Sie gaben einander hienieden die Klinke in die Hand.
Am 9. Januar 1908 wurde das Zepter der Idyllen-Killer weiter gereicht: Wilhelm Busch starb, als Simone de Beauvoir geboren wurde. Meine eigene kleine Kulturgeschichte ist ohne die Folgen von Busch und de Beauvoir schlecht vorstellbar und auch persönlich bin ich beiden zugetan. Trotz grosser Frechheit, aufgesetzter Unverwundbarkeit und knalliger Ideen wider ihre Zeit sind sie weder tragisch gescheitert noch jung verblichen. Sie haben sich ihre Kränze redlich verdient.
Busch hat hinterlassen, was dem Comic und dem Witzgedicht bis hin zur neuen Frankfurter Schule und weit über den Tag hinaus als Grund und Boden dient. Er reimte behände Bild und Vers zu einem Gesamten, dehnte schamlos da ein Wort und kappte ein anderes dort. Er wurde beliebt und übersetzt. Die Vereinigung von Illustration und lautmalerisch gebundener Sprache machte das Provinzielle zur Weltklasse. Die direkten Nachfahren übersahen das zwar, aber nach den Kriegen stiegen Max und Moritz, Fipps, Hans Huckebein, Lehrer Lämpel und die Fromme Helene wieder aus der Asche.
Und de Beauvoir? Sie gilt als Frau von Sartre und als Feministin. Beides wahr, doch für mich ist zentral, dass sie als erste klipp und klar feststellte, was wir heute – historisch und globalisiert gebeutelt – endlich lernen: Das Verhalten entscheidet. Kant hat vielleicht die Frage schon gesellt, aber de Beauvoir hatte den Mut zu antworten. Würden wir ihr Kapitel „Mädchen für alles“ aus ihrem Hauptwerk „Das andere Geschlecht“ im Weltentwicklungsbericht 2008 lesen, wir merkten ihm sein Alter nicht an. Sie listete hier akribisch die Mechanismen der Aubeutung auf und zeigte, wie Frauenbiografien ins Leere laufen. Genau wie heute. Aber immerhin nicht überall. Dank ihr.
Und weil der April ein blühender Monat ist, auf den man am 9. Januar in Europa sehnlich wartet, starb Simone de Beauvoir am 14. April 1986, einen Tag vor Wilhelm Buschs 154. Geburtstag.
Unsere Kinder werden zwischen den beiden keine Analogien ausmachen, nicht sehen, wie nahe sie sich im Lexikon stehen, sie werden die Beauvoir unter „d“ suchen und in der digitalen Welt auch finden. Und so nimmt ein jedes Leben seinen Lauf samt seinen Folgen für die Nachfolgenden. Und dass die davon nichts merken, ist ein gutes Zeichen. Dann hat einer seinen Platz wenigstens ordentlich hinterlassen.
Kategorie: Leben daneben
Ausserschulisches und Vermischtes
Un message musulman de remerciement
Diese gute Nachricht erschien am 31. Dezember 2007 als ganzseitiges Inserat in der französischen Presse: Un message musulman de remerciment et de voeux de Noël et de Bonne Année.
Ich fand das neben Benazir Bhutto, Carla Bruni und dem französischen Rauchverbot den weitaus besinnlichsten Beitrag zum Neujahr. Als Anlass zu nehmen, dass unsere Feiertage diese Jahreswende in den ebenfalls höchst feierlichen Hajj-Monat (11.12.2007 bis 9.1.2008, am 10.1.2008 beginnt das neue islamische Jahr) fallen, war ein kluger Schachzug. Und Abraham als Stammvater aller zu nennen eine diplomatische Methode, neben dem Islam und dem Christentum auch das Judentum zwar nicht gerade sichtbar, so doch irgendwie denkbar zu machen.
Eine schöne Bestätigung meiner alten Leier: Es ist nie zu spät für gute Öffentlichkeitsarbeit.
Les Baux
Als Schweizerin habe ich das Privileg, sehr zentral zu wohnen. Ich erreiche die wundersamsten Destinationen Europas ohne viel Zeit und Geld. Zum Beispiel dieser Tage Les Baux-de-Provence, ein Städtchen, welches im Winter höchst angenehm zu besichtigen ist. Hier wurde am Anfang des 19. Jahrhunderts das Aluminium-Erz entdeckt, weshalb man das Gestein gerade nach dem historischen Ort im Felsen benannte: „Bauxit“.
Doch in Les Baux lassen sich Spuren der Menschheit entdecken, die noch viel weiter zurück reichen. Beim nächsten Mal, wenn Sie sich den Menschseins nicht recht erfreuen können, fahren Sie hier hin und Sie werden stolz sein, einer solch originellen Spezies anzugehören.
Frohes neues Jahr!
Bildauschnitte zum Anklicken. Legende:
– 1 Auf dem Kalksteinplateau, weit über dem Vallée-des-Baux
– 2 In der Mühle-Ruine, Daudets Inspiration zu seinem Mühlen-Brief.
– 3 Eine der ältesten Ruinen eines Hauses mit Entrée und Haushof
– 4 In der Ruine einer Troglodyten-Höhle.
Neues Jahr vor neununzwanzig Jahren
Damals war ich in Südindien. Die Rückkehrroute auf dem Landweg erschien den Daheimgebliebenen langsam ziemlich risikoreich. Aber meine Mutter wusste Optimismus und Normalität zu verbreiten. Sie schreib nach Hause:
Kalangut, Anfang 1979
Sälü alli zäme! Heute ist Samstag. Draussen spaziert eine schwarze Fählimoore mit acht schwarzen Fährli. Da hier alle die Abfälle vor ihre Palmblatt-Hütten werfen, ist die Verpflegung für die grunzende Familie kein Problem. Wir haben hier im Palmenwald am Indischen Ozean wieder einen bescheidenen Haushalt. Zwei Stuben, einen Dusche, welche tatsächlich läuft und einen Steintisch als Küche. Manchmal schmettert eine Kokosnuss aufs Dach. P. ist zum Markt gegangen. Er hat indische, fideli-artige Spaghetti entdeckt und freut sich auf einen Schweizer-Frass. Auf dem Kerosin-Ofen habe ich z’Morge gemacht. Wenn’s tagt, beginnt es im Palmenwald zu hornen wie von Lastwagen, aber das ist nur der Brotmann, der sein Korb bepacktes Fahrrad durch den roten, tiefen Sand zu unserem Haus schiebt. Für 40 Rappen packt er frische Brotringli in die Tasche am Gartetööri. Unsere Vorräte verwahren wir in bauchigen Tonkrügen, da wir mit Ratten reich gesegnet sind. Ameisen gibt’s hier in vielen Arten von Riesen- bis zum muntzigen Zwergameisli. Sie können auch eine Plage sein. Die Skorpione haben wir vertrieben und die Eidechsen tun einem nichts. Auf die frechen Ratten, welche alles klauen und die Geissen und Wasserbüffel muss man auch aufpassen, sonst ist alles irgendwie Essbare weg. Dem Samstag zuliebe hebe ich heute mit einem stiellosen Binsenbesen die „Wohnung“ gefegt: Rückenweh – Ergebnis fast null. Das einzige Putzmittel für ausnahmslos alles = Vim in einem Kartonbüchse. P. liess sich für den Fischfang begeistern und fährt auf klobigem Boot mit den Fischern hinaus. Wenn er zurückkommt, hilft Tanja das Boot aus dem Wasser stossen und hat viel zu tun, das hintere Rugeli immer wieder vorne unterzuschieben.
Wir verbringen viele Stunden am und im warmen Wasser. Die Sonne brennt heiss und wir sind schon halbe Neger. Obwohl der Platz hier paradiesisch ist, werden wir uns anfangs Februar wieder auf die Reise nach Norden machen. Die Mütter sollen sich über unsere Rückreise nicht sorgen! Wir werden durch Russland zurückfahren, wenn alles klappt. Iran und Türkei können wir so umfahren. Ausserdem findet man an den Grenzen andere Europäer, die auch zurückfahren, so dass man nicht allein ist. Es sind noch sehr viele unterwegs. Eben haben wir Schweizer getroffen, die wir vor einem halben Jahr in Griechenland kennen lernten.
Seid alle lieb gegrüsst –
Vierter Advent: Eine Streifenkopie
Was ich schon lange sagen wollte 1
Ich brauche Zeitungen, weil die – weniger als auch schon zwar, aber doch manchmal – schreiben, was ich längst denke, aber formal und verbal nicht auf die Reihe bekomme. Zum Beispiel den träfen Artikel von Kaspar Surber Von links nach oben in der WOZ vom 20. Dezember 2007. Der Titel bezieht sich auf die simple Tatsache oder amüsante Absurdität, dass Oppositionspolitik in einem reichen rechtsbürgerlichen Land schwerlich von reichen Rechtsbürgern gemacht werden kann, sondern – wenn schon – von links nach oben. Wir werden sehen.
Jetzt reden sie also von der Opposition. Und, vermutlich weil es sich reimt, auch von der Obstruktion. Es ist fast schon eine stehende Wendung, dass sie gegen dieses und jenes Gesetz das Referendum ergreifen. Doch es beschleicht einen der Verdacht: Weder Multimilliardär Christoph Blocher noch UBS-Verwaltungsrat Peter Spuhler noch der staatlich subventionierte Medizinhistoriker Christoph Mörgeli noch der gleichfalls subventionierte Bauernjunge Toni Brunner haben eine Ahnung von Opposition. Die Blocherclique politisierte nie gegen die Machtverhältnisse. Oben und unten in dieser Gesellschaft blieben, wo sie sind. Genauso wie ihre publizistischen Steigbügelhalter nie gegen den Mainstream schrieben. Sie radikalisierten einzig die bestehende Ordnung.
Wertschätzung
Was ich vor einem Jahr als „ein kleines Wunder“ bezeichnet habe, ist erneut eingetroffen. Mein oberster Chef hat mir und allen anderen Lehrerinnen und Lehrern des Kantons einen Brief geschrieben.
Das ist sehr nett. Besonders, dass sogar die Berufsfachschulen namentlich erwähnt werden. Zwei Zeilen für die Herausfoderungen der Reformen. Ich meine das jetzt nicht ironisch, ich bin wirklich erstaunt.
Zum Vergleich: Ich habe seit August 49 Stunden für die Umsetzung der reformierten Grundbildung gearbeitet; Website, Sitzungen, ppt Implementierung, neue Lehrpläne, neue Lektionentafel. Da ich vom Freelancen her Leistungsabrechnungen gewohnt bin, kenne ich meinen Aufwand dafür. Diese Arbeit ist eine Zugabe zu meinen übrigen beiden Pflichtenheften als Leiterin der Abteilung Buchhandel und als Lehrerin und Prüfungsexpertin, die mein Pensum auch ohne Reform längst überschreiten. Da ich gesamthaft 53% angestellt bin, entspricht mein Nebenbei-Engagement für die Reform in diesem Schuljahr bereits heute zwei zusätzlichen Wochen Arbeit.
Dafür zwei Sätze im Brief des Erziehungsdirektors zu bekommen, ist mehr Wertschätzung, als ich je zuvor erhalten habe.
Dritter Advent: Eine Streifenkopie
Tischgespräch [31]
[Kind putzt Tisch ab, indem es den Lappen gelassen auf dem Tischblatt kreisen lässt.]
Vater:
Bitte nicht die indische Methode!
Kind [murrt]:
Und was wäre die schweizerische Methode?
Vater [räuspert sich]:
In einem ersten Arbeitsgang wird der Schmutz mit Wasser aufgelöst oder mindestens angefeuchtet. In einem zweiten Arbeitsgang wir der Schmutz entfernt.
Kind:
Aha! Deswegen wurde auch der Lappen erfunden, weil er nur ein Ding für beide Arbeitsgänge ist.
Vater:
Genau. Es ist ohne weiteres möglich, ihn nach dem ersten Arbeitsgang sauber auszuwaschen und ihn so in optimalem Zustand für den zweiten zu benutzen.
Mutter:
Das ist heutzutage sogar in Indien möglich.
Vater:
Das ist aber nicht der Punkt. Kasten hin oder her – geputzt wird in Indien sozialistisch. Zum Beispiel wird der ungleich höhere Schmutzanteil im Eingangsbereich eines Flughafens mittels Geduld und Lappen gleichmässig auf den ganzen Hallenbereich verteilt. Der Lappen wird den ganzen Tag im gleichen Wasserkessel mit dem gleichen Inhalt geschwenkt. Es geht hier eben nicht darum, den Schmutz zu entfernen, sondern darum, das Schmutzgefälle aufzuheben.
Die nationale Ebene heute
Es ist schon sehr schmeichelhaft, als bloggende Buchhändlerin müdlich und per Mail nach der Meinung zur Bundesratswahl gefragt zu werden.
Nur leider bin ich eine schlechte Politik-Analytikerin, ich irre oft.
Und ich kann heute nicht mehr sagen, als gestern oder vor einem Jahr: Bundesrat Blocher ist ein Undemokrat und deswegen keiner, den wählen darf, wer demokratisch ist.
Es gibt Konflikte, die brauchen Eskalation, das ist in allen Parteien so. Unabhängig von der Zu- oder Absage von Frau Widmer-Schlumpf hoffe ich, dass sich die SVP spaltet, der Mörgeli-Maoismus in dieser Fraktion seinem Ende zugeht und die Parteimitglieder das eigene Hirn reaktivieren. Dann kann ich als überzeugte Demokratin nämlich mit der SVP gut leben, weil sie einen Teil der Bevölkerung vertritt und deswegen auch gebührend vertreten sein soll.
Links:
– Kurzfassung der heutigen Geschehnisse.
– Dokumentation eines Auftrags, den niemand erteilt hat.
– Rückblicke, Ausblicke und Kommentare wie immer bei eDemokratie