Von Trennwänden

Herr Raus Trennwände haben mir zu denken gegeben. Erfolgskontrollen sind ja auch Erfolgsprognosen. Sie sagen: „Wenn Sie so weitermachen, sollten Sie bei Ihrer Abschlussprüfung diese Note bekommen.“ Ich sehe Tests als Qualitätsmerkmal meines Unterrichts.
Im Fach „Betriebs- und Verkaufskunde“ kann ich offene Fragen stellen und eine Antwort bezogen auf die Lehrfirma fordern, was Abschreiben obsolet macht. Dafür muss ich aber die Lehr-Orte kennen, auch diesen Anspruch habe ich an mich. Ich mache Tests zwar ähnlich, aber immer neu und teile manchmal auch in einer Klasse verschiedene Tests aus. Die Lernenden wissen, dass sie damit rechnen müssen. Und ich stelle Fragen, für die man „sattelfest“ sein muss.
Da die lange Debatte um die Buchpreisbindung das Interesse neuer Personenkreise an unserer Branche weckt, nehme ich doch zur Veranschaulichung ein paar Beispiele aus dem Unterrichtsstoff „Preisbindung in der Schweiz“.
Der Sammelrevers ist ein Vertrag, der die Preisbindung in der Schweiz regelt, während Deutschland und Österreich je ein Gesetz ziemlich ähnlichen Inhalts kennen. Diese Vereinbarungen haben eine Geschichte, die viel älter ist als das, was die Wirtschaft heute umtreibt. Das Ergebnis ist bis dato der effizienteste und vielfältigste Buchmarkt der Welt: der deutschsprachige.
Der Sammelrevers ist zwar kaum zwei Seiten lang, jedoch in einer für die Lernenden schwer verständlichen Sprache abgefasst. Deshalb gebe ich ihnen den Auftrag, die einzelnen Abschnitte in Gruppenarbeiten zu vereinfachen und sie mit Beispielen aus ihrem Berufsalltag zu ergänzen. Im besten Fall sehen die Ergebnisse so aus:

  • Nach Sammelrevers können Buchhandlungen Bibliotheken 5% Rabatt auf dem gebunden Preis gewähren – sofern diese öffentlich zugänglich sind. Im Alltag bedeutet das, dass die LibRomania der Stadt- und Universitätsbibliothek 5% Rabatt auf der neuen Isabel Allende gewährt, aber nicht dem Romanistik-Professor, obwohl der eine beeindruckende Privatbibliothek hat.
  • Nach Sammelrevers können Autoren die Bücher des Verlages, in dem ihr Werk erscheint, mit unbegrenzt viel Rabatt beziehen, sofern sie für den Eigenbedarf sind. Im Alltag bedeutet das, dass Lukas Hartmann, wollte er das neue Buch von André Glucksmann verschenken, dieses zum Selbstkostenpreis kaufen könnte.
  • Im Sammelrevers sind Mengenrabatte festgelegt: Ab 10 Stück des gleichen Titels 5% Rabatt, ab 20 Stück 10%, ab 50 Stück 12.5%. Im Alltag bedeutet das, dass der Chinderbuechlade einer Lehrerin, die mit ihren 24 Lernenden Oliver Twist lesen möchte, 10% Rabatt auf dem gebundenen Preis gewähren kann.
  • Meine Testfragen wären beispielsweise:

  • Ein Oberstufenlehrer möchte eine Wirtschaftsgeschichte für seine Schulstufe. Sie empfehlen: Geschichte der Wirtschaft im Beltz Verlag. Der Lehrer ist sehr zufrieden und bestellt 20 Exemplare des Titels. 19 für die Klasse, eines für die Schulbibliothek. Welchen Nachlass können Sie gewähren?
  • Ein Autor hat eine grosse Bibliothek, die aber nicht öffentlich zugänglich ist. Darf er die Bücher aus „seinem“ Verlag mit Rabatt beziehen?
  • Meine Erfahrung ist, dass die „Sattelfesten“ das locker lösen und die Unsicheren im Zweifel bleiben, egal wie sehr sie links und rechts schielen. Trennwände möchte ich lieber nicht, denn die verstellten ja auch mir den Blick aufs Ganze.

    u.v.m.

    freiwillig & mehr!
    Ich freue mich jedes Mal wie eine Schneekönigin Lehrerin, wenn jemand mehr macht als gefordert. Auch wenn sich das nur in Karmapunkten rechnet und nicht in Noten, weil es ja eben nicht gefordert war.
    Wie die Schülerin, die das Titelblatt zu ihrer Semesterarbeit von Hand gezeichnet hat, quasi autobiographisch.
    Ganz allgemein und prinzipiell: Weg mit den Vorurteilen gegen die heutige Jugend! Nieder mit der Pauschalisierung!

    Weihnachtswünsche in der 5. Klasse

    Das Kind geht seit diesem Schuljahr in eine neue Schule. In seiner alten Klasse war Weihnachten nicht zentral, in der neuen wird viel Wert auf das Fest und seinen Hintergrund gelegt. Die Klassenlehrerin hat den ganzen Dezember gemeinsam mit den Kindern Themen ausgewählt und sie haben dazu Texte geschrieben und gezeichnet. Daraus ist ein rührend schönes Heft geworden, in dem wir Erwachsenen lesen können, dass die Kinder viel Realitätssinn und ein gutes Gespür für die Herausforderungen unserer Zeit und selber viel Esprit haben. Möge das ihnen (und uns) erhalten bleiben, auch wenn sie gross sind.
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    Weihnachten – Tag der Liebe

    An Weihnachten sollte man es mit der Familie geniessen. Ich will meinem Hasen das Licht in sein Herzlein schicken und meinen Eltern ebenfalls. Ich denke, meine Eltern wollen dasselbe bei mir machen.
    Ich wünsche mir, dass Arm und Reich Freunde sind, denn dann ist alles gleich. Es gibt keine Armen und Reichen mehr.
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    Das soll an Weihnachten geschehen

    An diesem Tag sollen mein Bruder und ich nicht streiten. Und ich möchte bei meinen drei allerbesten Freundinnen sein können. Ich möchte, dass es keine schlechte Laune gibt in meiner geschiedenen Familie. Niemand soll krank sein auf der ganzen Welt.
    Ich hoffe, dass jeder mindestens vier Geschenke bekommt und Freude daran hat. Es soll niemand Streit anfangen oder mitmachen. Es soll niemand traurig sein. Es soll am Weihnachtsabend niemand arbeiten. Niemand soll allein Weihnachten feiern müssen.
    Ich wünsche mir, dass es auf der ganzen Welt viel Licht gibt und dass es auch alle Tiere gut haben an Weihnachten und im neuen Jahr!
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    Weihnachten – das Fest der Liebe

    Manche denken, dass man an Weihnachten einfach nur Geschenke bekommt. Nein, das ist die Geburt Christi! Darum hat die Weihnacht sehr viel mit Liebe zu tun.
    Eigentlich könnte ja an Weihnachten vieles geschehen, zum Beispiel, dass es in der Welt viel Liebe und nichts Böses oder Fieses mehr gibt. Alles Gute, das bis jetzt die Welt beherrschat hat, soll bleiben. Und alles derzeit Schlechte soll verschwinden.
    Ich möchte, dass nur noch das Freundliche, Schöne, Liebe und die oberbeste Gesundheit Platz haben.
    In jeder Familie, selbst in meiner, soll das Gute herrschen, überall, wirklich! Wunderbar, das Fest der Liebe!
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    Weihnachten
    Ich will, dass es keine Hungersnöte gibt wie zum Beispiel in Afrika. Es soll auch mehr Menschenrechte und Kinderrechte geben. Ich wünsche mir, dass es mehr Autos mit Biogas gibt anstatt Benzin und Diesel.
    Ich wünsche auch, dass es mehr Kinderheime in den armen Ländern hat, so dass es keine Strassenkinder mehr gibt.
    Ich wünsche Frieden für die ganze Welt und allen eine frohe Weihnacht!
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    Weihnachten – ein Fest der Liebe
    Ich wünsche mir, dass auf der Welt alle gesund sind und freundlich zueinander, dass alle Menschen sich freuen und einander respektieren, dass an Weihnachten alle fröhlich sind und sich jeder über das schönste Fest des Jahres freut. Am Geburtstag von Jesus Christus sollen Wunder geschehen.
    Jedes Kind, jeder Vater, jede Mutter und alle anderen sollen sich über das Fest der Hoffnung, der Freude und der Liebe freuen.
    Das wünsche ich mir für die ganze Welt, für meine Familie und auch für mich: Frohe Weihnachten!
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    Mit Stil

    Comixworkshop im Dezember 2005
    Derweil ich heute die Feedbacks der Lernenden zum dezemberlichen Comicworkshop ausgewertet habe, haben viele schon den ersten Sonntagsverkauf hinter sich gebracht, auch die Workshop-Leiterin vom Comix Shop in Basel.
    Die Resonanz war sehr gut. Weil ich ja zuerst fundraisen muss, bevor ich solche Sachen machen kann, muss sollte ich danach auch einen Bericht für unsere Schulzeitung „Pegasus“ verfassen und die Spender gebührend verdanken. Und da bin ich gerade dabei.
    Wussten Sie, dass Comics „sequenzielle Kunst“ sind und dass ein Comic mindestens zwei Bilder mit Zusammenhang braucht, um ein Comic zu sein? Wussten Sie, dass der erste Comic von einem Schweizer gezeichnet wurde, von Rodolphe Töpffer (1799-1846) ? Und dass die ersten Sprachblasen keine Blasen, sondern das gelbe Nachthemd von „Yellow Kid“ waren? Und dass Hergé für „R“ und „G“ und das wiederum für Rémis, Georges steht? Und dass Hergé sich, genau wie Kästner, ins innere Exil begeben musste? Eben. Solche Sachen haben wir gelernt und über die verschiedenen Stilrichtungen und Mangas, die im Moment 70% der Verkäufe ausmachen, auch noch eine ganze Menge.
    Wenn der Artikel geschrieben ist, korrigiere ich noch die ersten fünf Semesterarbeiten von 40, das ist der Preis für meine Langschläferei heute Morgen. Täglich fünf, und ich bin nächsten Sonntag fertig. Es sind interessante Arbeiten, der Auftrag war ein „Verlagsprofil aus Sortimenterinnen-Sicht“ mit dem Ziel, einen Verlag nicht nur vom Programm her, sondern seinen ganzen Auftritt im Buchhandel zu erfassen. Samt seiner Performance an Messen und in der Branchenpresse, samt Vorschauen und Vertretungen in der Schweiz.
    Dies alles, damit die angehenden Buchhändlerinnen und Buchhändler auf die guten Taten ihrer Kundschaft angemessen reagieren, den Zusatznutzen des stationären Buchhandels völlig natürlich demonstrieren und so – dank Sorgfalt, Geist und Nähe – der Gang in den Buchladen für alle zum Beginn einer wunderbaren Freundschaft werde.

    Zäsur

    Bald Mitternacht, und ich blicke zurück auf eine harte Woche. Einmal mehr konnte die sparsame Schweiz in der NZZ lesen, wie antiquiert und unbeweglich die Buchbranche sei. Der Ton herablassend wie von Bti. gewohnt. Und ganz besonders angebracht in einer Zeit, in der die meisten von uns ihren mickrigen 13. Monatslohn erwirtschaften, falls es dafür überhaupt reicht. Inzwischen habe ich die Hoffnung aufgegeben, den Tag zu erleben, an dem die NZZ den volkswirtschaftlichen und kulturellen Nutzen errechnet, den der Buchhandel zu schäbigen Konditionen und Löhnen erbringt, ohne dass sich jemand goldene Türklinken damit verdient. Uns fehlt es ohnehin an Spezialeffekten wie Traktoren und Mistgabeln, um der Konsumenten Aufmerksamkeit zu erhalten.
    Wie demonstriert man Vielfalt und Kulturgut? Mit Büchern aus Kleinverlagen eines viersprachigen Landes? Eine Lachnummer.
    Zufällig fiel auch (m)ein letzter Arbeitstag in diese Woche. Als Realistin erwartete ich kaum Reaktionen auf meinen Abschied. Ich sehe unsere Zeit als eine, die die Ersetzbarkeit von Angestellten und vor allem die Personenunabhängigkeit von Aufgaben erzwingt. (Ich hatte sogar überlegt, beim letzten Blogeintrag keine Kommentare zuzulassen, um mir die Blamage zu ersparen.) Ich bin sehr gerührt, dass es ganz anders war und sich so viele Leute gemeldet haben, nicht nur im Blog, auch privat. Zum Beispiel eine ehemalige Schülerin, aus der inzwischen eine engagierte und vielseitige Kollegin geworden ist. Und sie hat mir erlaubt, sie hier zu zitieren:

    Mir geht es manchmal mit dem Buchhandel etwas, wie Mani Matter mit seinem Verein. Und wenn ich denke, Tanja ist auch noch dabei, bin ich selber auch ganz ganz gerne mit dabei. Keine hat meinen Blick auf den Buchhandel so geschärft wie du, niemand sonst tut es immer wieder mit einer solchen Weitsicht wie du das tust. Es ist einfach mal Zeit, so pathetisch das daherkommt, merci mille zu sagen: Merci mille fois! Ohne dich würde ich meinen (Um)Weg über den Buchhhandel ganz anders gewichten. Das ist nicht wenig.

    Der Schweizer Buchhandel hat schon viele schwierige Zeiten überlebt, aber ich frage mich, ob das Volk seine Dienstleistungen nicht als etwas gar zu selbstverständlich nimmt? Die Attacken trotz Zugeständnissen, die für die Branchenmehrheit schwer zu tragen sein werden, lassen darauf schliessen.
    Die vergangene Woche war für mich also eine branchenpolitische wie persönliche Zäsur. Doch wenn das Herz blutet, wird Herzblut frei. Und davon kann die Welt gut noch etwas mehr gebrauchen.

    Welches retten?

    Im Krankenhause
    Alle Herbste gehn an mir vorüber.
    Krank lieg ich im weissen Zimmer,
    Tanzen möchte ich wohl lieber.
    An die Geigen denk ich immer.
    Und es flimmern tausend Lichter.
    O, wie bin ich heute schön!
    Bunt geschminkte Angesichter
    Schnell im Tanz vorüberwehn.
    O, die vielen welken Rosen,
    Die ich nachts nach Haus getragen,
    Die zerdrückt vom vielen Kosen
    Morgens auf dem Tische lagen.
    An die Mädchen denk ich wieder,
    Die wie ich die Liebe machen.
    Wenn wir sangen Heimatlieder,
    Unter Weinen, unter Lachen.
    Und jetzt lieg ich ganz verlassen
    In dem stillen weissen Raum.
    O, ihr Schwestern von den Gassen,
    Kommt zu mir des Nachts im Traum!

    Ich werde oft von den Schülerinnen nach meinem Lieblingsbuch gefragt und natürlich ist meine Antwort stets hilflos. Nur heute fragte eine anders: „Welches würden Sie retten?“
    Und das, das wusste ich sofort: Die letzte Freude von Emmy Hennings, meine kleinste und ergreifendste Gedichtsammlung.

    Billigausgaben heute

    Die Reihen in Zeitschriften- und Zeitungsverlagen boomen, die Preisentwicklung bei Büchern bleibt seit Jahrzehnten weit hinter dem übrigen Warenkorb zurück, im Vergleich zu anderen Produkten aus Deutschland sind die Buchpreise weniger überhöht. Trotzdem beklagen sich die Konsumierenden immer lauter. Politisch und journalistisch wird der Buchpreis seit gut sechs Jahren mit viel Elan skandalisiert.
    Ich habe letzte Woche zum Thema „Billige Bücher?“ Gruppenarbeiten im 2. Lehrjahr in Auftrag gegeben. Auch solche, die im weiteren Sinne damit in Zusammenhang stehen, wie: „Was denken Sie, müsste geschehen, damit die Menschen wieder bereit sind, für Bücher einen angemessenen Preis zu bezahlen?“
    Wann immer ich Material finde, beginne ich ein Thema bei seinem Ursprung. Dieses Mal war es die Geschichte der ersten deutschen Billigausgabe eines Zeitgenossen. Da ich für die Gruppenarbeiten nur wenige Vorgaben gemacht hatte, war ich nicht besonders zuversichtlich, das Ziel der Sensibilisierung und Meinungsbildung zu erreichen.
    Hier will ich einen längst fälligen Einschub machen für Lehrpersonen aus Gymnasien, die freundlicherweise mitlesen:
    Die Berufsfachschule macht höchstens einen Viertel der Lebenswelt der Azubis aus. Der Rest spielt sich in der Lehrfirma und im Privatleben ab. Das meiste von der Kraft, die Jugendlichen zur Verfügung steht und der grösste Teil von der Selbständigkeit, die sie anzubieten haben, landet nicht bei uns. Ein zwischen neunstündige Arbeitstage hineingequetschter Berufsschultag ist anders als ein Tag an einer Fünftageschule. Wir tragen viel weniger Verantwortung für den Prüfungserfolg und müssen fast nie mit Eltern verhandeln. Doch Unterrichtsflops sind schwieriger revidierbar und gerade ich als Fachlehrerin bin oft auch der Kritik der Branche ausgesetzt. Weil Lernende aus verschiedensten Firmen von Buchhandelsketten bis Papeterien zu uns kommen, ist der Austausch sehr hilfreich, ich will ihn unbedingt fördern. Die Ergebnisse aus Partner- und Gruppenarbeiten steigen und fallen umso mehr mit der Unterrichtsorganisation. Im schlechtesten Fall führt eine unüberlegte Planung zu regelrechtem Krach, zum Beispiel wenn Lernende aus christlichen Buchhandlungen Harry Potter ablehnen. Ende Einschub.
    Dieses Mal lief es mittelmässig. Der Einstieg mit Manns „Buddenbrooks“ wurde interessiert akzeptiert, dafür hatten einige Gruppen kaum Ergebnisse zu präsentieren. Eine Schülerin meinte ganz offen „wir haben das Ziel verfehlt.“ Immerhin hatten sich die meisten eine Meinung machen können, wenn auch eher privat als beruflich.
    Ein Team hat mich mit einer prägnanten Analyse überrascht und erfreut. Ihr Auftrag war: „Chancen und Risiken billiger Bücher in Reihen von Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen“ und sie kamen zu folgender Erkenntnis:
    Chancen

  • Klassiker kommen wieder auf
  • Nicht nur „Leser“ lesen diese Bücher
  • Wenn die Macher mutig sind, können sie auch unbekanntere und anspruchsvollere Autoren in die Reihe „hineinschmuggeln“ und so auf hohem Niveau Leseförderung betreiben
  • Der Bezug zur Zeitung (SZ) oder Zeitschrift (Brigitte) macht den Zugang niederschwellig
  • Der tiefe Preis macht den Zugang niederschwelliger für Neuleser
  • Risiken

  • Leser bekommen ein Missverhältnis zu Preis/Leistung
  • Weil die Druckkosten so günstig und die Ausstattungen einheitlich sind, wird viel zu viel produziert, es entsteht ein extremer Überschuss, was ökologisch schlecht ist
  • Zeitschriftenverlage werden eine bedrohliche Konkurrenz für traditionelle Buchverlage, die in die Entdeckung von Neuheiten viel investieren
  • Neuleser durch Billigreihen starten mit einem beengten Horizont
  • Ein weiterer Schritt zur extremen Kommerzialisierung des Buchmarkts
  • Billigausgaben vor 76 Jahren

    1929 war Thomas Mann ein Autor von S. Fischer und er ist es noch.
    Adalbert Droemer, der damals den Verlag Th. Knaur leitete, versprach Thomas Mann 100’000 Reichsmark für eine Million Billigausgaben der „Buddenbrooks“. Er wollte damit die allererste „wohlfeile“ Ausgabe eines lebenden Autors zum Warenhauspreis von 2.85 RM auf den Markt bringen. Droemer hatte das schon oft mit Erfolg gemacht, allerdings nur mit Klassikern verstorbener Autoren.
    Nun, Thomas Mann wollte dieses Angebot eigentlich sehr gerne annehmen. Aber er blieb loyal und sagte zu S.(amuel) Fischer, er würde Droemers Angebot ausschlagen, bekäme er die Möglichkeit, eine solche Ausgabe in seinem angestammten Verlag zu machen.
    Der neue Mann und vorgesehene Nachfolger im Verlag, Gottfried Bermann Fischer, war von Anfang an überzeugt, dass der Verlag Thomas Mann entgegen kommen müsste. Er wusste, dass es ein Affront wäre, die „Buddenbrooks“ einem anderen Verlag zu überlassen, egal für welche Ausgabe. Aber S. Fischer blieb unerbittlich:

    „Das können wir dem deutschen Buchhandel nicht zumuten. Ein Buch, das Jahrzehnte hindurch seinen ständigen Absatz zum Normalpreis gefunden hat, auf einen Warenhauspreis herabzusetzen, würde die Grundlagen des deutschen Buchhandels erschüttern. Zu einem solchen Ramschgeschäft darf der S. Fischer Verlag nicht seine Hand reichen.“

    Gottfried Bermann Fischer konnten den alten Verleger nur mit viel Beharrlichkeit, einem lange Brief von Thomas Mann und Unterstützung aus dem Buchhandel überreden, es zu wagen. Bis zuletzt vertrat S. Fischer den Standpunkt, dass dem Publikum nicht leicht zu erklären sei, dass solche Preise nur bei populären Werken in Frage kämen. Er fürchtete den Eindruck hervorzurufen, die üblichen Buchpreise seien überhöht. Und er hatte so unrecht nicht.
    Noch ein Wort zu denen, die den alten Herrn schlussendlich überredet haben: Es waren die wichtigen Buchhändler Deutschlands, die sich für diese Billigausgabe stark machten, und auch sie hatten nicht unrecht. Nur wenige Tage vor der Bekanntgabe des Literaturnobelpreises an Thomas Mann, wurde am 7. November 1929 die erste Auflage von 1. bis 150. Tausend ausgeliefert. Bis zum 28. Dezember 1929 folgten elf Auflagen mit 700’000 verkauften Exemplaren.
    [Quelle: Gottfried Bermann Fischer: Bedroht – Bewahrt: Weg eines Verlegers / fi 1169 / 10. Auflage 2003]

    Amazon enttäuscht

    die Börse. Sehr traurig.

    Für das vierte Quartal, in dem bei Amazon wegen des Weihnachtsgeschäfts der Löwenanteil des Umsatzes erzielt wird, prognostizierte Amazon am Dienstag nach Börsenschluss in den USA einen Erlösansteig auf 2.86 bis 3.16 Milliareden Dollar. Das liegt unterhalb der Erwartungen vieler Analysten.

    Jetzt wird’s aber eng.

    Im dritten Quartal verzeichnete das Unternehmen wegen hoher Kosten für einen Patentrechtsstreit einen Gewinneinbruch von 54 auf 30 Millionen Dollar.

    Vielleicht haben die Ureinwohner am Amazonas geklagt? Vielleicht brauchen sie einen Namen für ihren Pfeilgift-Onlineshop? Nun, Jeff Bezos wird sich auskennen. Er war ja auf den Buchverkauf verfallen, weil die Buchbranche weltweit die beste elektronische Erfassung ihrer Produkte vorzuweisen hatte. Die Branche war zwar klug genug, die ISBN zur zweifelsfreien Identifikation ihrer Ware zu erfinden, bevor andere Branchen auch nur „Strichcode“ denken konnten, aber leider zu dumm, selber rechtzeitig online einzusteigen. Und auch noch leutselig genug, die Daten so zu lagern, dass Jeffy sie bloss von ein paar CD-ROMs zu kratzen brauchte.

    Neben dem Ausblick zeigten sich Analysten auch mit der Bruttogewinnmarge des Unternehmens unzufrieden.

    Jesses! Die haben wohl lange nicht mehr vorbeigeschaut, wenn sie das erstaunt. Amazon verschleudert Bücher unter dem Wert von Pappe und Druckfarbe. Im Doppelpack. Oder Triopack? Auf jeden Fall versandkostenfrei. Neben der armen Börse muss es auch noch irgendwo Buchpacker geben, die nichts verdienen. Inzwischen haben sie Lager und Versand bestimmt von Seattle nach Guantanamo outgesourced.
    Ich alte Amazonhasserin, habe mich ein gutes Jahr zurückgehalten. Ich gönnt‘ mir gerne eine Portion Schadenfreude. Aber irgendwer bezahlt die Zeche, und das ist weder Bezos noch die Börse und darum nichts zum Lachen darüber.
    [Zitate Tages-Anzeiger vom 27. Oktober 2005]

    Lose Enden von Geschichte

    Ach, Hirsi Ali, die Provokateurin. Wir, die wir nicht unter Bewachung leben müssen, nicht allein, nicht beschnitten, unserem Freund wurde kein Drohbrief ans Herz gespiesst. Wir wollen das lieber nicht hören. Sie ist jung, randvoll mit Wut, sie differenziert nicht zwischen islamischen Männern und islamischen Männern. Doch reicht das für den Vorwurf der Hetze?
    So anders Orhan Pamuk, er ist ein wandelndes Paradoxon. Sein Heimatland zerrt ihn als Verräter vor Gericht, von uns bekommt er nächsten Sonntag den Friedenspreis. Den Preis des deutschen Buchhandels, zu welchem ich mich, so ist das halt, zugehörig fühle. Obwohl das Fussvolk nie geladen ist an diese historische Stätte, in die Paulskirche.
    Hier hat die erste Buchmesse nach dem Weltkrieg stattgefunden, denn kein anderes grosses Gebäude war unversehrt geblieben. Hier hat Lindgren „Niemals Gewalt!“ gerufen, hier hat Walser seine Keule erhoben und Esterházy hat sie letztes Jahr leicht lächelnd umgedreht.

    Mit Gesetzen kann man das Recht oder die Politik des Landes ändern. Aber die Kultur und die Denk- und Sichtweise der Bürger zu ändern, dauert Jahre.

    Sagt der diesjährige Preisträger weise. Zwischen Osten und Westen, zwischen Religion und Säkularismus, zwischen gestern und heute, zwischen alter und neuer Heimat zu schwanken und darüber traurig zu sein, ist kein Verbrechen, möchte ich der rasenden Hirsi Ali zurufen. Und zwei Seelen zu haben sei keine Krankheit, versichert auch Pamuk.
    Aber dass zwei Seelen Menschen zerreissen können, hinterliess uns Goethe mit Faust.