oben dran liegt die Bundesratsgrusskarte des laufenden Jahres, nur ist eben nicht die Landesregierung, sondern der Kidswest-Bundesrat abgebildet. Die möchte ich versenden. Meine schwarzen Notizbücher habe ich gern in der Nähe und das Post-it mit der Erinnerung, den Monteur anzurufen, muss ich mir vor Augen halten. Die Rüebli ess ich, das Wasser trink ich. Das Mitteilungsblatt der Partei habe ich schon gelesen, es liegt mehr als Reminder (Versammlung? Adressverwaltung?) da. Den iPod und meine lezten Tickets im Abo für das Kindertheater würde ich besser anderswo lagern. Und ja – das Datum auf meinem französischen Kippkalender stimmt nie, der klemmt.

    Werkstau

    In drei Bereichen komme ich nicht vorwärts:
    Mündliche Prüfungsfragen: Es sind einige Seiten von der gegenlesenden Expertin zurück gekommen, die ich noch einmal überarbeiten muss. Sollte vor Auffahrt passieren, schaff ich aber wohl nicht. Vielleicht habe ich ein inneres, jährliches Prüfungsfragenkontingent, welches nun einfach ausgeschöpft ist.
    Adressänderungen: Ich kriege einen Haufen davon: privat, aus der Branche, auf Vereinen und Verbänden, in die ich irgendwie involviert bin, aus Arbeitsgruppen oder Politik betreffend. Und wenn ich das nicht umgehend erledige, kann ich mich nicht mehr aufrappeln (weil’s irgendwann zu viele sind).
    Fundraising, administrativen Begleiterscheinungen: Fundraising und Sponsorengewinnung ist nichts, was mir Mühe bereitet, im Gegenteil. Gerade im Buchhandel, wo mir die Leute vertrauen, ist das eigentlich eine schöne Arbeit. Doch die dazugehörige Administration ist manchmal schwierig in Angriff zu nehmen: Adresslisten, Bettelbriefe, Dankesbriefe, Dankestelefonate, Einzahlungsscheine, Belege für die Spenden… Das ist der Bereich, in dem ich mich am meisten dafür bemitleide, ausgerechnet in die Generation ohne Sekretärin zu gehören (denn ich bin ziemlich sicher, dass die nächste wieder nach einer solchen verlangen wird).
    Aber ich will nicht lange klagen, denn es gibt vital Erfreuliches: Die Testprüfungen der Abschlussklassen sind gut verlaufen, was ein Hinweis auf einen pannenfreien und für alle eträglichen Prüfungsablauf (im Juni) sein sollte. Und die Anmeldungen für die neuen Klassen (ab August) liegen im grünen Bereich, was heisst, dass ich die Lehrpersonen, denen ich eine Anstellung fürs nächste Schuljahr in Aussicht gestellt habe, auch wirklich beschäftigen kann.