Aus dem Reisenotizbuch [12]

14. April 2007 10:35
Nach einem letzten Rundgang am Yavapai-Point verabschieden wir uns – zusammen mit Hunderten, die unser touristisches Schicksal teilen – schweren Herzens vom Grand Canyon. Wir schlagen den Weg nach Flagstaff ein. Weil Leaphorn hier immer das Amtliche erledigen muss, wissen wir, dass es die grösste Ortschaft im Navajo-Gebiet ist und freuen uns darauf, das in den Büchern beschriebene Städtchen in Natura zu sehen.
14. April 2007 12:15
Wahrlich, ein guter Ort. Wir sitzen unter Kirschbäumen und trinken den ersten erträglichen Espresso seit langer Zeit. Wir schauen vis-à-vis ist das Schaufenster eines Ladens namesn „The Rainbow’s End“, in dem geblümte Gummistiefel ausgestellt sind. „April Showers bring May Flowers“ steht an der Fensterscheibe.
14. April 2007 13:00
Wir haben einen Indie gefunden. Und es wäre für meine Berufskolleginnen und -kollegen in der Schweiz nicht schwierig zu erraten, was der Unabhängige in Flagstaff ausgestellt hat.
Buchständer Starrlight links Buchständer Starrlight rechts
Aber im Innern gibt es einige Trouvaillen, besonders das Navajo-Wörterbuch ist ein typografisches, grammatikalisches und didaktisches Meisterwerk.
(Danach steht in meinem Notizbuch einen ISBN: 0-89659.654-0. Ich suchte den dazugehörigen Titel heute bei der Library of Congress und erinnerte mich wieder genau an die fulminanten Aquarelle. Auf dem Umschalg war eine Leserin abgebildet.)

Zu Diensten

Der neue Pegasus ist online und auch gedruckt verschickt. Das Programm für den Perspektivetag der Abschlussklassen steht, die begleitenden Links sind aktualisiert (danke sehr, Frau Kollegin), die neuen Schultage sind zum Download bereit.
Die letzten Klassen- und Notenlisten sind ausgewertet und gedeutet, die Absenzen geklärt, die Semesterzeugnisse in Produktion. Die Einladungen für unseren nächsten Informationsanlass für Buchhandlungen sind geschrieben, die Räumlichkeiten sind reserviert, der Ablauf ist entworfen, ebenso wie der Anmeldetalon für die Reise an die nächste Buchmesse. Planung und Fundraising für die Abschlussfeierlichkeiten sind aufgegleist, ob das Mikro die vom Redner gewünschte Marke hat, konnte noch nicht eruiert werden, aber die Checkliste für die Prüfung ist korrigiert und das Kandidatenverzeichnis verfasst.
Dafür hat die Freiwilligenarbeit in dieser noch jungen Woche (im Volksmund auch „Ferien“ genannt) schon besonders gelitten. Die Fotos von der Quartierdisco sind nicht wie versprochen aufgeschaltet, bei einer politischen Arbeitsgruppe habe ich unentschuldigt gefehlt und die Mail-Links auf der Quartierwebsite weisen noch immer zur falschen Pfarrei.
In solchen Momenten denke ich gern an die Zeit, in der ich jung und meine Arbeit bei McDonald’s einfach war: Smile. Ohne Eis? Wie Sie wünschen. Smile. Pommes zu kalt? Kein Problem, es gibt neue. Smile. Noch ein Ketchup? Gern! Smile. Shake verschüttet? Macht doch nichts! Smile. Ein Junkie in der Toilette? Ich erledige das. Smile. Kind hat erbrochen? Das Arme! Ich putze! Smile. Als Schneewittchen verkleiden? Mit Freuden! Smile. Ein Geburtstagsständchen für den Junior? Nichts lieber als das! Smile.

Leisure

What is this life if, full of care,
We have no time to stand and stare.
Basketballkorb vor dem Tagi
No time to stand beneath the boughs
And stare as long as sheep or cows.
Meisenkugel im Vorgarten der Parterrewohnungen im Holenacker
No time to see, when woods we pass,
Where squirrels hide their nuts in grass.
Holi-Spili kurz bevor es erneut zu schneien beginnt
No time to see, in broad daylight,
Streams full of stars, like skies at night.
uebrig gebliebene Sommerdekoration vor der Kita
No time to turn at Beauty’s glance,
And watch her feet, how they can dance.
Wegweiser in eine bessere Welt
No time to wait till her mouth can
Enrich that smile her eyes began.
Fitnesstafel, vom Wetter geknickt
A poor life this, if full of care,
We have no time to stand and stare.
Veloparkplatz an der Melchiorstrasse
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Beweis der Altersmilde

Ich räume meinen PC auf und begegne einem zehnjährigen Leserbrief vom Frühling 1999, zur Zeit des Kosovokrieges. Heute würde ich kaum mehr diesen Ton anschlagen und auch nicht so rundum. (Ob der Brief publiziert worden ist, weiss ich nicht mehr, es würde mich erstaunen.)

Nach ein paar Jahrzehnten Gäbelbach bin ich einiges gewöhnt: Kindergartenseminaristinnen, die an unseren Betonfassaden nasenrümpfend mehr Farben suchen, Alt-Linke mit neuen Wanderstöcken bewaffnet, die einen überrennen, um schnell ins lauschige Gäbelbachtäli zu kommen, Einfamilienhäusler, die ihre Hunde ihre Haufen auf unsere Spielplätze setzen lassen, weil sie nie gelernt haben, vor ihrer eigenen Tür zu kehren, echte und Möchtegern-Guggenbühls, die uns ihre pädagogischen Massnamen für aggressive Jugendliche überbraten, Sozialarbeiter, die vom Stöckli in Gurbrü nach nur kurzem Stopp an ihrem Arbeitsplatz im Quartier weiter zum Abgrenzungsseminar am Neuenburgersee eilen…
Trotz alledem war ich überrascht, dass uns jetzt auch noch irgendwelche Journalisten auf den Füssen herumstehen und mit ihren schwachsinnigen Fragen an alle, die ihnen balkannahe vorkommen, schüren, was noch nicht vollends entfacht ist. „Was waren die schrecklichsten Nachrichten aus ihrem Heimatland?“ „Wissen Sie, ob Ihre Familie am Leben ist?“. Radiojournalisten entblöden sich nicht, albanische Mädchen auf dem Pausenplatz zu fragen: „Würdest Du einen Serben heiraten?“ und die serbischen Jungs: „Würdest Du ein Kind aus Kosovo bei dir aufnehmen?“ und die Kinder in aller Öffentlichkeit zu zwingen, entweder gegen ihre Schulkollegen oder ihre Eltern Stellung zu beziehen.
Zugegeben, selten war ich der Presse schon dankbar, denn es gibt alle Schaltjahre wieder einen Journalisten oder eine Journalistin, die sich redlich bemühen, ein realitätsnahes Bild der Quartiere im Westen Berns zu zeigen – aber sobald irgendwo Blut fliesst, wird derlei nicht mehr gedruckt. (Der letzte ist von Monika Rosenberg „Wo der Alltag die Vorurteile überlebt“; NZZ 13.9.97.)
In der Schweiz ist die sozialkitschige, dillemmentriefende Berichterstattung in Krisenzeiten beliebt, die Leute heulen gerne vor dem Bildschirm. Sie spenden der Glückskette und revidieren danach das Asylgesetz anstatt ihre Einstellung. Die Berichterstattung über unsere Quartiere tröstet sie über ihre eigenen Widersprüche. Offenbar schafft es keine Journalistin, aber auch kein Promi, keine Erziehungsdirektorin, kaum ein Lehrer und auch sonst niemand, der nicht sowieso hier wohnt, ein kleines bisschen echtes Interesse an den Tag zu legen und sich einmal von der friedens- und zukunftssicherenden Arbeit in unseren Quartieren ein Bild zu machen.
Trotzdem, für ganz Mutige, ein Insider-Tip aus dem Ghetto: An einem Mittwoch Nachmittag im Hort Tscharnergut zusehen, wie zwei Hortleiterinnen zu 15.–/h professionell und erfolgreich versuchen, 40 Kurdinnen, Türkinnen, Kosovaren, Serben, Kroatinnen, Tamilinnen davon abzuhalten, einander aufgrund der aufgeheizten, separierenden Medienberichterstattung die Nase einzuschlagen und gleichzeitig dafür sorgen, dass ALLE Kinder am Abend mit fertigen Hausaufgaben heimkehren.
Sollten Sie es wirklich wagen, den Hort im Tscharni zu besuchen, bringen Sie besser zwei Kilo Brot mit. Aufgrund der Sparmassnahmen ist die Finanzierung des Zvieris seit Jahren nicht mehr gesichert und Sie laufen so weniger Gefahr, gefressen zu werden.

Der Klassiker

im Lehrerinnenleben: Zuerst verschiebt man Notenarbeiten wegen der Grippe der Schülerinnen und Schüler, dann vertritt man die Kollegen wegen deren Grippe und deren Kinder Grippe, die nicht in die Kinderkrippe dürfen, und zuletzt, wenn die Notenarbeiten dann wirklich unausweichlich geschrieben, die Streitfälle gestritten und die Zeugnisse gedruckt werden müssen, hat man sie selber, die Grippe.
Ich habe mir die Anmeldung zur Grippenimpfung im September 2009 eingetragen. Aber ob das nicht schon zu spät ist?
Bitte, grosse Pharmaindustrie dieses medizinisch fortschrittlichen Erstweltlandes, reservier einer kleinen Lehrerin eine Portion Impfstoff für November 2009. Danke sehr.

Klammerbemerkung

Im Moment habe ich viel Schreib- und Korrekturarbeit und komme bedauerlicherweise nicht zum Bloggen. Als Notiz für mich selbst (und nicht etwa als Klage) hier die Liste:
Korrigieren und benoten:

  • Noch 80 Seiten bis morgen
  • Gegenlesen und korrigieren:

  • Die Semesterarbeit vom Kind bis heute.
  • Eine Hausarbeit aus dem Studium einer Kollegin bis morgen.
  • Den Entwurf einer Bildungsverordnung eines verwandten Berufes bis Freitag.
  • Ein Kapitel für ein neues Lehrmittel innerhalb Wochenfrist.
  • Vier interne Lehrpläne bis Ende Monat.
  • Schreiben:

  • Ein Editorial bis vergangenen Freitag.
  • Eine Seite (Argumentarium) eines Antrages ans BBT bis 26. Januar.
  • Zwei Nachholtests bis morgen.
  • Zwei interne Lehrpläne bis Ende Monat.
  • Zwei FAQ mit Antworten bis morgen.
  • Einen Antrag für Betreuungszulagen – seit neun Jahren unbemerkt bezugsberechtigt – jetzt.
  • Erziehungsalltag

    Gestern hatte ich zwischen meiner letzten beruflichen und meiner ersten ehrenamtlichen Sitzung am Abend eine Stunde Zeit für das Kind. Wir hätten dringend Hausaufgaben und Essen machen sollen. Statt dessen führten wir eine heftige Wertediskussion.
    Ausgangslage: Ich gelte als stur, was bewegte Bilder angeht. Das Kind darf Filme und Games nur gemäss (schweizerischer) Altersbeschränkung oder vorheriger Prüfung durch Elternteil. Dafür darf es alle Bücher und alle Musik und ziemlich viel Internet. Ich mische mich lediglich kältetechnisch in die Mode ein und halte keine Predigten über Handyrechnungen oder Computerzeiten, denn das regeln wir im Moment noch elektronisch. Hingegen dulde ich keine Kids in Tarnkleidung in meiner Wohnung und konfisziere alle Handys in meiner Nähe, die für Filmchen benutzt werden, welche nicht meinen Moralvorstellungen entsprechen.
    Die Diskussion war sehr anregend, zuerst war Angriff (gegenseitig), danach kamen die Überzeugungsversuche und dann das Verpfänden: „Ich höre diese Musik nicht mehr, die du ungesund findest zum Einschlafen, dafür darf ich dieses Game spielen.“ Wie gesagt, wir diskutierten, zu Verhandlungen kam es jedoch nicht. Ich gebe mässig Regeln vor und die, die ich habe, verteidige ich ausgesprochen intolerant. Aber mir ist klar, dass ein Verbot keine gewonnene Debatte ist und mir blieb ein schales Gefühl, als ich das Kind mit Abendessen-Auftrag zurück liess und an die Vereinssitzung raste (bei der es übrigens mit der Wertediskussion gerade weiterging. Hallenbadbenutzung durch Musliminnen war das Thema, aber das ist eine andere Geschichte).
    Heute dann ging es dem Kind um die Berechtigung, demnächst „Once Upon a Time in the West“ (ab 16) zu schauen. Ich neigte zum Verbot, der Vater zur Erlaubnis, weil wir den Film beide kennen. Wir entschlossen uns also, Anfang und Ursprung der Geschichte zu erzählen. Remember? Eine Familie wird überfallen, alle getötet, vom Anführer dann sogar das kleinste Kind. Der Ursprung der Handlung kommt im Film als Rückblende: Vom selben Anführer wurde ein grosser Bruder dem kleinen Bruder gefesselt und mit der Schlinge um den Hals auf die Schultern gestellt. Der Grosse lebte nur so lange, wie der Kleine Kraft hatte.
    Das Kind hörte zu. „Der kleine Bruder ist die Hauptfigur und er wird alle rächen, wenn er gross ist.“ Das sei eben ein sehr guter Film.

    Immer wenn ich denke…

    … es gehe nicht mehr, kommt von irgendwo eine Ermahung her (die mich daran erinnert, dass ich wirklich nur Luxusprobleme habe).

    Heute ist zweite Schultag, es ist richtig kalt bis -17 Grad sogar. Im Moment haben wir noch Heizung und hoffen, dass die Russen doch vernunftig werden und Gas wieder laufen lassen. Unsere Gasleitung kommt von Russland uber Ukraine… Bosnien, Serbien, Bulgarien frieren leider schon und weil wir etwas Reserven haben frieren wir noch nicht. Wir sind am Holzofen und am Holz besorgen, weil wir fast alle Gasheizung haben und hoffen doch, dass das Schlimmste nicht passiert. Viele Firmen mussten schliessen, und die Schulen mussen ev. auch und doch hoffen wir, dass sie bald Losung finden.

    [Nachricht einer kroatischen Freundin aus einem Internetcafé.]

    Recorded in Chicago (forty-five years ago)

    Homesick James, Blues On The South Side 1964, LP remastered 1990 by Fantasy Studios, Berkeley

    Ich empfehle selten Musik, aber die Bottleneck Guitar sollte sich keiner entgehen lassen. Denn sie erzählt Geschichten. Wer Homesick James auf dieser Platte hört, versteht, weshalb die Menschen im Grant Park und auf der ganzen Welt weinten in der Wahlnacht.
    „Recorded in Chicago (forty-five years ago)“ weiterlesen

    Umgekehrte isländische Notation

    Wenn ich als Privatperson eine mir noch unbekannte andere Privatperson anrufe, sage ich meinen Namen und liefere dann den Kontext nach. Aber in meinem Leben als Mutter rufen mich immer wieder Mütter an, die sich kürzer fassen: „Hallo, hie isch ds Mami vom Cyrill.“
    Bei mir hinterlässt diese Begrüssung das ungute Gefühl, nicht zu wissen, mit wem ich telefoniere. Ich kann diese Person ja dann auch während des Telefonats nicht richtig ansprechen, weil „Mami von…“ kein Name und mir unklar ist, ob ich „du“ oder „Sie“ sagen soll.
    Sie hingegen finden es ausreichend, sich nach ihren Kindern zu nennen.