Gast von Ehre

Hand made
Im Netz ist mehr zur diesjährigen Frakfurter Buchmesse zu finden, als je gelesen und geschaut werden kann. Nur von den beiden wunderbaren Ausstellungen des Gastlandes wird online weniger gezeigt, als sie es verdient hätten.
Als überzeugte Promoterin des Wortes gegenüber dem Bild musste ich für die nachfolgende Slideshow über meinen Schatten springen. Es handelt sich dabei nur um meine persönlichen Schnappschüsse der indischen Handwerksausstellung und um die Ausstellung „TODAY’S INDIA“, an welcher Bücher aus und zu Indien und Ursprünge indischer Kommunikation in liebevoller, sorgfältiger Weise gezeigt worden sind:
India – Guest of Honour.

Messeschwerpunkt: Indien

Die Ergründung meiner besonderen Freude auf die Buchmesse hat vor allem zwei Ergebnisse ans Licht des Bewusstseins geführt:

  • Ich bin kleinkindlich veranlagt und freue mich besonders auf Dinge, die ich bereits kenne.
  • Ich möchte meinem Kind Indien näher bringen, weil ich in seinem Alter dort gewesen bin.
  • Fotos von dieser Zeit sind nicht viele vorhanden, die Kamera wurde bereits in der Türkei entwendet und der Agfa Click funktionierte als Ersatz mehr schlecht als recht, weshalb es mir an Anschauungsmaterial für meine Nachkommen fehlt. Aber Tschela, die heilige Kuh, die in Rishikesh neben Zeitungen auch noch mein spärlich vorhandenes Schulmaterial auffrass, war seit jeher beliebt beim Kind, besonders ihr Name. „Tschellah!“ ist Hindi (oder Marathi oder Gujarati oder Malayalam oder Tamil) und bedeutet „Hau ab!“.
    Indien 1979
    Mein Kopf hingegen ist voll von Indienbildern und es ist mir nie schwer gefallen, dem Land treu zu bleiben. Von Ferne. Nur einmal war ich in meinem Erwachsenenleben dort, auf der Durchreise nach Nepal. Aber eine gute Idee ist das nicht gewesen, viel mehr ein verstörender Zwischenhalt, den ich besser gemieden hätte. Indien wird für mich nie ein Ferienland werden.
    Doch die indische Buchproduktion ist mannigfaltig und die Verlegerschaft sehr charmant. Deswegen waren die beruflichen Zusammenkünfte mit Land und Leuten für mich immer eine angenehme Sache. Schillernde Dekoration, gradliniger Intellekt, rigorose Übertreibung und eine Prise Chaos werden dieses Jahr für ein besonderes Messeklima sorgen. Den Pressespiegel zu Indien macht übrigens Frau Odile Ostsee in der Literaturwelt ganz vorzüglich (Titel: „Was sich in Feuilletons und Literaturbeilagen über indische Literatur findet“) und das hr-spezial ist auch nicht ohne.
    Wie stets erscheinen viele Bücher im Zusammenhang mit dem Messeschwerpunkt. Mein Tipp ist klein, fein und äusserst preiswert: Indische Liebesgedichte; für die Besprechung mache ich einen separaten Beitrag.

    Verkaufte Seelen…

    … oder „Kleine Kulturgeschichte des Marketings anhand der Fachbesucher-Dauerkarte der Frankfurter Buchmesse“
    …oder „Von der Ignoranz tausendfacher Werbefläche über deren brancheninternen Verkauf bis zum Verkauf an den Totengräber“.
    Vorderseite vor 15 Jahren:
    Fachbesucherkarte 1991
    Rückseite vor 15 Jahren:
    Fachbesucherkarte 1991, Rückseite
    Vorderseite vor fünf Jahren:
    Fachbesucherkarte 2001
    Rückseite vor fünf Jahren:
    Fachbesucherkarte 2001, Rückseite
    Vorderseite heute:
    Fachbesucherkarte 2006
    Rückseite heute:
    Fachbesucherkarte 2006, Rückseite

    Vorbereitungen

    Ich stecke in dem Wäscheberg dem Erwerb von Socken und langen Unterhosen der Putzerei von Taubendreck an allen Fensterfronten der Produktion der Schulagenda Februar 2007 bis August 2007 den Vorbereitungen zur Frankfurter Buchmesse: Literaturbeilagen, Indien-Reportagen, Rezensionen, Klatsch, Tratsch und vor allem Betteleien um Goodwill für unsere Schule.
    Als Blogbereichterstattung zum Thema lege ich auch dieses Jahr die Literaturwelt nahe. Das alte Messeteam ist wieder da und ergänzt durch neue Köpfe.
    Und noch etwas für die Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer: Der Diogenes Verlag präsentiert pünktlich zum ersten Lehrerkongress auf der Buchmesse und zur Google-Print-Debatte die ersten Downloads zu seinen Klassikern. Zum Beispiel Alfred Andersch: Bibliografie zur Sekundärliteratur und Editorische Notiz und Seitenkonkordanz zu „Sansibar“.
    Ich melde mich vor meiner Abreise noch einmal mit dem Thema „Indien“.

    C’est la vie

    Gestern hatte ich eines von acht Referaten an einer Branchenveranstaltung. Ich hatte den Job bekommen zu erklären, weshalb aus Buchhändlern nicht – schnipp, schnapp – einfach Detailhändler werden können. Und dass man jetzt gerade so schön am Reformieren ist, macht die Idee auch nicht besser.
    Es war eher eine der undankbareren Aufgaben meines Berufslebens. Und natürlich kam ich am Powerpoint nicht vorbei. Gottlob konnte ich bei einer unbewegten Variante bleiben.
    Ich habe meinen Kolleginnen und Kollegen ans Herz zu legen versucht, dass das Buch neben dem konkreten Objekt eben auch ein abstraktes Objekt sei, weil wir ja die Bücher nicht hauptsächlich nach Titelbaltt auswählen, sondern nach Inhalten. Und weil wir höchstselbst auswählen und nicht unser Warenwirtschaftssystem, müssen wir Menschen ausbilden, die Inhalte mögen und motiviert sind, die Wahl jeden Tag neu richtig zu treffen. Ich habe die Detailhandelsfachfrauen befragt, warum sie als Zweitausbildung noch Buchhändlerin lernen, ich habe die Anzahl Lehrabbrüche in beiden Berufen geprüft und auch die Medianlöhne verglichen. Der Berufswunsch bei uns ist ausgeprägt, die Identifikation hoch, wir haben weniger abgebrochene Lehren als andere Verkaufsberufe und gleich wenig Lohn danach. Seit Februar begründe ich nun, weshalb eine angehende Buchhändlerin mehr als 80 Lektionen Branchenkunde auf drei Jahre verteilt braucht, weshalb sie etwas von Literatur verstehen sollte und weshalb Bibliografieren lernen seine Zeit braucht. Ich habe mich ans Ende meiner Kräfte argumentiert und mit Hilfe von anderen Fleissigen gestern eine Konsultativabstimmung gewonnen. Nicht rosig, aber immerhin eindeutig. Doch als ich im Zug nach Hause sass, befragte ich mich selbst dazu, ob das alles Sinn oder nur noch Wahnsinn ist.
    Und heute Abend habe ich einen Workshop zum Thema „Networking“ gemacht, weil ich von einer SP-Sektion dazu eingeladen worden bin. Alle waren sehr nett, alle waren top informiert und hatten mindestens so viel Ahnung vom Thema wie ich. Meine Vorbereitungen waren nicht nur unpassend, sondern schon fast lächerlich.
    C’est la vie, c’est la vie – wie das Kind zu sagen pflegt.

    Lehrabbruch

    Zuerst war die Lernende schulisch schwach, wir fingen sie auf. Dann war sie krank, ein Therapeut fing sie auf. Dann wurde sie entlassen, und ich half erfolglos bei der Suche nach einer neuen Lehrstelle. Seit drei Wochen ist sie nicht mehr erschienen.
    Auch wenn ich es nach Kräften zu vermeiden suche, ist das leider kein Einzelfall. Die Berufsfachschule ist ein Ort der Durchreise, die Auswahl der Lernenden treffen die Ausbildungsbetriebe, der Lehrvertrag wird zwischen ihnen und den Auszubildenden gemacht.
    Lehrabbrüche sind schwierig zu erfassen und eine Tatsache, mit der eine Fachlehrerin leben muss. Aber ich möchte mich nicht abhärten lassen und rufe mir jedes Mal, wenn wieder ein Platz in der Schulbank leer bleibt, die letzte Strophe eines Heine-Gedichts in Erinnerung:

    Es ist eine alte Geschichte,
    Doch bleibt sie immer neu;
    Und wem sie just passieret,
    Dem bricht das Herz entzwei.

    Ein Lehrabbruch, die Ursache für den Verlust der wichtigsten Perspektive in der Jugend, ist immer eine emotionale Belastung und wegen der Schuldfrage oft eine Zerreissprobe in Familie und Freundeskreis.
    Neben dem richtigen Umgang mit den Emotionen ist es für mich wichtig, die Zahlen zu kennen. Deshalb bin ich sehr froh um die neue Studie Lehrvertragsauflösung, ihre Ursachen und Konsequenzen. Ich kann sie allen an Berufslehren Beteiligten als Pflichtlektüre ohne Langeweile sehr ans Herz legen.
    Im Kanton Bern liegt die Anzahl der Lehrabbrüche bei 22%. Das ist zuviel, aber immerhin seit langer Zeit konstant. Der Buchhandel ist mit einer Abbruchquote von 12% aufgeführt, was mit meiner Erfahrung übereinstimmt. Uns kommt offenbar zu Gute, dass wir ein „hohes“ Niveau haben, weil in solchen Berufen weniger Lehren abgebrochen werden. Dazu profitieren wir offensichtlich davon, dass nur wenige ausländische Jugendliche diesen Beruf lernen wollen oder können, denn bei ihnen werden die Lehrverträge massiv häufiger gekündigt.
    Der erste Grund ist mit unserer tollen Arbeit im Buchhandel leicht erklärt: gute Ausbildungsplätze, laufende Präventionsmassnahmen, fachlich und sozial kompetente Lehrpersonen, hohe Motivation, Konflikt hemmende Teamarbeit allüberall.
    Und der zweite Grund bestätigt, was wir sowieso schon wissen: ausländische Jugendliche haben tendenziell schwierigeren Zugang zum Lesen und zu Büchern. Doch in jeder meiner sechs Klassen hat es Jugendliche mit eingewanderten Eltern… und sie haben ausnahmslos Schweizer Pässe.
    Es erweist sich einmal mehr:
    Die Massnahme gegen jeden Misstand, den Studien, die mich betreffen, je zu Tage gefördert haben, ist Integration.

    Futura 2006

    Die Prüfungsbuchhandlung „Futura“ ist fertig eingerichtet, die Notebooks stehen bereit, das Internet ist zugänglich, die CD-ROMs sind installiert, der Kassenstock ist gezählt, die Bleistifte sind gespitzt, die Büchergutscheine geordnet und die Titel-Auswahl der Lernenden habe ich nach deren Wünschen präsentiert. Es sieht aus wie eine klitzekleine Buchhandlung und wird den Rest der Woche mein Wohnzimmer sein.
    Die praktische Abschlussprüfung dauert für jede Kandidatin eine Stunde. Es werden zwei Kandidatinnen gleichzeitig geprüft, je eine halbe Stunde in „Verkaufsgespräch“ und eine in „Bibliografieren“. Die Beurteilungskriterien sind unterschiedlich.
    Im Verkaufsgespräch wird der Umgang mit der Kundin beurteilt, in „Bibliografieren“ der Umgang mit den Hilfsmitteln. Die Kundin ist immer eine Expertin, das ist in allen Verkaufsberufen so, auch bei den Textilverkäuferinnen, die direkt in den Läden geprüft werden. Man hat auch Pilotversuche mit Alltags-Kundschaft gemacht, aber es hat nicht funktioniert. Nicht nur, weil Kundschaft unterschiedlich (angenehm) ist, sondern weil in der Prüfungssituation meistens keine kommt, da schlotternde Kandidatinnen und Experten mit Klemmbrettern nicht besonders anziehend wirken.
    Im einen Teil der Schulzimmer-Buchhandlung wird wie gesagt bibliografiert, vom Cornelsen-Lehrmittelverzeichnis bis zum Electre steht alles zur Verfügung, um Bestellanfragen möglichst rasch und richtig beantworten zu können. Es geht in diesem Qualifikationsverfahren um den effizienten Weg, die richtige bibliografische Auskunft geben zu können. Hier wird nicht der Auftritt benotet, es zählen Weg, Ziel und Suchstrategie.
    Meine Domäne ist der andere Teil, das Verkaufsgespräch. Meine Expertin „spielt“ die Kundin und hat auch die Fragen erstellt, ich schreibe das Protokoll und mache die laufende Beurteilung, die wir danach 5 Minuten besprechen. Dafür haben wir im Laufe der Jahre eine gute Vorlage erarbeitet, an der wir aber jedes Jahr noch feilen.
    Es gibt für alle gleich lange Prüfungen, die zur Hälfte auf die Gewohnheiten der Kandidatinnen zugeschnitten sind. Die andere Hälfte ist buchhändlerisches Allgemeinwissen wie „Grüessech, ich will Auto fahren lernen und brauche so eine CD dazu“ oder „Ich brauche das Buch, in dem ich das Zivilgesetz finde“ oder „…warum ist das so dick und so billig und das andere so dünn und so teuer?“ oder „Wir lesen in der Schule so ein Buch in Englisch und ich brauche es dringend sofort in Deutsch.“ Telefonate (aufs Handy) und Anfragen per E-Mail gibt es auch.
    Und lächeln müssen die angehenden Buchhändlerinnen fast immer, sogar am Telefon. Freundlich, lösungsorientiert, erfolgsinteressiert und nahe am Produkt – wer sich so verhält, hat keine Probleme, die Prüfung zu bestehen.
    Futura 2006
    [Mehr Fotos gibt’s nach und nach im Kommentar und
    Beobachtungen zur Prüfungszeit bei niemehrschule.]

    über die Erfüllung an Buchmessen

    Groupies gehören bekanntlich zu den unangenehmen Begleiterscheinungen des Broterwerbs von Berühmtheiten. Deshalb habe ich nur einmal aus der Hüfte geknippst. Mit lautmalerischem Ergebnis: Dischetasche.
    Dischetasche
    Frau Dische liest erstaunlich gut Deutsch. Geschrieben hat sie Grossmama packt aus in Amerikanisch. Das Buch ist in den USA noch nicht auf dem Markt, aber hier schon ein grosser Erfolg.
    Die buchbasel ist im Gegensatz zur Fachmesse in Frankfurt eine Publikumsmesse mit Kaufgelegenheit. Sie ist klitzeklein und hat keine Räume für die Presse oder die Literaturagenturen, die hier auch gar keine Lizenzverhandungen führen würden. Das tun sie nur in London, Frankfurt und New York.
    My Fair Diary:

    Getroffen mit mare-Marketing, Droschl (Stand-Premiere), zukünftigen und gegenwärtigen Verlagsvertreterinnen der AVA, mit der Geschäftsleiterin, mit der Gewerkschafterin, mit verschiedenen Schulkolleginnen meiner Generation, mit Schülerinnen aus dem 1. Lehrjahr.
    Enerviert über die mangelnde Sachkenntnis des Radio-Moderators zum Thema Buchhandel – Geschäft und Leidenschaft, über die schnippische Behandlung am Suhrkamp-Stand und über die Damen mit der „Weltwoche“ auf dem Kopf. (Weil ich mich habe breitschlagen lassen, so ein Ding in den Zug mitgenommen habe und mich die plumpe, völlig wirre Titelgeschichte grün ärgert.)
    Sehr gefreut über das laute Jugendbuchforum, über die Rezension einer Lernenden im Lokalradio und über die rappelvolle Messehalle.
    Gekauft: Ilma Rakusa, Langsamer! / Droschl-Essay 54
    Senta Berger leichten Herzens zu Gunsten der Freundschaftspflege verpasst.

    über den Zweck von Buchmessen

    Programm Buba 2006
    Morgen fahre ich zur buchbasel. Noch vor Türöffnung treffe ich mich an einem Platz, den ich nicht kenne, bei einem Bäcker, den ich nicht kenne, mit einem Menschen, den ich nicht kenne. Er kommt aus dem Nachtzug von Hamburg und warnt, er werde ungewaschen sein. Jawohl, so läuft das. Buchmessen beginnen früh und enden spät – mit Networking.
    Nur damit keiner denkt, wir guckten dort Neuerscheinungen.