leggi guarda ascolta vivi

Jedesmal, wenn ich mich im Tessin und im Grenzgebiet Italiens aufhalte, ist es mir äusserst peinlich, kein Italienisch zu sprechen und kaum etwas davon zu verstehen. Wohlgemerkt, ich spreche keine Fremdsprache richtig gut, schon Hochdeutsch – „Die Standardsprache“ wie das im Schuljargon heisst – ist mir eine lebenslange Herausforderung.
Mich nur knapp bedanken und entschuldigen zu können ist wirklich zu wenig in einer Sprache, die in der Schweiz so häufig gesprochen wird und für welche sich eine Bernerin ganz gewiss nicht die Zunge verdrehen muss.
Als Kind habe ich Italienisch gut verstanden, es war phasenweise die dominante Sprache auf dem Spielplatz im Gastarbeiterquartier und unsereins fuhr auch regelmässig zum Zelten nach Italien. Aber behalten habe ich nichts, mein indisches Englisch und mein ständiger Kampf mit dem Französischen haben das Italienische verdrängt.
Bei diesem Regenwetter ziehe ich durch die tessinerischen und italiensichen Buchhandlungen und freue mich, dass Italienisch zu einer solch enormen Buchvielfalt führt, obwohl es mit 70 Millionen Muttersprachigen kein besonders grosses Zielpublikum hat. Die kleinen wie grossen Buchhandungen sind gut besucht. (Die Websites vermitteln eher das Bild, nicht gebraucht zu werden. Ob sie so aussehen, weil sie nicht nötig sind oder ob sie nicht genutzt werden, weil sie nicht viel taugen, bleibt mir verschlossen, weil ich ja niemanden fragen kann; s.o.)
Ich sehe aber dieser Tage bei Rizzoli, Casagrande, bei der Libreria del Mare oder dei Ragazzi, bei Feltrinelli und bei Mondadori, dass wir deutschsprachigen Buchmenschen uns nicht allzuviel auf unseren Markt einbilden sollten und dass auch Frankreichs publizistische Leistung im Vergleich zu relativieren wäre. Dass sich der englischsprachige Markt gemessen an seiner Potenz nicht gerade in der Hochblüte seiner Vielfalt befindet, ist ja leider eine schon zehn Jahre lang erkannte Tatsache, gegen die nur wenige etwas zu unternehmen wissen.
Bei der Buchhandlung Voltapagina in Lugano steht im Schaufenster zwischen vielen bunten Kinderbilderbüchern und Lehrmitteln „Zündel se ne va“ („Zündels Abgang“) von Markus Werner. Ich frage mich einen Augenblick, ob der wohl gestorben sei. Ich beschliesse, dass er viel eher in der Nähe eine Wohnung hat und der Buchhändlerin einfach sympathisch ist.
(Der Titel ist von einer Leuchtreklame von Mondadori in Milano geklaut und heisst: „lies, schau, höre, lebe.“)

Unbekannt vorbildlich: Rosa Neuenschwander

Mein buchändlerisches Vorbild wurde vor 125 Jahren, am 3. April 1883, geboren. Obwohl es nicht viele gibt, die die Berufsbildung wie sie beeinflusst haben, ist sie heute nahezu unbekannt. Dass sie eine Frau war, gereicht ihr sicherlich nicht zum Vorteil, in Erinnerung zu bleiben. Aber die Bildung ist in der Schweiz auch sonst eine sehr kollektive Angelegenheit, Fehler und Erfolge werden gleichmässig auf alle verteilt. Ausser Pestalozzi brachte es kaum jemand zu Berühmtheit, die Schulhäuser heissen eher nach uralten Humanisten, nach Musikern, längst vergangenen Autoren oder nach Quartieren denn nach Leuten, die sich in den letzten hundert Jahren um die Bildung verdient gemacht haben. Für die Berufsbildung gilt das ganz besonders. Reformen und Expertisen wurden damals wie heute ehrenamtlich gemacht. Als Grund wird oft Unbestechlichkeit angeführt, aber wichtiger ist meines Erachtens, dass Neuerungen auch in Zeiten der Budgetkürzungen nicht gefährdet werden, weil die Umsetzung bei Idealistinnen und Idealisten liegt, die sich weit über jedes Gehalt hinaus mit ihren Berufen und den Menschen, die darin tätig sind, identifizieren. Wie eben Rosa Neuenschwander.

Rosa Neuenschwander, Dünnes Heft der Erinnerungen

In den letzten beiden Nummern unserer Schulzeitung Pegasus gab es ein Portrait von der Buchhändlerin, die auch die Verkäuferinnenlehre und die erste Detailhandelsschule begründet und als erste Frau eine Rede auf dem Münsterplatz gehalten hat. Ich finde stürmische Ostertage sehr geeignet, um etwas über eine von ihren Verdientsten an der Frauenbildung her Unvergleichliche zu lesen.

  • Denken, Planen, Danken: Teil 1
  • Denken, Planen, Danken: Teil 2
  • Der Dank für die beiden Artikel gebührt meiner Mutter.

    Indigene der Boxenförderbahn

    (Vier Tage nichts gebloggt, huch! Wenn ich viel herumreise, komme ich irgendwie aus dem Trott. In der Schweiz sind zwar die Reisezeiten kurz, aber zwischen den Kantonen zu switchen ist nicht immer einfach und der Dialekt nicht das Einzige, was sich ändert.)
    Gestern hatte ich meine alljährliche Exkursion ins Schweizer Buchzentrum mit dem neuen ersten Lehrjahr. Habe ich schon einmal erwäht, wie gut mir die Personifizierungen in den Erklärungen gefallen?

    Ich kann zwar die Erwartung für Rayon 18 errechnen, aber wenn Rayon 18 dann sagt „ich bin voll“ ist das nicht mehr meine Sache. Es teilt das einem unserer 38 hochsensiblen Scanner der Boxenbahn mit und sofort weiss jede Box, die etwas von Rayon 18 will, dass sie nicht abbiegen kann, sondern noch eine Runde drehen muss, bis sich der Stau gelöst hat.

    Für Anschauungsunterricht in Animismus braucht man nicht unbedingt in Busch und Steppe zu gehen. Bei den Indigenen in Buchzentren und Bibliotheken kann man schon viel lernen.

    Boxenförderbahnstart

    Wann ich mich alt fühle

    Wenn jemand in einer Kommunikationsgruppe völlig zu Recht und aus purer Notwendigkeit erklärt, wie Mailen geht und ich daraufhin sage, ich hätte dazu noch einen Multiple-Choice-Test zur Unterscheidung von An/Cc/Bcc, falls das jemanden interessiere und ich die Datei schliesslich nicht etwa im Büro, sonden in den Niederungen meines schlecht betreuten Privatarchives finde und feststelle, dass das Dokument neun Jahre alt ist und für meinen damaligen Arbeitsplatz – eine Buchhandlung – gemacht wurde von jemandem mit meinem Namen, an den ich mich nur schwach erinnern kann.

    Kannt, Fuckoh, Rambo

    Das ist wohl die wortwitzigste Polemik (Dank den freien Lektorinnen für den Hinweis), die je über die Missverständnisse im Buchhandel geschrieben worden ist und auch die Kommentare lohnen der Lektüre. Kundenblüten ebenso wie buchhändlerische Bildungslücken sind seit Ewigkeiten für Lacher gut.
    Warum ärgere ich mich dann?
    Es gibt zahlreiche Buchhändlerinnen, die nicht besonders belesen sind, es gibt zahlreiche Journalisten, die nicht speziell gut recherchieren können, es gibt PR-Leute, denen man nichts abkauft, Lehrerinnen, die zu spät kommen, Bibliothekarinnen, die keine Bücher verleihen mögen und Banker, die Milliarden in den Sand setzen. Die Welt ist aus individueller Sicht ganz allgemein sehr inkompetent.
    Mich enerviert, dass die Buchhändlerin von der Presse und darüber hinaus mit Vorliebe daran gemessen wird, ob sie Klassiker und Philosophen kennt. Ich kann dem werten Publikum aus erster Hand versichern, dass solche Fragen sich an einem durchschnittlichen Arbeitstag in einem allgemeinen Sortiment im 1%-Bereich bewegen. Es käme mir also sehr gelegen, wenn man den Buchhändlerinnen-Gütetest zur Abwechslung in eine andere Richtung lenkte.
    Vielleicht wüsste die Buchhändlerin, die nicht „Kant“, sondern „Kannt“ in die Suchmaske eingibt, in welchem Buch Mama Muh auf den Baum klettert und in welchem Petterson das Bein gebrochen hat und wie das Mädchen heisst, das sein Schweinchen „Teddy“ nennt. Vielleicht ist die Buchhändlerin, die anstelle von „Foucault“ nach „Fuckoh“ sucht, die, die schwer atmende Kunden am Telefon angemessen behandeln kann. Vielleicht hat die, die „Rambo“ anstatt „Rimbaud“ eintippt, das Adlerauge, das man braucht, um die zahlreichen von Kunden falsch eingeräumten Titel wieder zu finden. Und die Buchhändlerin, die die Rowohlt Monographie von Martin Luther King mit der von Martin Luther verwechselt, kann sieben Geschenke flugs ansehnlich verpacken und – ohne ein zweites Mal nachzufragen – unauffällig mit dem Namen der Beschenkten versehen.
    Auch wenn es schwer zu glauben ist: Die Buchhändlerin hat neben der wünschenswerten Kenntnis grosser Namen noch ein paar andere Kompetenzen, die dem Wohl der Kunden dienen.
    „Kannt, Fuckoh, Rambo“ weiterlesen

    Wohin nach der Lehre?

    Jedes Jahr machen ich, meine gute Kollegin und eine Sachverständige aus der Gewerkschaft einen Perspektivehalbtag für die Abschlussklassen. Dazu gibt’s von uns auch eine Linkseite, die wir laufend aktualisieren.
    Im ersten Teil stellen die Lernenden Fragen, die sie schon früher anonym eingegeben haben. Die gehen meist in eine ähnliche Richtung: Wie viel Geld brauche ich, um selbständig leben zu können? Darf ich an einem Bewerbungsgespräch etwas fordern? Woher bekomme ich gute Referenzen? Wie gehe ich mit der Konkurrenz aus meiner Klasse um, wenn wir uns auf die gleichen Stellen bewerben? Wie viel Sozialversicherung bezahle ich?
    Dann gibt es einen zweiten Teil in welchem wir längere und kürzere Laufbahnen vorstellen. Auch die, die ihr Fähigkeitszeugnis erst vor einem halben Jahr erhalten haben, schreiben uns ihre Erfahrungen im Beruf und im Leben. An den jungen Biografien haben die Abschlussklassen immer grosse Freude, weil sie ja zusammen in der Schule waren.
    Der Buchhandel in der Schweiz kennt keine Meisterlehre, es gibt keine schulische Tradition der Weiterbildung. Das wird meist bedauert, auch von mir. Allerdings hat es auch seine guten Seiten: seit Generationen bringen wir einander Neues bei.
    Ich habe noch nie erlebt, dass mir eine Buchhändlerin Informationen vorenthalten hätte. Auch heute, wenn ich jemanden – auch eine Verlegerin oder einen Zwischenhändler – etwas frage, weil ich nicht weiss, wie ich ein Thema anpacken soll oder wenn ich mit jemandem zu Aufklärungszwecken essen gehe: lauter offene Türen. Und wir reden dann eben nicht darüber, was das Gegenüber sowieso supergut kann, wie ich das oft bei anderen beruflichen Lunchs höre, sondern über das, was nicht geht, nicht rund läuft, wo Potential wäre, aber keine Zeit. Und überhaupt, was wir alles unterlassen haben und inskünftig in Angriff nehmen müssen und dass gute Bücher in der Regel immer noch nicht so richtig gut verkläuflich sind.
    Pespektiven 2008
    (Vielleicht gelten wir deswegen als Jammerbranche?)

    Diversifikation

    Diversifikation ist das, was den Nischen-Buchhandlungen gemeinhin geraten wird, wenn sie Existenzangst äussern. Auch ich lasse die Kunst der „Ausweitung des Waren- oder Produktionssortiments eines Unternehmens“ natürlich in den Unterricht einfliessen, wo ich kann.
    Allerdings halte ich immer noch am Schwerpunkt Bücher fest, weil ich der Meinung bin, dass wer ein Buch verkaufen kann, jedes andere Produkt auch losbringt. Denn Waren zu verkaufen, die sich mechanisch und äusserlich kaum voneinander unterscheiden – Waren, bei welchen der Verkäufer nur mit dem Inhalt trumpfen kann – Waren, die vom Käufer erst noch eine lautlose und unteilbare Eigenleistung erfordern bevor sie ihren Wert preisgeben – das ist anspruchsvoll.
    Aber eigentlich wollte ich etwas anderes notieren. Den neusten Diversifikationsbeweis aus einer Branchen-Nische. Seit Wochen suche ich eine geeignete Aufhängevorrichtung für den Adventskalender für meine noch ziemlich kleine Nichte. Falls sie an den Säckchen reissen würde, möchte ich, dass die Eltern diese höher hängen können. Falls sie das System „nur-ein-Säckchen-pro-Tag“ schon begreift, sollte das aktuelle Säckchen in Reichweite präsentiert werden.
    Bin ich im Bastelzentrum fündig geworden? Oder bei IKEA? Nein. In einer Buchhandlung.

    Kartenaufhänger -Adventskalender 2007

    Ich habe bei Weyermann einen erstaunlich stabilen und kostengünstigen Aufhänger für spirituelle Energiekarten erworben und der funktioniert wunderbar.
    Ich bin eine Buchhandelspatriotin, ich weiss.

    Trotz allem Klimbim…

    [Wie stark wird der Preiskampf in der Schweiz? Ist 29.90 (Weltbild) von Weltbild wirklich unmoralischer als 44.00 (die Unabhängigen)? Ist 77 Bände verschenken wie die Buchhandlung Rösslitor noch schlimmer? Dürfen-sollen-müssen Angestellte in der Harrypotternacht arbieten? Nein, die Chefinnen machen den Laden und setzen die Hexenhüte auf.]
    … ist die Harry-Potter-Nacht schön.
    Weil das alles wegen eines Buches passiert. Eines guten, gern gelesenen Buches.

    Wie es so geht

    Michael Krüger ist eine Grösse in der Buchbranche. Er ist nach einer Druckerlehere und einer Lehre als Verlagsbüchhändler 1968 bei Hanser gestrandet und geblieben. Heute ist er dort literarischer Leiter. Vielleicht feiert er sein Jubiläum nächstes Jahr mit einem neuen Buch. Autor ist er nämlich auch noch. Und Lyriker. Aber noch kein Zyniker – was in unserem Metier doch eher ungewöhnlich ist nach so langer Zeit darin.
    Als Krüger von der NZZ am Sonntag (7. Oktober 2007) gefragt wurde, ob er sich auf die Buchmesse freue, antwortete er:

    Ich sehe ihr mit gemischten Gefühlen entgegen. Man nimmt an einem Zirkus teil, den man in- und auswendig kennt. Ich werde wie an den letzen 41 Buchmessen viertausendmal den gleichen Satz sagen müssen: „Wie geht’s?“ Und ich werde diesen Satz auch viertausendmal hören. In verschiedenen Sprachen. Und ich werde immer ein gequältes Gesicht machen, das ausdrücken soll: Bitte nicht wieder diese Frage!

    Ein konsequenter Mann. Wie es so geht ist ein altes Gedicht von ihm. Eines von zweien, die ich richtig mag. Das andere heisst Mein Ohr und erzählt, dass einer davon gehört hat, die Geschichte der Fotografie sei zu Ende. Aber jetzt zurück zum einen:
    ***
    Es ist nichts passiert. Alles ist ruhig.
    Das Alfabet ist wieder in Gebrauch, das Einmaleins,
    der Dialog hat Konjunktur. Die alten Hüte,
    die alten Weissagungen, die alten Erscheinungen: alles
    sieht aus wie neu. Jeder hat seit gestern das deutliche Gefühl,
    dass es ihn gibt. Jeder kann sich sehen lassen. Jeder sieht jedem
    mit Interesse zu. Die stotternden Unterhaltungen
    sind verstummt, alles geht flüssig von der Hand, die intimen
    Entgleisungen gibt es nicht mehr. Das Dunkel wurde abgeschafft:
    Aphorismen beschreiben die Welt mit tödlicher Klarheit.

    ***
    Das ist die vierte und letzte Strophe. Vielleicht ist sie ihm wirklich an einer Buchmesse eingefallen. Allerdings hatte er damals noch nicht einmal zehn davon absolviert. Und doch schon genug. Aber nur im Gedicht. Ich sah ihn dieses Jahr wieder federnd vorbeilächeln und hörte ihn fragen wie es so geht.
    aus:
    Michael Krüger,
    REGINAPOLY
    Gedichte
    Hanser 1976