[Vater macht Piercing-Faxen mit japanischen Tischstäbchen.]
Kind:
Hör auf, das sieht grausig aus.
Vater:
Aber das haben manche Neger in Afrika auch quer durch die Nase.
Kind:
Sag nicht Neger, das ist rassistisch.
Vater:
[seufzt ertappt.]
Kind:
Sag „Farbige“ … Allerdings erinnert mich das mehr an rosa oder orange.
Mutter:
Mich auch. An Kinderüberraschung.
Vater:
„Farbig“ ist schon seit zehn Jahren nicht mehr korrekt.
Mutter:
Ich meide die Bezeichnung der Hautfarbe einfach. […] Vielleicht ist das ja der Sinn der Korrektness. Nur gibt es Situationen, in denen die Rasse für eine nähere Beschreibung nötig ist und das war wohl hier mit dem blöden Bild vom Stab durch die Nase so ein Fall. Und in den USA ist „race“ auch bei allen Gruppen gebräuchlich.
[… Alle schweigen ratlos.]
Kind:
Muss ich wirklich die Teile der Geschlechtsteile noch einmal alle aufschreiben?
Mutter:
Wenn es im NMM-Test kommt, würde sich das wohl empfehlen.
Vater:
Also wir hatten das nie in der Schule. Das war alles viel zu peinlich.
Mutter:
Wir schon, aber weniger konkret. Die Befruchtung setzte erst nach dem Geschlechtsakt ein und war austauschbar mit der bei Tieren und Pflanzen.
Vater:
Kein Wunder, in der Steinerschule gibt es sowieso nur diese undefinierbaren Leiber: Erdenleib, Sternenleib…
Mutter:
Sternenleib? Kann ich mich nicht erinnern.
Vater:
Halt Astralleib!
Mutter:
Stimmt, das kommt mir irgendwie bekannt vor.
Kind:
Was ist mit diesem Leib gemeint, was soll das heissen?
Vater:
Das ist anthroposophisch. Und Anthroposophie besteht aus unverständlichen Ausdrücken, die Rudolf Steiner erfunden hat.
Kind:
Also in meiner Klasse war ein Mädchen in der Steiner-Schule schnuppern und sie hat nichts davon gesagt. Es hat ihr gefallen.
Mutter:
Mir hat es auch gefallen. Das Unverständliche war zweitranging. Und weil ich viel gelesen habe, hat es mir nie an Aufklärung gefehlt. Aber vielleicht hat sich der Lehrplan in der Zwischenzeit auch etwas geändert. Der Lehrer, mit dem ich Biologie hatte, lebt auf jeden Fall nicht mehr.
Kind:
Es ist gut, bleibt das Mädchen noch bis zum Sommer bei uns. Bis dann haben wir die Grundlagen sicher durch.
Kategorie: Leben daneben
Ausserschulisches und Vermischtes
Ein kaltes Eisen
Die Politik der Zukunft wird die alten Kategorien von „links“ und „rechts“ und das alte Parteien-Lagerdenken überwinden müssen. Ich bin für eine klassische Law und Order-Politik im Inneren (rechts). Ich bin, im Namen von Menschenrechten und der Befreiung der Armen für weltweite Militäreinsätze gegen Diktatoren und Schlächter (rechts? links?). Gleichzeitig bin ich für starke Umwelt-Investitionen (grün), mehr Ausländer im Inland (links) – ich will aber klügere, ausgewähltere, englischsprechende (neo-liberal). Ich bin für eine massive Reduzierung des Kündigungsschutzes (ultraliberal). Gleichzeitig bin ich bereit, weiterhin die bizarr hohen Spitzensteuern (links) zu zahlen, wenn diese in einem erstklassigen, leistungsorientierten, modernen Ganztags-Schulsystem verbaut werden (Gesamtschule, also links). Ich verlange für mein Steuer-Geld effektive, serviceorientierte Verwaltungen und gutgeschwungene Autobahnen. Wenn ich alles dies nicht kriege, werde ich mein Geld schwarz ins Ausland bringen (kriminell? Notwehr? CDU?).
Das meint Matthias Horx in einem seiner Kommentare in der Wiener PRESSE. (Zuerst entdeckt bei arts20, Quelle mit dem Urheber direkt geklärt, danke sehr.)
Solche Zitate sind heute beliebt. Die Folge des Anspruches sich nur mit Deckungsgleichem zusammenzutun, ist bekanntlich eines der Probleme unseres Soziallebens wie auch der direkten Demokratie, der dadurch das Personal ausgeht.
Jahre lang habe ich gedacht, die Kehrseite der Medaille würde uns dafür weiter bringen. Aber leider gibt es die nicht. Sich nicht festlegen zu wollen und offen zu sein für alles, bedeutet noch lange nicht kompromissbereit und konsensfähig zu sein. Im Gegenteil. Die grössten Betonköpfe begegnen mir genau unter jenen, die bei jeder Gelegenheit das Gärtchendenken der Parteien, den spiessigen Ansatz der Vereine, die Korruption der Interessegruppen und die Wirkungslosigkeit der Selbsthilfeorganisationen betonen. Vitales Bedürfnis Nicht-Festgelegter nach Sturheit trifft auf die ermattete Suche Rest-Engagierter nach Annerkennung für sich selbst und die, denen sie halt angehören.
Exgüsé, aber ich weiss weder, wie wir mit dieser Besetzung das Klima retten, noch die Integration vorantreiben geschweige denn das politische Interesse steigern. Bekenntnisse wie das von Horx unterhalten mich zwar, aber sagen mir nichts ausser: Ich bin so besonders.
Warum auch nicht?
Ach ja, noch was: Pilot-Versuch eines Verkehrsministers.
Dialog in der Waschküche
… oder wie sie daran erinnert wurde, dass er auch einmal Buchhändler gewesen ist.
Sie:
Kein Wort davon habe ich je gesagt! Keeeeeein Wort! Keins!
Er:
Kein Wort nirgends. Kein Mord nirgends. Kein Brot nirgends. Kein Ort. Nirgends.
(Between) Business Lunch
Ich weiss nicht, wie andere Zusammenlebende das machen, ob sie nun Familien mit oder ohne Kinder, ob sie nun gleichen oder ungleichen Geschlechts sind: sie müssen sich regelmässig treffen und keine Bediensteten der Welt können ihnen das abnehmen. Denn Entfremdung führt zu Problemen, die erst mitgekriegt werden, wenn sie schon riesig sind. Eine geschätze Politikerin und äusserst vernünftige Frau hat mir erzählt, wie sie eines Abends früher nach Hause gekommen ist, ihre Familie einmal nicht aus dem Nach-Sitzungs-Blickwinkel angeschaut hat und feststellen musste, dass ihre Tochter klapperdürr war. Es war ihr nie zuvor aufgefallen, denn es war doch alles so gut organisiert.
Jetzt werden die meisten seufzen, dass ihnen das nicht passieren kann, dass sie es bemerken würden, wenn ihre Kinder, Partner wer-auch-immer, mager- oder sport- oder alkoholsüchtig wären und dieses Gefühl ist wunderbar und soll genossen werden. Meine leisen Zweifel sind es, die mich die Famlientermine gleichwertig mit allen anderen in die Agenda eintragen lassen.
Und einmal die Woche schaffen wir sogar einen Lunch und sehen uns mitten am hellichten Tag. Und weniger als zu zweit waren wir drei dabei noch nie.
Tischgespräch [24]
Kind:
Also ich möchte eher einen ausgeglichenen Job machen später… Also nicht einen, wo du eine Woche nur rennen und rechnen und präsentieren musst und kaum schlafen kannst und dann in einer anderen Woche vielleicht den ganzen Tag Fehler suchen oder so.
Mutter:
Ich weiss gar nicht, welchen Job man da wählen könnte. Vielleicht Verkauf in einem Supermarkt? Aber auch da gibt es Spitzenzeiten. Vielleicht Buschauffeur?
Kind:
Ja, da hängt von dir allein nicht so viel ab. Ich meine, du zum Beispiel musst immer jede einzelne Anmeldung zählen und zittern, ob deine Klassen voll werden und ob du die Lehrer angestellt behalten kannst und musst jeder einzelnen Lehrstelle nachrennen…
Mutter:
Hui, was du alles weisst!
Kind:
Und Papa muss alles tun, um diese Riesenaufträge zu bekommen, jetzt wo man die immer in ganz Europa ausschrieben muss, ist es noch viel stressiger.
Mutter:
Er ist nicht allein, er ist in einem sehr guten Team, er hat gute Chefs. Und ich versichere dir, dass er ruhig schläft.
Kind:
Aber trotzdem! Ich werde lieber etwas Ruhigeres.
Mutter:
Was könnte das denn sein?
Kind:
Psychotherapeut.
Mutter:
Ach, ich weiss nicht, ob das das ruhiger ist. Ich meine, dann hast du irgend einen Suizidalen, der dich zu Hause anruft… Das kann ja auch stressig werden.
Kind:
Aber es kommt viel mehr drauf an, wie du selber bist und nicht nur, dass du immer und immer jede neuste Entwicklung voraussiehst und sofort jede neue Erkenntnis anwenden kannst.
Mutter:
Also ich weiss nicht recht…
Kind:
Als Psychotherapeut brauchst du Fachwissen von der Uni, Erfahrung mit Problemen und musst mit beiden Beinen auf dem Boden stehen.
Mutter:
Das stimmt auf jeden Fall. Aber ich muss leider sagen, dass – abgesehen davon, dass unser Fachwissen nicht von der Uni kommt – dies genau das ist, was deine Eltern in ihren Berufen auch brauchen. Das gilt wohl sogar für einen Kranführer.
Kind:
Ja, ja, vor allem das mit den Beinen auf dem Boden!
Im Zeitalter der *cams
… erfahren Familien Erleichterung, weil sie die unendlichen Brettspiele des Wochenends nicht die ganze Arbeitswoche hegen und pflegen müssen, sondern die Aufstellung fotografieren und bei Bedarf nachstellen können. (Und wieder büsst das Game einen Vorteil ein. Das Speichern.)
Blaue Pillen
Fredrik Peeters,
Blaue Pillen
Reprodukt 2006
978-3-838511-62-6
Originaltitel: Pilules Bleues
Selten wurde eine Comic-Neuerscheinung so häufig und positiv besprochen. Aber richtig gute Besprechungen gabs dann doch nicht. Die Rezensenten, die den Ton getroffen haben, haben den Inhalt falsch wiedergegeben, und die, welche wirklich genau gelesen haben, hatten nur einen Blick für Aids.
Mag zwar sein, dass das Buch ohne die Krankheit nicht geschrieben und gezeichnet worden wäre. Aber es ist trotzdem mehr als ein Buch über HIV und Aids.
Es ist konsequent hohe Kunst, wie man sie heute ab und zu gerade im Genre Comic findet. Manchmal kommt mir diese Jahrhundertwende ein bisschen wie die letzte vor. Eine Zeit, in der eine neue Gattung auf die Spitze getrieben wird. Anstelle der Novelle ist es nun die grafische, die (auto-) biografische Novelle.
Fredrik Peeters Kunst muss man nicht erkennen um das Buch zu lieben, aber schaden tut’s nicht. Dieser Zeichner hat die Perspektiven im Griff. Die Figuren treiben durch das Bild, sie schieben sich hinein und hinaus, vor Gegenstände und dahinter. Mit seinem aussergewöhnlichen Wechselspiel von Selbst- und Fremdwahrnehmung hat Peeters einen Meilenstein gesetzt. Klein aber gültig. (In Französisch schon vor fünf Jahren, endlich übersetzt.)
Es ist eine autobiografische Geschichte. Cati läuft dem Ich-Erzähler-Zeichner ab und zu über den Weg, mal zu angenehmen Anlässen, mal zu unangenehmen Zeiten. Als er sie richtig kennen- und verstehen lernt, hat Cati einen kleinen Sohn und beide haben HIV. Die „blauen Pillen“ stehen für die Therapie, die bei Catis Sohn begonnen werden müsste. Und die ihr selber Sex ohne Gummi ermöglichte, wenn auch sie damit anfangen würde. Bei ihrem Sohn stimmt sie schweren Herzens zu. Selbst will sie nicht – wollen sie beide Liebenden nicht – „kapitulieren“.
Aber wenn das Buch Musik wäre, so wäre Aids nur die Tonart. In anderen Zeiten und Werken ist es der Krieg, die Flucht oder die nicht angemessene Herkunft, die Paare zwingt, sich auf das Wesentliche zu besinnen, Witz in den Ernst des Lebens zu mischen, Kleinigkeiten zu schätzen und Kleinlichkeiten zu lassen.
Es ist eine Liebesgeschichte, die ihresgleichen sucht. Ich bezweifle, dass ich seit „Schloss Gripsholm“ etwas empfehlen könnte, das so selbstverständlich am Kitsch vorbei geht und so nah ans Glück herankommt.
World Press Photo of the Year 2006
Jedes Jahr, bevor die besten Fotos der Weltpresse gekürt werden, prämiere ich im stillen Kämmerlein die, die ich am besten fand. Ich habe zwei Schubladen mit einem ungeordnete Archiv und eine Linksammlung. Wer Bücher beurteilen will, muss nicht nur eine Ahnung von Textqualität sondern auch eine Vorstellung von Bildqualität haben.
Das beste Bild ist meistens ein bekanntes, jedenfalls für regelmässige News-Konsumenten und daher meistens keine grosse Überraschung. Bei den anderen prämierten Bildern gibt es ebenfalls Parallelen zu meiner privaten Vorauswahl, aber eher selten.
Ich finde die Wahl der Jury in der Regel sehr gut und habe – genau wie in jedem vorhergehenden Jahr – Fotos entdeckt, die von etwas erzählen, von dem ich keine Ahnung hatte.
Es sind unendlich viele Kriterien zu berücksichtigen. Eine Jury kann zwar eine Liste mit Favoriten führen, aber Pressefotografie bedeutet Aktualität. Viel Gutes würde ihr entgehen, würde sie allein auf bewährte Namen und Eurozentrismus setzen.
Heuer gibt es allerdings einen Fall, in welchem ich die Jury belehren möchte. Ein Ereignis hat sie unterschlagen, obwohl es – gerade für die Presselandschaft – ein sehr wichtiges war und ausgezeichnete Fotos davon gemacht worden sind. Ich habe mir einige aufbewahrt, schwarz-weiss und inzwischen schon fast ein Jahr alt und etwas vergilbt. Mein Pressefoto 2006 in der Kategorie „People in the News“ wäre dieses gewesen:
via Netzzeitung, (c) dpa.
Ja, es ist Italien. Nein, nicht der WM-Final. Sondern Prodis knappe Wahl. Und Berlusconis Abwahl.
Sportwoche
Lange Jahre war die „Sportwoche“ eine kleine Zugabe zu den übrigen Schulferien, um zur Bewegung anzuregen und die Kinder nach rachitischen Tagen in dunklen Stuben noch etwas an die Sonne zu befördern. Seit dem Herbstschulbeginn ist die „Sportwoche“ zu einer Zäsur geworden, die arbeitstechnisch nicht aus dem Lehrerleben wegzudenken wäre. Und weil es sich bloss um eine Woche handelt, betätigen sich Lehrerinnen und Lehrer dann nur in kleinsten Zeitfenstern sportlich, denn sie haben nämlich bis zum letzten Schultag Noten gemacht und Zeugnisse geschrieben und müssen dringend neuen Unterricht vorbereiten. Daneben streiten sie sich mit ihren Partnern und Kindern, die jedes Jahr lockere Ferien erwarten und jedes Jahr eine intensive Arbeitswoche bekommen.
Um doch etwas Zeit für Sport abzuzweigen, habe ich mir einfach den Weihnachtsstress nicht abgewöhnt, obwohl ich keine Bücher mehr verkaufe. So mache ich also über Weihnachten die Vorarbeit für das neue Semester und setze mich erst mit brauchbaren Semesterplan-Entwürfen und der Kleinfamilie in die Berge ab.
Es werden dann einfach Ferien mit Notebook. Morgens fahre ich meistens Ski, nachmittags lese ich, abends arbeite ich für die Schule. Dieses Jahr habe ich meine Sportwoche-Liste zwar sehr kurz gehalten, kann aber trotzdem nur 70% abhaken. (Einmal bin ich einfach eingeschlafen. Mitten über dem Entwurf für die schriftliche Abschlussprüfung. Was mir besonders respektlos erschien.)
Auf der Gondel, mit Blick auf muntere Gämsen (endlich! Das meist zitierte Wort der Rechtschreibereformkritiker! Völlig natürlich verwendet!) und in die klimagewandelte Bergwelt habe ich konsterniert festgestellt, dass ich nur ein Arbeitsblog habe und dass ich weder philosophisches Geschwurbel noch romantische Ausschweifungen hier unterbringen kann.
Doch ziemlich sicher vermindert eine grosse Schnittmenge von Blogger- und Arbeitsprofil post-internette Identitätsprobleme. Und das ist doch auch ganz schön.
Kurze Pause
Weil seit Gezeiten schon im Atemholen Gnaden lagen, mache ich das jeweils zwischen den Semestern.
Ich wünsche allen eine gute Woche. Und mit auf den Weg geb‘ ich und nehm‘ ich einen kleinen Goethe-Talisman:
Im Atemholen sind zweierlei Gnaden:
Die Luft einziehn, sich ihrer entladen;
jenes bedrängt, dieses erfrischt;
so wunderbar ist das Leben gemischt.
Du danke Gott, wenn er dich preßt,
und dank ihm, wenn er dich wieder entläßt.