Aus dem Reisenotizbuch [16]

18. April 2007 07:00
Als ich aufwache sehe ich Nevada verschneit und stürmisch. Der Zugbegleiter gibt bekannt, welche Wagen in Winnemucca („I’ve been Everywhere“) wann anhalten. (Da die Perrons zu kurz sind, hält der Zug immer mehrmals.)
Wir haben sechs Stunden Verspätung und Mann und Kind werden langsam übellaunig. Mir gehen Lesestoff und Kleider aus und Essen gibt es auch immer weniger. In ca. zwei Stunden sollten wir Reno erreichen und wir beschliessen schon jetzt, dort auszusteigen.
Reno 2007
18. April 2007 12:00
Wir sind in Reno angekommen. Der Bahnhof ist wunderschön, stilechte Holzbänke, kleine Vitrinen mit Tonscherben und Colaflaschen aus früheren Zeiten. Vor zwei Jahren brandneu gebaut, von lächelnden Politikern eingeweiht, von Kindern besungen, das sehe ich in der Fotogalerie der Eröffnungsfeier. Aber unbelebt ist er eben auch, der renoer Bahnhof. Wir suchen uns ein Mietauto.
18. April 2007 14:30
Wir starten auf der I 80. Es schneit leise, als wir kurze Zeit später – mitten in der Sierra Nevada – die Countryline California überqueren.
18. April 2007 18:00
Wir checken in SF ins Hotel ein, es ist wie nach Hause kommen. An unserem letzten Abend essen wir Fisch at Fisherman’s Wharf bei McCormick & Culeto’s. Ich fühle mich wie am Drehort für den Paten: rechts und links grosse Tischgesellschaften von feschen Italoamerikanern in dunklen Anzügen und – hier selten schönen – Lederslippern, von dezent dekorierten Frauen am anderen Tischende mit wilden Jungs und putzige Mädchen in weisser Spitze und Lackschuhen dazwischen. (Kein Wunder, wo ich doch eben den Lake Tahoe passiert habe, in dem The Godfather seine Leichen verschwinden lässt.)

Aus dem Reisenotizbuch [15]

17. April 2007 06:00
Güterbahnhof Denver. Noch sind wir eine Stunde zu früh im Fahrplan, aber die Warnzettel im Zug und auf den Bahnhöfen lassen vermuten, dass wir verspätet in San Francisco eintreffen werden. Hier hat der öffentliche Verkehr nicht Vortritt, wenn ein Baumstamm oder ein Tier transportiert werden muss, wartet der Passagierzug. Weil ständig Tiere und Leute die Geleise überqueren, hupt der Lokführer ohne Unterburch; sehr indisch.
17. April 2007 09:30
Wir überqueren die Wasserscheide Colorado/Mississippi, also Pazifik/Atlantik und ich lerne, dass das Continental Divide hiesst. Der Zugbegleiter informiert über ein knirschendes Mikrophon darüber, dass das Wasser auch zwischen den Ozeanen hin- und her gepumpt werde.
17. April 2007 10:07
Wir stehen vor dem Moffat-Tunnel, der Zugbegleiter erzählt Anekdoten. Wir befinden uns auf 3000m und wir machen, was Schweizer zu dritt auf dieser Höhe so machen: einen Bieter.
17. April 2007 17:30
Nun haben wir die Staatsgrenze Colorado/Utah überquert. Die Ausführungen des Zugbegleiters haben vom Humorvollen ins Melancholische umgeschlagen. Er erzählt vom reissenden Colorado, der den Pazifik nicht einmal als Rinnsal erreichen werde. Das Wasser gehe ihm vor lauter Swimmingpools und Autowäscherei vorher aus.
Der Colorado River

Aus dem Reisenotizbuch [14]

16. April 2007 14:00
Das Kind hat mich am Navy Pier – dem Chilbi-Viertel Chicagos – auf eine Fahrt auf dem Kettenkarussel eingeladen. Es war eisig und wir waren die einzigen.
Nun sind wir im Zug, dem California Zephyr. Wir werden hier die letzten Tage unserer Reise verbringen. Unsere Kabine ist aus einer längst vergangenen Zeit, vieles fällt uns entgegen, die Klappbetten weit vor der Schlafenszeit. Aber der Zugbegleiter hat Humor und zum Aussichtswagen mit den grossen Fensterscheiben haben wir als Kabinenpassagiere Tag und Nacht Zugang. Da der Zug manche Strecken als einziges Fahrzeug befährt, freue ich mich sehr auf diese Aussicht.
16. April 2007 17:15
Wir überqueren den Mississippi in Burlington, Iowa. Ich denke an meine letzte Begegnung mit diesem Strom im Jahre 1990 an seiner Quelle und meine eigene Jugend kommt mir ziemlich unwirklich vor.
16. April 2007 22:40
Wir erreichen Omaha, Nebraska. Ich will unbedingt Nebraska-Boden betreten und wir steigen alle aus. Der Bahnhof sieht aus, wie Tom Waits singt. Mühsam schiebt sich ein Tankwagen zwischen dem bröckelnde Perron und die baufällige Bahnhofsdecke auf uns zu: die Lokomotive muss getankt werden. Das Schweizer Bähnlerherz blutet.
AMTRAK Station in Omaha, Nebraska

Getting Ready

Wenn eine Buchhändlerin und ein (ehemaliger) Buchhändler zusammen mit einem Lesekind eine Reise planen, sind drei Karten, drei Reiseführer und ein Bildband nicht viel. Noch zehn Tage und es würde mich wundern, bliebe es dabei:
Road Guide South West
Road Guide Texas
Road Guide California
Dumont Richtig Reisen USA Der Südwesten
IWANOWSKI’S USA-SÜDWESTEN
DK Vis-à-Vis San Francisco

Philippe Bourseiller, America’s Parks

Be Prepeard

Anteilnahme

Man kann die „Kultur der Verrohung“ beklagen, die „Blutdrünstigkeit der Medien“ anprangern, „mangelnde Durchsetzungskraft“ der Lehrpersonen und „Hilflosigkeit“ der Schulpsychologen beweinen. Das muss man sogar. In Lehrerzimmern, in Blogs, in Strassenbahnen, in Kommissionen, Parteien, Parlamenten. Aber daneben gibt es auch Denkwürdiges für jeden einzelnen.

  • Was bringe ich Kindern und Jugendlichen entgegen? Wann biete ich zum Beispiel direkt (indem ich mich kümmere) oder indirekt (indem ich mich für Angebote einsetze) eine Alternative zum Gamen?
  • Wie viel bin ich bereit für kluge, tiefgründige, gut recherchierte Texte auszugeben?
  • Habe ich je mit einem Lehrer über seine Hintergrundarbeit gesprochen? Wann war ich zum letzten Mal während der Unterrichtszeit in einem Schulhaus?
  • Wie engagiert bin ich, wenn es um die Intervention im öffentlichen Raum geht? Helfe ich, unterstütze ich, mische ich mich ein?
  • Die Frage ist nicht allein „In was für einer Welt leben wir eigentlich?“. Die Frage in jeder Gesellschaft ist: „Was ist mein Anteil, was mein Beitrag?“
    Es fällt mir schwer zu begreifen, warum sie so selten gestellt wird. Ausgerechnet hier, wo wir satt sind und uns so sehr als Individuen verstehen.

    Freiwilligenarbeit

    Also jetzt kam der Lebensmitteler auch schon in die Gemeinschaftsküche des Quartierzentrums und hat zwei gespaltene Bodenplättli gefunden, die sofort ersetzt werden mussten, dreihundert Franken hat es gekostet. Aber es war Glück im Unglück, denn hätte er alles Geschirr kontrolliert, hätten wir mehr als ein Problem gehabt. Des Weiteren konnte die Lärmquelle für das Hupgeräusch im Vorraum zum Gemeinschaftssaal lokalisiert werden, es handelte sich um ein Telefon, welches man längst vergessen hatte und auch niemals gehört hätte, wäre es denn nicht – aus noch zu klärenden Gründen – mit einer Sirene im Kirchgemeindehaus verkabelt gewesen. Und überhaupt stimmt der Schliessplan nicht mehr, das merkt man dann in diesen Situationen. Die Schlüssel, die wir brauchen, haben wir nicht alle und von denen, die wir haben, brauchen wir nicht alle. Das Problem ist augenfällig, es müssen einfach zu viele Parteien einbezogen werden: die Gemeinwesenarbeit, die Kirchgemeinde, der Verein und die Verwaltungen und wohl auch noch die Stadt. Von wegen vielen Köchen: Der Dorfplatz ist zwar anerkannt baufällig und als Dach der Gemeinschaftsräume kaum mehr tragbar, aber die vertragliche Regelung von 1971 gibt keine Auskunft über Sanierungen dieses Umfangs und die Eigentümerin kann sich deswegen herauswinden, bis uns der Dorfplatz beim nächsten Raclette im Cheminéeraum auf den Grind fällt. Aber würde er doch noch saniert, müsste man diplomatisch vorgehen, um in dieser Runde auch gleich noch die Fensterisolation der Gemeinschaftsräume unterzubringen, aber das wird wohl noch das Kleinste sein. Es ist ein Fortschritt, dass die Stadt nach hunderten von Telefonanrufen und Briefen aus unserem Quartier für den nächsten Winter den Räumungsplan erneuern will, aber dass wir entscheiden, wo sie die Kisten für den Rollsplit hinstellen können, bringt noch niemerem nüt. Wir erarbeiten besser einen Vorschlag, welche Stellen prioritär geräumt werden müssen. Die Vereinbarung kann man dann auf unserer Seite aufschalten und im Ladenzentrum aufhängen, damit alle Bescheid wissen und auch Meldung machen könnten. Wir halten also fest: Die wichtigsten Zu- und Abgänge im Quartier sind: A) …

    Berndeutsch

    ist manchmal schon komisch. Wir haben kein Präteritum, sondern nur Perfekt, was alles verlängert. Als Abkürzung machen wir dafür aus vielen Aktivitäten ein Verb.
    I bi ga pingpöngle = Ich war Pingpong spielen.
    I bi ga schlöfle = Ich war Schlittschuh laufen.
    (Aber einholen können wir Berner trotzdem niemanden.)

    Zuerst die Frauen

    Als Domenica gefragt wurde, ob sie sich nicht auch für Altersvorsorge und Ausstieg der Zuhälter einsetzen könne, wetterte sie:
    Hör doch auf! Neulich rief mich ein Lude an und sagte: „Wie ist das mit Austiegshilfen für Männer?“ Da habe ich geantwortet: „Wenn mal der Tag gekommen ist, an dem eine Hure nicht von der Sozi beerdigt wird, und hundert Luden gehen hinterm Sarg her – ja dann setz ich mich auch für Luden ein. Bis dahin sind die Frauen dran. Mein Geld kriegen auch nur noch Frauen.“
    Eine Kämpferin wider die Bigotterie weniger. Hinter ihrem Sarg gingen viele. Und auf ihrer Hinterlassenschaft können wir aufbauen.
    Schönen Frauentag allerseits.