nicht laut noch leise

Ich bin sicher keine Bloggerin, die oft über die Presse schnödet. Medienmenschen machen ähnliche Arbeit wie Buchmenschen, mal besser, mal schlechter, mal unabhängiger, mal grosskonzerniger, aber immer pünktlich als tägliches Brot auf jedem Tisch.
Das Lob für gewisse Beiträge kommt zu kurz und wenigstens hier und heute soll es anders sein.
Ich war erstaunt und froh in der Berner Presse einen halbseitigen Bericht zur Liquidation der Journalistin, Autorin und Olof-Palme-Preisträgerin Anna Politkovskaja zu lesen. Dank für den Artikel im heutigen Bund an Klaus-Helge Donath in Moskau.
Dank auch an den Standard für das Dossier, auf welches mich Liisa hingewiesen hat.
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Und ich bin dankbar, dass Charles Linsmayer immer sehr Buch-orientiert über die Messe berichtet. Auch wenn ich seine Meinung bisweilen nicht teile (Zitat: „Indien (…) mit einer Ausstellung, die in ihrer spröden und einfallslosen Art an die Präsentation einer Exportbank erinnerte“), ist es doch überwiegend eine Wohltat seinem Augenmerk zu folgen. Am vergangenen Samstag hat er als einer der wenigen über die Messe-Institution Lesezelt geschrieben:

Das Lesezelt ist nicht nur der einzige Ort, wo Bücher wirklich Aufmerksamkeit finden, es finden da bisweilen auch Buchpräsentationen statt, die weit über die Messe hinaus für Aufmerksamkeit sorgen.

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Heute hat Linsmayer die Messe mit dem Bund-Artikel Lebendig wie eh und je: Das Buch abgerundet…

«Die Personalisierung im offenen Raum nimmt zu», meint Kiepenheuer-Chef Helge Machow. (…)
Weiblich, jung und hübsch muss sein, wer im Frankfurter Rummel mit Literatur Furore machen will. Wie Katharina Hacker, die Gewinnerin des Deutschen Buchpreises, die sich gerne mit ihrem vier Wochen alten Baby zeigt und deren triste deutsch-britische Paargeschichte «Die Habenichtse» kaum ein Kritiker ausserhalb der Jury Thomas Hettches «Woraus wir gemacht sind» oder Sasa Stanisics «Wie der Soldat das Grammofon repariert» vorgezogen hätte. Oder aber männlich, alt und umstritten. Wie Martin Walser, dessen Konterfei omnipräsent ist, wie Günter Grass, der auf dem «Blauen Sofa» über die FAZ herzog, die Briefe von ihm veröffentlicht hat, in denen er vor Jahren Wirtschaftsminister Schiller aufforderte, die NS-Vergangenheit offen zu legen.

…aber den Titel gleichzeitig im Kommentar Schöne neue Weltbildwelt auf sympathisch altväterische Weise negiert.

Könnte man die Hälfte der fast 400 000 Neuerscheinungen zum Verschwinden bringen: Es wäre nicht schade darum, ja für die verbleibenden sogar besser. Bloss würde die Hälfte, die bleiben soll, für jeden wieder anders aussehen, so dass insgesamt eben doch die ganze Fülle erhalten bleiben muss: das Thai-Bio-Kochbuch ebenso wie der rätoromanische Gedichtband.

Messeschwerpunkt: Indien

Die Ergründung meiner besonderen Freude auf die Buchmesse hat vor allem zwei Ergebnisse ans Licht des Bewusstseins geführt:

  • Ich bin kleinkindlich veranlagt und freue mich besonders auf Dinge, die ich bereits kenne.
  • Ich möchte meinem Kind Indien näher bringen, weil ich in seinem Alter dort gewesen bin.
  • Fotos von dieser Zeit sind nicht viele vorhanden, die Kamera wurde bereits in der Türkei entwendet und der Agfa Click funktionierte als Ersatz mehr schlecht als recht, weshalb es mir an Anschauungsmaterial für meine Nachkommen fehlt. Aber Tschela, die heilige Kuh, die in Rishikesh neben Zeitungen auch noch mein spärlich vorhandenes Schulmaterial auffrass, war seit jeher beliebt beim Kind, besonders ihr Name. „Tschellah!“ ist Hindi (oder Marathi oder Gujarati oder Malayalam oder Tamil) und bedeutet „Hau ab!“.
    Indien 1979
    Mein Kopf hingegen ist voll von Indienbildern und es ist mir nie schwer gefallen, dem Land treu zu bleiben. Von Ferne. Nur einmal war ich in meinem Erwachsenenleben dort, auf der Durchreise nach Nepal. Aber eine gute Idee ist das nicht gewesen, viel mehr ein verstörender Zwischenhalt, den ich besser gemieden hätte. Indien wird für mich nie ein Ferienland werden.
    Doch die indische Buchproduktion ist mannigfaltig und die Verlegerschaft sehr charmant. Deswegen waren die beruflichen Zusammenkünfte mit Land und Leuten für mich immer eine angenehme Sache. Schillernde Dekoration, gradliniger Intellekt, rigorose Übertreibung und eine Prise Chaos werden dieses Jahr für ein besonderes Messeklima sorgen. Den Pressespiegel zu Indien macht übrigens Frau Odile Ostsee in der Literaturwelt ganz vorzüglich (Titel: „Was sich in Feuilletons und Literaturbeilagen über indische Literatur findet“) und das hr-spezial ist auch nicht ohne.
    Wie stets erscheinen viele Bücher im Zusammenhang mit dem Messeschwerpunkt. Mein Tipp ist klein, fein und äusserst preiswert: Indische Liebesgedichte; für die Besprechung mache ich einen separaten Beitrag.

    Warum ich lesen muss

    Nach einem statistisch gesehen knappen halben Leben, kann ich mit Fug und Recht und jeder Menge Zeugen behaupten, ein Mensch zu sein, der angesprochen wird. In Not? Unsicher? Lehrstelle? Fahrplan? Erstleser? Pleite? Wer die Wahl zwischen mehreren hat, fragt mich. Wer keine Wahl hat, fragt auch mich. Das ist schon seit dem Kindergarten so. Ich weiss, dass es ausser mir noch andere solche Menschen gibt, aber die wissen vermutlich nicht, wie froh ich um sie bin. Es sei hiermit festgehalten.
    Ab und zu stelle ich mir die Frage, ob ich vielleicht deswegen so früh und heftig zum Lesen gekommen bin? Wenn ich nämlich – und das tue ich natürlich – in der freien Wildbahn lese, den Titel gut verdecke und die Nase wirklich bis beinahe in den Falz zwischen den gegenüberliegenden Seiten stecke, dann fragt mich keiner etwas. Manche versuchen eine kleine Kontaktaufnahme mit „…muss ja spannend sein, das Buch“ aber darauf braucht man ja nicht zu antworten, ein Nicken tut es auch. Heute wieder einmal angewendet, als ich beim Schuhmacher auf die Absätze meiner Stiefel wartete.
    „Gutes Buch?“ [Nicken.]
    „Viel lesen?“ [Nicken.]
    „Ich nicht.“ [Nicken.]
    „Viel Arbeit.“ [Nicken.]
    „Auch Arbeit?“ [Nicken.]
    „Wo Arbeit?“ Sch*****.

    Waffen sind sportlich

    Nicht, dass ich etwas anderes erwartet hätte, beileibe nicht. Die Debatte heute verlief völlig im Bereich meines Vorstellugnsvermögens. Das sportliche Element gehört natürlich dazu, des Justizministers saloppe Reaktionen ebenso. Ich zitiere ohne Zusammenhang Antworten auf linke Einwände aus dem amtlichen Bulletin:

    Vaudroz René (RL, VD), pour la commission: Je pense que vous oubliez que le tir est un élément du sport. C’est une discipline olympique et il y a énormément de tireurs sportifs dans ce pays, et pas seulement des gens qui font leurs cours de répétition. Cette discipline donne de longue date des médailles à notre pays. Et une grande partie de la population s’identifie avec ce tir sportif.

    Blocher Christoph, Bundesrat: Ich sage es: Gelegenheit macht Diebe. Aber Sie müssen doch nicht sagen: Waffen machen Selbstmörder. Stimmt leider nicht; das Sprichwort lautet auch nicht so.

    Sogar mir Gutmensch ist klar, dass sich der Staat nur bedingt darum zu kümmern braucht, ob sich die Menschen erschiessen. Leider erschiessen sie in Staaten, in denen mehr Waffen besser zugänglich sind, auch einander signifikant häufiger. Doch selbst hier sieht das liberale Argusauge unerwünschte Einmischung, und deshalb sehe ich der weiteren Debatte pessimistisch entgegen. Ändern wird den Verlauf nicht einmal das ausnahmsweise nicht so liberale Zug, denn das setzt sich bloss dem beliebtesten aller schweizer Vorwürfe aus: Überreaktion.
    Überreaktion auf drei tote Mitglieder des Regierungsrats, 11 tote Mitglieder des Parlaments, 18 teils schwer Verletzte (gelähmt, Hirnschäden), 30 Halbweisen, Unzählige mit Angstsymptomen und einen toten Amokläufer, ebenfalls mit Hinterbliebenen.
    (Erklärung fürs Ausland: Die Linke wirft der Rechten „Überreaktion“ bei der Verschärfung des Asylgesetzes vor, die Rechte der Linken beim Ergreifen des Referendums dagegen – das ist hier ein Schimpfwort. Ausser auf Unpünktlichkeit, Schmutz und Nicht-Einhaltung des Bankgeheimnisses sowie der Privatsphäre von Politikern werden keine heftigen Reaktionen akzeptiert. Insofern ist „Asterix bei den Helvetiern“ kein Comic, sondern die Realität.)
    Aus Chronistinnen-Pflicht und wider die Resigantion trotzdem noch die Einschätzung von Hanspeter Uster, der vor fünf Jahren von Leibacher angeschossen worden und doch sehr sachlich geblieben ist.
    „Waffen sind sportlich“ weiterlesen

    Notizen einer Missgünstigen

    …auf einer Zugfahrt Bern-Zürich am Freitag, 22. September:
    Frau Kaltmamsell hat ihren schönen Text Vaters Tochter mit einer interessanten Überlegung zur Reaktion auf Erfolg abgeschlossen. Das hat mich als missgünstig veranlagten Menschen nicht kalt gelassen. Doch die Anlage ist eines, die Aktion etwas anderes.
    Frau Radisch zum Beispiel ist mir unsympathisch. Eine äusserst belesene Person zwar und zweifelsfrei eine fundierte Buchkritikerin. Hat einen netten Mann, drei nette Kinder, ein paar akademische Titel, ein breites Lächeln, ein fotogenes Gesicht, jede Menge Ansehen – aber im Grunde kann sie nicht viel mehr als viele andere.
    Mit den Jahren ist auch mir klar geworden, dass Missgunst auf Irrtümern beruht. Deshalb gelingt es mir heute in der Regel, meinen neidischen Gedanken korrigierend entgegenzuwirken. Und weil ich im Zug sitze, habe ich auch gerade ein Beispiel davon anzubieten.
    Neben mir hat eine gut aussehende Mutter mit zwei gutaussehenden Kindern von schätzungsweise 10 und 13 Jahren Platz genommen. Die ältere Tochter – in der Berufswahlphase, wie ich dem ausgewogenen Gespräch entnehme – liest einen Jugendkrimi, der jüngere Sohn einen Abenteuerroman, die Mutter einen Artikel vom vergangenen Mittwoch, zum 90. Geburtstag von Paul Parin (den ich längst gelesen habe, hähä).
    Drei freundliche Menschen fahren friedlich nach Zürich-Kloten, um von da aus für 14 Tage in die Herbstferien zu fliegen. Es gäbe zahlreiche Gründe, sich daran zu erfreuen.
    Gedanken ohne Filter: Voilà, ds Mami hat ihre Kinder in der Nähe, fliegt mit Papis Geld ans Meer, während ich mich auf dem Weg zu einer Sitzung noch durch die Traktandenliste beisse und schnell eine Aufstellung dessen mache, was das Kind fürs Sportlager braucht, welches es in seinen Ferien besucht, weil die Eltern ja arbeiten. Den Aufpreis für die erste Klasse berappe ich selber und übers Wochenende werde ich Wäsche machen, Schuhe und Jacken imprägnieren und meinem Chef seine Texte in 9-Punkt-Times gegenlesen, während die in der Sonne liegt und sich vom Hotel bekochen lässt. Hausfrauen!
    Gedanken im Korrekturmodus: Die Frau beneidet mich auch. Die denkt sich, mein Gott, diese Schnepfe sitzt hier in der ersten Klasse, tippt etwas Wichtiges in ein teures eigenes Notebook; macht eine nette Karriere, während ich mit den Kindern allein auf Korfu rumhänge und Glück habe, wenn ich dort einen Erwachsenen unter Siebzig treffe.
    Wir machen beide unser Ding so gut wie wir es vermögen – that’s it. Was verdiente und was unverdiente Erfolge sind – who knows. Das verflixte an der Missgunst ist ja, dass sie die Wirklichkeit aushebelt. Wie beim alten Witz vom Dällebach Kari, der zu seinem Kollegen sagt:

    Es git immer drei Wahrheite: Dini, mini und wie’s isch.

    Aber es ist ein gutes Gefühl und eine hehre Herausforderung, Neid, Missgunst und Niedertracht gegenüber erfolgreichen Mitmenschen zu bekämpfen. (Na ja, ausser bei Frau Radisch vielleicht.)

    Chiropraktik, Buchmesse, Dählhölzli

    Es gibt Montage nach Abstimmungswochenenden, da bin ich froh, genügend zu tun zu haben und mich weder der Zeitungslektüre noch der Volksmeinung hingeben zu können.
    Als bürogeschädigte Person mit Mausarm bin ich eine regelmässige Nutzerin der Chiropraktik. Da mir neulich zu einer der wenigen Gelegenheiten, an denen ich ein Auto brauche, eine Dame aufgefahren ist, war mein Besuch heute Morgen nicht Prävention sondern Notwendigkeit.
    Danach sprintete ich durch Pfützen zurück ins Büro, um das Programm für die Frankfurter Buchmesse fertig zu machen, alles online zu stellen und die freundlichen Verlage noch einmal schriftlich zu verdanken, die meine Schülerinnen und Schüler an ihren Messeständen empfangen werden.
    Darauf rannte ich weiter durch den Regen in ein Aussenquartier, um das Kind einer Freundin zu übernehmen, die ihrerseits lossputete, um in einem anderen Aussenquartier Migrantinnen zu unterrichten.
    Ich, das Freundinnen-Kind, meine Schwester und meine neue Nichte sind gemeinsam durch die Regenfäden ins Vivarium des Dählhölzlis spaziert und das war wirklich schön! Wir guckten entzückt nach Langhalsschildkröten, unterschieden männliche und weibliche Leguane zweifelsfrei und riefen „jööö!“ bei dem jungen Seehündchen.
    Neben uns am museumspädagogisch durchdachten Teich war ein bekannter Politiker gerade dabei, seinem Göttimeitli die Seehundnase zu erklären. Vielleicht konnte er die Überstunden von gestern kompensieren und vielleicht dachte er einfach nur: es gibt Montage nach Abstimmungswochenenden…
    Fisch im Fenster

    Ich bedaure

    das Abstimmungsresultat ausserordentlich und hatte mich vom Unterschriftensammeln bis zur letzten Minute für das Gegenteil eingesetzt, allerdings ohne mir Hoffnung auf Erfolg zu machen.
    Wenn ich auf der Jonet-Liste lese, man sei erstaunt über die Existenz von rechtsextremen Vereinen im „Uhrenland“, wenn ich in ausländischen Zeitungen vom wunderbaren Engagement dieser Nation für den UNO-Menschenrechtsrat lese, dann hoffe ich inständig, dass die Verschärfung immerhin dazu beitragen wird, unser Image im Ausland zu korrigieren. Wir sind nämlich ein Land, das für Ausländerhass und Ausgrenzungsgründe jeglicher Couleur höchst empfänglich ist.
    Dennoch wäre mein Statement nicht komplett, ohne die Linke – zu der ich mich zähle – zu erwähnen. Dieses Ergebnis ist nicht nur ein Verdienst der Rechten und Gärtchendenker. Genau so ist es ein Verdienst der Linken, die sich in den letzten Jahrzehnten nicht integrationsbereit gezeigt, sondern Nicht-Integration oft untätig abgenickt hat. Oder sogar an Demonstrationen – wie zum Beispiel am 1. Mai – Seite an Seite mit Organisationen marschiert ist, die die Integration erschweren oder gar verunmöglichen.
    Ich wäre gerne zuversichtlich, dass das jetzt anders wird und werde mich weiterhin dafür einsetzen. Für einen anstrengenden, differenzierten und beharrlichen Dialog über das Zusammenleben in Freiheit.
    Dank an: Asylpolitik.ch für den Mediawatch während der ganzen Phase des Referendumskampfes, ignoranz.ch für den frechen Tonfall, Balthasar Glättli von Solidarité sans frontières für die zuverlässigen Mailings und Ursula Wyss, weil sie das Thema auf ihre Agenda gesetzt hat, obwohl nichts so sicher ist, wie dass sie dafür in den Nationalratswahlen 2007 Stimmen einbüssen wird.

    Refusé III

    Den Abschluss der Rückweise-Trilogie macht der Titelgeber. Der Text wurde von Guy Krneta in Berndeutsch geschreiben und von Uwe Dethier ins Hochdeutsche übersetzt.
    Das Manifest der Kulturschaffenden, die Nein stimmen. Und jetzt noch eine Woche Überzeugungsarbeit leisten, dann wissen wir mehr.

    Wenn man sich das Gesetz so anschaut, wie müsste dann so ein Flüchtling sein, der dem Flüchtling in dem Gesetz entsprechen wollte? – Es müsste jemand sein, der seine Papiere mitgenommen hat, seinen gültigen Reisepass, Geburtsurkunde, Blutspendeausweis, Familienbüchlein. Es müsste jemand sein, der nicht hier her kommt, um hier die Hand auf zu halten. Also jemand, der Geld hat und Geld mitbringt und nicht angewiesen ist auf unsere Sozialhilfe. Jemand, der gleich wieder gehen will, weil er oder sie woanders eine Zukunft hat, Familie, Haus, guten Job, wo er oder sie davon leben kann. Jemand, der sich kurz hat beurlauben lassen daheim, aus politischen Gründen, für zwei oder drei Monate, um nach zwei oder drei Monaten wieder daheim zu sein, wenn sich die Lage daheim stabilisiert hat. Jemand, der nicht hier her kommt, um von hier aus zu agitieren, dass sich die Lage daheim stabilisiert. Der die Absicht hat, sich möglichst schnell zu integrieren, die Sprache zu lernen, die Kultur und alles, um möglichst schnell wieder zu gehen. Und das Gelernte in der ganzen Welt zu verbreiten, damit alle wissen und verstehen, was die Schweiz für ein Rechststaat ist… Einer, der dabei ist, gegen internationales Recht zu verstoßen. Um die ins Unrecht zu setzen, die vor dem Unrecht geflohen sind. Denen das Leben schwer zu machen, die ihr Leben riskiert haben, um ihr Leben zu retten. Um sie in Beugehaft zu setzen, damit ihnen in der Beugehaft vielleicht plötzlich in den Sinn kommt, dass es irgendwo auf der Welt noch den reichen Onkel gibt, der sie unbedingt will… Wenn ihr nicht wollt, dass unser Asylrecht zum Asylunrecht wird. Und wenn ihr euch den Flüchtling so vorstellt, für den dieses Gesetz angeblich gemacht ist, gibt’s nur eine Antwort auf dieses Gesetz: Refusé.

    Refusé II

    Mitte Woche rief mich der Mann an, um mir zu sagen, er sei unterwegs und Magen-Darm-krank und wenn er sich erheben wolle, werde alles schwarz. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt auf einem öffentlichen Parkplatz gleich neben einer Autobahn unseres schönen Landes. Die Reaktion der Leute wäre eine weitere unschöne Geschichte in der humanitären Tradition der Schweiz, aber lassen wir das. Kurz: Ich, mein Schwager und die Ambulanz drangen eine halbe Stunde später zum dehydrierten Mann vor.
    In der Ambulanz gingen die Funksprüche hin und her, es gab eine Menge anderer Einsatzwagen und -boote (auf der Aare), die grössere Sorgen hatten. Doch sobald sich in unserem Wagen („Nr. 21“ und die sagen wirklich „bitte kommen“) der Verdacht auf eine Tröpfcheninfektion erhärtete, liess das erste angepeilte Spital ausrichten, es könne uns leider nicht aufnehmen. Wir fanden schliesslich eines am Stadtrand, das ausser für Geriatrie und Landbevölkerung wenig positiv bekannt ist. Wir rollten also dort vor die Notaufnahme. Kaum durch die Schwingtür mit der Bahre, rannte uns auch schon ein Arzt entgegen, der uns anwies, sofort aus der Notaufnahme zu verschwinden und den Mann auf direktem Weg in die Quarantäne im Ostbau zu fahren.
    Auch ich bekam strenge Instruktionen für das Betreten des Krankenzimmers: Vor der Türe Handschuhe und Mundschutz anziehen und dahinter einen weissen Mantel und erst danach durfte ich zum fiebernden, inzwischen am Tropf hängenden Mann. Beim Hinausgehen das Umgekehrte. Den Mantel noch im Zimmer aufhängen, damit die „Käfer“ drin blieben. Die Türfalle von innen mit den Handschuhen anfassen, dann die Türe zustossen und Handschuhe und Mundschutz in den Abfalleimer rechts neben dem Eingang. Danach Hände waschen und Infektionsmittel drauf. Schmutzwäsche nur in Plastiktüten aus dem Zimmer entfernen, keinen Besuch bei anderen Insassen und schon gar nicht in der Cafeteria. Bitte das Spital auf schnellstem Weg verlassen.
    Der Mann seinerseits sah Ärztinnen, Schwestern, Putzpersonal und seine Frau über Tage nur vermummt, das Kind wurde erst gestern überhaupt hereingelassen – natürlich ebenfalls vermummt. Selbst als der Mann gestern wieder laufen konnte, blieb ihm zum Muskeltraining nur das Programm eines Gefangenen und zur Dusche durfte er auch nicht. Die Arztbesuche beschränkten sich auf wenige Minuten, die Schwestern vergassen ihn manchmal eine Weile und weil sich die Diätköche offensichtlich nicht auf die passende Kost einigen konnten, bekam er entweder kein Menue oder zwei.
    Heute war das Blutbild dann soweit lesbar, dass man die Vogelgrippe sowie die Noroviren ausschliessen und eine Lebensmittelvergiftung diagnostizieren konnte. Der Mann durfte die Quarantäne verlassen.
    Das war unsere persönliche kleine Asyl-Übung: Nach nur 48 Stunden Zurückweisung waren unsere Nerven zum Zerreissen gespannt und unsere Kräfte neigten sich entschieden dem Ende zu.

    Refusé I

    Ein Polymechaniker in berufsbegleitender Ausbildung fragte mich, ob ich einen Fragebogen zum Asyl- und Ausländergesetz ausfüllen würde. Er ist türkischer Kurde und vor ungefähr zehn Jahren aus Rumänien in die Schweiz geflüchtet. Sechs Jahre wartete er auf den Bescheid, machte Rekurs und wurde beinahe verrückt. Sein Provisorium hier konnte er erst beenden, als er seine schweizer Freundin heiratete. Doch trotz dieser angenehmen Wende beharrten er und seine Frau (zum Leidwesen der Ämter) darauf, dass sein Asylantrag weiter bearbeitet wurde und sie bekamen schliesslich Recht. Der Grund für die Beharrlichkeit war ein prinzipieller, denn Folteropfer bekommen in der Schweiz Asyl. Dazu kam auch noch ein persönlicher Grund: Es belastet eine Beziehung ungemein, wenn der eine auf Gedeih und Verderb vom Wohlwollen des anderen abhängig ist, weil er nur dank der Ehe ein Aufenthaltsrecht hat.
    Heute ist der Mann eingebürgert, hat ein Kind, alle seine Zwischenprüfungen sehr gut bestanden und nur noch ein Jahr zum eidgenössischen Fähigkeitszeugnis als Polymechaniker, seinem Traumberuf.
    Es hätte auch anders kommen können. Und weil er sich das bewusst ist, gehört er zu den aktivsten Abstimmungskämpfern, die ich kenne, nicht nur in Migrationsfragen. Über die Abstimmung zur Revision des Asyl- und Ausländergesetzes (die es nur gibt, weil Leute wie er Unterschriften für das Referendum gesammelt haben) schreibt er in der Berufsschule eine Facharbeit. Ein Bestandteil davon ist auch eine Umfrage. Ich finde sie interessant, weil er ganz anders fragt, als ich das würde und mir die Antworten gar nicht leicht fielen. Hier nun das PDF des von mir ausgefüllten Fragebogens.
    Während der ganzen unseligen Debatte über die Abstimmung, für welche jeder Minarett-Antrag und jede Geschwindigkeitsübertretung eines Zugewanderten hochgeköchelt wird, fällt mir nur immer wieder Zaimoglu ein, der (sinngemäss) sagt: Integration ist eine Zumutung. Für beide Seiten.